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Wider das Patriarchat

Donizettis tragische Oper „Lucia di Lammermoor“, neu inszeniert und als Saisonschluss vor 100 Zugelassenen aufgeführt und mit Orchester und Chor wiederum extern zugeschaltet, verstörte mannigfach. Ja, da ging leider einiges schief.

Das Zürcher Opernhaus wurde für seinen Mut gerühmt, sich nicht unterkriegen zu lassen und während der Pandemie jede Möglichkeit zu nutzen, trotz allem kleine Formate oder grosse Opern wie „Boris Godunow“, „Simon Boccanegra“ oder jetzt „Lucia di Lammermoor“ zu wagen. Doch diese letzte Premiere stand unter keinem guten Stern. Und das lag in erster Linie an einer sehr konfusen und überstiegenen Regieleistung der weit überschätzten Tatjana Gürbaca und einem mehr als drögen Bühnenbild von Klaus Grünberg.

Der machtbesessene Enrico Ashton (Massimo Cavalletti) weiss seine Schwester Lucia (Irina Lungu) in die Verzweiflung zu prügeln

Einer der Gründe, weshalb Fabio Luisi, der Zürich nun nach neun  Jahren als Musikchef leider verlässt, nur noch sinfonisch tätig sein will und vorläufig keine Opernpartitur mehr anrührt, liegt in ernüchternden Erfahrungen mit wenig musik-affinen Regisseuren, die das Primat der Musik ignorieren und sich nur ihrem Ego verpflichtet fühlen. Aus dem gleichen Grund verweigerte unser verehrter Maestro Nello Santi vor Jahren, die „Rigoletto“-Inszenierung von Tatjana Gürbaca zu dirigieren, weil ihn Unvermögen in Rage versetzen konnte. Ja, es gibt ein knappes Dutzend Persönlichkeiten weltweit, die Garant sind für gültiges Musiktheater, aber um die reissen sich die prominentesten Häuser. Und Zürich hat oft das Nachsehen.

Da war das Träumen noch erlaubt: Irina Lungu und Piotr Beczala als Liebespaar Lucia und Edgardo / Fotos © Herwig Prammer 

Was lief in dieser Lucia schief? Es ist hanebüchen, was dem Auge geboten wird. Man wähnt sich auf der unablässig kreisenden Drehbühne zwischen gepinselten Pappkartons am ehesten in klinisch weissen Zivilschutzbunkern. Und in jedem Raum steht eine Bettstatt. Einmal zerzaust die frustrierte Lucia ein Kopfkissen, dann legt sie sich nach einer Arie ohne irgendwelchen Grund unter die Bettdecke. Ein Bild später erwächst einer Bettstatt eine Blumenwiese, dann dient ein Bettgestell als Grabstätte – und Matratzen liegen dann auch noch herum (warum wohl?), um den psychischen Ausnahmezustand der desolat zerstrittenen Familienpatrons zu simulieren?  Während es Andreas Homoki im „Simon Boccanegra“ schaffte, die den Chor ersetzenden Statisten in synchronen Gebärden glaubwürdig agieren zu lassen, greift die Regisseurin immer dann, wenn ihr nichts einfällt, zu ‚Stills‘, d.h. sie lässt die Bewegungsabläufe einfrieren, oder sie lässt das bejammernswerte Volk im Zeitlupentempo läppische Verrenkungen vollbringen oder gar eine Polonaise tanzen. Hinzu kommt, dass die Statisten während der erschütternden Wahnsinnsarie der Lucia Walzerschritte markieren müssen. Wie sollte das bitte gemeint sein? Dass sich die Protagonisten besser aus der Affäre ziehen, liegt einzig daran, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen als Sänger-Darsteller auch ohne Regie besser alleine zu Rande kommen.

Die heiklen akustischen Tücken im Zürcher Opernhaus

Der technische Aufwand mit dem zugespielten Sound ist gewaltig. Da muss an riesigen Mischpulten justiert und austariert werden, was üblicherweise im Orchestergraben durch die direkte Wahrnehmung zwischen Pult und Bühne wie von selbst funktioniert. Hinzu kommt, dass der Zürich glücklicherweise immer noch verbundene Startenor Piotr Beczala,  glutvoller und fesselnder Liebhaber von Lucia, heute meist an bedeutend grösseren Häusern auftritt, was im eher kleinräumigen Opernhaus zu Forte-Steigerungen bis an die Schmerzgrenze führt. Wenn im Zuschauerraum gerade mal 100 Nasen statt der möglichen 1’100 zuhören, dann bleibt das nicht ohne Folgen. Das lässt sich auch von Massimo Cavaletti sagen, der als  machtgieriger und strippenziehender Bruder von Lucia seine Rückkehr nach Zürich zwar mit einer betörenden Stimmfülle manifestieren kann, aber – inzwischen Scala gewohnt – es mit der Lautstärke übertreibt.

Die italienische Dirigentin Speranza Scappucci, eine Absolventin der Julliard School und des Conservatorio di Musica Santa Cecilia in Rom, ist gern gesehener Gast auf vielen Opernbühnen 

Das hat aber auch mit der Zuspielung der Philharmonia Zürich aus dem Kreuzplatz zu tun, die mit der jungen Dirigentin Speranza Scappucci meist zu schnell und zu pompös aufdreht, was den Chor, einstudiert von Janko Kastelic, seinerseits veranlasst, zu undifferenziert aufzutrumpfen. Wie konnte es da die russische Sopranistin Irina Lungu bewerkstelligen, eine der anspruchsvollsten Primadonnen-Partien auf die Bretter zu zaubern? Sie verfügt eigentlich über das ganze Koloraturen-Repertoire, eine schwindelerregende Höhe und weiss auch den Wahnsinn gegen die Ausweglosigkeit ihres Schicksals differenziert zu zeichnen. Doch die Ausstrahlung lässt sie (noch) vermissen. Natürlich wäre es unfair, sie mit Edita Gruberova, der Jahrhundertstimme in dieser Rolle, zu vergleichen. Es gibt eben auch die intime, kammermusikalische Seite Donizetti, aber die erforderlichen erlöschenden Pianissimi vermochte eigentlich nur die Gruberova stimmtechnisch zu bewältigen. Und Irina Lungu war fast immer gleichförmig zu laut. 

Muss ich noch anfügen, dass ein Mädchen und ein Knabe, welche an die Kindheitsträume des scheiternden Liebespaares erinnern sollen (auch so eine modische Opern-Masche), sich über die Hochzeitstorte hermachen, nachdem Lucia ihren aufgezwungenen Ehemann Lord Arturo Bucklaw (Andrew Owens) mit viel Theaterblut übergossen mit Messerstichen auf die Bühne treibt? Ja, die Rache am Patriarchat ist vollbracht. Insofern trifft der Roman von Walter Scott, auf den sich Donizetti beruft, den Nerv unserer Zeit. Es gäbe noch von weiteren überladenen und versessenen Regieeinfällen zu berichten, aber lassen wir das. Die Konfusion über ‚everything goes‘  ist auch so noch gross genug.

Weitere öffentliche Aufführungen mit max. 100 Interessierten: Juni 24, 26 und 30, je 19 Uhr

„Lucia di Lammermoor“ wird auch aufgezeichnet und später auf ARTE ausgestrahlt. 

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