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Mozarts «Figaro» heute

Das Thema ist heute so aktuell wie damals: der Missbrauch von Macht für sexuelle Übergriffigkeit. Mozart hat daraus mit der «Hochzeit des Figaro» eine Opera Buffa gemacht. Worüber man damals lachte, ist heute bitterer Ernst geworden.

Das Opernhaus Zürich hat sich unter Intendant Andreas Homoki vorgenommen, mit einer Neuproduktion Mozarts da Ponte-Oper «Die Hochzeit des Figaro» in die heutige Zeit zu übertragen. Regie führt der deutsche Theatermann Jan Philipp Gloger, der bekannt dafür ist, dass er Stoffe gerne auf ihre Gegenwarts-Tauglichkeit überprüft. Gloger machte zuerst als Schauspielregisseur Karriere, erst 2010 inszenierte er am Theater Augsburg seine erste Oper: «Le nozze di Figaro». Seither macht er beides, Schauspiel und Oper.

Ein junges spielfreudiges Ensemble

Es versteht sich von selbst, dass man von Gloger kein «Rampensingen» erwarten kann. Er führt die Sängerinnen und Sänger wie Schauspieler, was beim temporeichen Spielwitz im «Figaro» ganz schön fordert. Nur ja nicht ausser Atem kommen! Es sind denn auch hauptsächlich junge Stimmen, die für diese Neuproduktion verpflichtet wurden. Die Hauptpartie der Susanna wird von der Britin Louise Alder gesungen, die gerade eine steile Opernkarriere macht. Bis 2019 war sie Ensemblemitglied an der Oper Frankfurt und gewann viele Preise, darunter 2017 den International Opera Awards, zwei Jahre später wurde sie zudem zur «Best Young Singer» gekürt.

Die Kammerzofe Susanna (Louisa Alder) mit ihrem Figaro (Morgan Pearse) Feiern Hochzeit.

Die Geschichte des Figaro dreht sich um Susanna, die als Zofe der Gräfin Almaviva arbeitet. Und um ihren Figaro. Die beiden lieben sich und wollen heiraten, doch der Graf, der für seine vielen Amouren bekannt ist, hat auch ein Auge auf Susanna geworfen. Sie widersetzt sich ihm zwar temperamentvoll, doch dann will er das alte Recht, das er eigentlich längst abgeschafft hatte, wieder einfordern: Das Recht des Hausherrn auf die erste Nacht einer Braut.

Die Frauen wehren sich zusammen

Doch die betroffenen Frauen, auch die anfangs eifersüchtige Gräfin Almaviva, tun sich zusammen. Beim geheimen Stelldichein des Grafen mit Susanna tauschen sie die Kleider. Das Verwirrspiel gelingt und der Graf ist blossgestellt. Regisseur Gloger modernisiert auf pfiffige Art: so lässt er etwa zu Beginn den Verhaltenscodex für Führungskräfte auf einen schwarzen Vorhang beamen. Per Computertaste werden einige Sätze sanft umgeschrieben oder gelöscht, ganz nach dem Gusto des Grafen. Auch das Handy kommt zum Einsatz, etwa wenn Susanne von der Gräfin per Handy-Klingelton gerufen wird.

Zu einer modernen Inszenierung gehören auch Tranbsparente.

Modern sind auch die Kostüme von Karin Jud, aber nicht zu offensichtlich. Susanna trägt brav ihre weisse Dienstmädchenschürze, die Gräfin wechselt vom langen gelben Kleid in ein grünes enges Deux-Pièce, die Herren tragen Hose und Hemd. Am auffälligsten ist in dieser Alltagsnormalität Cherubino, die spielfreudige Hosenrolle. Lea Desandre trägt knielange Shorts, ein Shirt und einen rot weiss gestreiften Pullover. So macht sie aus dieser Zwitterfigur mit viel Gelenkigkeit und bewusst unbeholfenem Körpereinsatz einen liebenswürdigen Jungen, der in all dem Wirrwarr echt nicht weiss, wie ihm geschieht. Dabei singt Desandre so frisch und lupenrein, als wäre es das Natürlichste der Welt.

Moderne und eher öde Alltäglichkeit

Auch das Bühnenbild von Ben Baur, mit dem Gloger regelmässig zusammen arbeitet, übertreibt nichts: Anfangs befinden sich Susanna und Figaro in einem leeren Hinterhof, wo auch Abfallsäcke deponiert sind. Sie sind gerade beim Zügeln, es werden Kisten und Möbel geschleppt. Das zweite Bild ist eine Art Waschküche und Aufenthaltsraum für die Bediensteten, grau und öde. Der dritte Raum, in dem auch die Hochzeit gefeiert wird, ist dann aber sehr klassisch ein nobler Salon mit prunkvollem Leuchter. Anstelle des Parks, wo das heimliche Treffen zwischen dem Grafen und Susanna stattfinden soll, spielt sich das ganze Verwirrspiel auf einem Dachboden ab, wo achtlos eine Matratze am Boden liegt.

Chor und Ensemble des Opernhaus in einer Strassenszene. (Alle Bilder Opernhaus Zürich/ Herwig Prammer)

In dieser im Heute angesiedelten Regie gelingen Gloger lustige Überraschungsmomente mit kecken Details, die Personenführung ist vital und verspielt und wunderbar in die Musik eingepasst. Und doch kommt es in diesen dreieinhalb Stunden «heutiger Normalität» zu deutlichen Längen, zu denen das Bühnenbild und die Kostüme das Ihre beitragen. Vor allem der dramaturgische Effekt des Verwirrspiel am Schluss, das weder etwas Heimliches noch etwas nachvollziehbar Täuschendes hat, wird klar vergeben – man nimmt den Figuren die Täuschung nicht ab.

Schroffe Akzente trotz heutiger Instrumente

Auch musikalisch sind bei dieser Zürcher Neuproduktion ein paar Einwände zu machen. Der Dirigent Stefano Montanari bringt aus Italien viel Erfahrung mit der historisch authentischen Musizierpraxis mit. Die wendet er nun auf das Opernorchester mit modernen Instrumenten an, zudem ist der Orchestergraben hochgefahren. Montanari dirigiert diesen witzigen Mozart sehr energisch und im Tutti gerne laut. Vor allem die rhythmische Akzentuierung wirken übertrieben trocken und hart. Die lyrischen Partien werden hingegen sorgfältig ausmusiziert und gelingen schmeichelnd.

Das grosse Sängerensemble scheint sich wohl zu fühlen und wirkt gut aufeinander abgestimmt. Daniel Okulitch gibt sich als Graf Almaviva eher weich, wogegen Morgan Pearse als Figaro mehr Kraft und Temperament ausspielt. Wusste Anita Hartig als Gräfin Stolz und stimmlichen Schmelz zu verbinden, so gibt Malin Hartelius der Marcellina ein eigenwillig markantes Profil. Von diesen allen umgeben und bedrängt laufen Louise Alder als Susanna und Lea Desandre als Cherubino zur Höchstform auf. Das Premierenpublikum war begeistert.

Weitere Aufführungen: 22., 25., 28. Juni; 1.,  3., 7. und 10. Juli.

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