StartseiteMagazinKulturKlänge aus fünfhundert Jahren

Klänge aus fünfhundert Jahren

Die Konzertsaison hat mit den grossen Festivals in Luzern und Berlin begonnen. Wir besuchten den Musikmonat 2022 in Berlin.

Bei dem fulminanten Start in die Konzertsaison 22/23 traten neben den Berliner Orchestern berühmte Klangkörper aus der halben Welt auf, wie wir sie in unserer Programmvorschau vorgestellt haben. Nun ist die neueste Ausgabe des Musikfests, mit der wunderbaren Gelegenheit vorbei, einige der weltbesten Orchester nacheinander zu hören, zu geniessen und zu vergleichen. Selbstverständlich war das auch in Luzern möglich, aber diesmal hat das Musikfest perfekt zum Berliner Besuch gepasst.

Vilde Frangs spielt Béla Bartòks Violinkonzert Nr. 1, das er der jungen Stefi Geyer in unerfüllter Liebe gewidmet hatte, begleitet vom Berliner Rundfunksinfonieorchester unter Vladimir Jurowski. Foto: © Peter Meisel

Auffallend und beeindruckend war zu erleben, wie jene Orchesterleiter, die den Raum besonders gut kannten, ihn noch differenzierter nutzen konnten, wie auf einem Instrument mit ihm spielten, mit feinsten Pianissimi von der Hörgrenze weg über alle Nuancen bis zu gewaltigen Klangexplosionen, die einem nicht erschlagen, weil sie freien Raum nach oben haben, so dass man aus dem Staunen nicht herauskommt.

Ein Beispiel etwa die Londoner mit Simon Rattle. Er war von 2002 bis 2018 Chef der Berliner Philharmoniker gewesen. Da werden regelrecht Geschichten erzählt – mit La Valse von Maurice Ravel, einem Epitaph auf die im ersten Weltkrieg untergegangene Kultur, und dem exzessiv in die Glieder fahrenden Wunderbaren Mandarin von Bartók. Die Möglichkeiten, den Raum mitspielen zu lassen, hat auch Rattles Nachfolger in Berlin, Kirill Petrenko, genutzt: Mit Bernd Alois Zimmermanns Sinfonie in einem Satz und vor allem mit dem kurzen Stück Empreintes von Iannis Xenakis, der in diesem Jahr 100 geworden wäre.

Der erste endlos lange Ton des Blechs – mit subtil sich verändernder Klangfarbe und Frequenz, je nach Instrumentengruppe, die gerade blies – erfasste den Saal mit geradezu unheimlicher Intensität. Dann kamen die Streicher dazu, die Ostinati wurden weiter getrieben, bis mit den Holzbläsern – einer quirligen Flöte, unterstützt von der Oboe – sich die hohe Spannung auflösen konnte.

Simon Rattle bringt mit seinen Londoner Philharmonikern den grossen Konzertsaal zu schwingen, denn er war hier lange Jahre Hausdirigent der Berliner Philharmoniker.

Bei einem Musikfest sind Mahler-Symphonien, sowie Werke von Beethoven Standard, diesmal war auch die selten aufgeführte Grosse Symphonie von Franz Schubert dabei, dank der hohen Präzision des Cleveland Orchestra unter der Leitung des Wieners Franz Welser-Möst in seltener Transparenz. Davor gab es zwei Kompositionen von Wolfgang Rihm. Nicht nur hier wurde dem Publikum zugemutet, sich mit Klängen ausserhalb des Mainstreams auseinanderzusetzen. Bewegend aber auch bedrückend Bernd Alois Zimmermanns oben genanntes apokalyptisches Klanggemälde, dargeboten von den Berliner Philharmonikern, oder die Todesfahrt Aïs von Xenakis, aufgeführt vom Rundfunk Sinfonieorchester Berlin mit den Solisten Georg Nigl, Bariton, und Dirk Rothbrust, Schlagzeug. Scheinbar schwerelos steigt Nigls Stimme bis in Sopranhöhen empor.

Beim Auftritt der Musiker aus Odessa war sogar die sonst dezente Treppenbeleuchtung in die ukrainischen Farben blau und gelb geändert worden und im Publikum wurden auch Flaggen sichtbar.

Es gab auch für gut informierte Konzertbesucher nebst dem sehr jungen Dirigenten des Concertgebouworkest Amsterdam Klaus Mäkelä viel Neues zu entdecken.

Beispiel eins: Willem Pijpers Zweite Symphonie als deutsche Erstaufführung mit dem Rotterdams Philharmonisch Orkest, Echos auf Mahlers Märsche frech mit einer Habanera verbindend.

Beispiel zwei: Karol Szymanowskis Konzert für Violine und Orchester Nr. 1, mit dem Philadelphia Orchestra und der in Hochform agierenden Ausnahmegeigerin Lisa Batiashvili. Der Leiter Yannick Nézet-Séguin hatte auch eine Symphonie der Afroamerikanerin Florence Price im Gepäck. Selbst in ihrer Heimat war die Komponistin kaum mehr bekannt, bis ihre von afroamerikanischer Volksmusik inspirierte Musik von Nézet-Séguin nun gefördert wird.

Dass Ferruccio Busonis Konzert für Klavier und Orchester mit Männerchor ausser jeder Norm sein werde, war erwartet worden. Das Orchestra e Coro der Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom mit Antonio Pappano am Pult und Igor Levit am Flügel, überzeugte mit diesem Raumsprenger rundum. Der Solist hat die als fast unspielbar geltende, unglaublich kräftezehrende Partitur grandios bewältigt, die Musik fliessen lassen.

Das Jack Quartet aus den USA geniesst zusammen mit Komponistin Liza Lim den Applaus im Kammermusiksaal der Philharmonie.

Zeitgenössische Musik boten auch kleinere Ensembles, grossartig das Jack Quartet aus den USA, welches die Auftragskomposition String Creatures von Liza Lim spielte, in der sich die Komponistin mit Saiten, Schnüren, Fäden auseinandersetzt, die verknüpft, gelöst, verwebt werden können. Der erste Satz heisst Cat’s cradle, englisch für das Fadenspiel oder Abnehmen hierzulande. Uraufgeführt wurde das Werk beim Lucerne Festival, das Stück kann über das Archiv von SRF nachgehört werden.

Ein Konzertabend quasi Hors Concours war der Auftritt des Odessa Philharmonic Orchestra. Der Saal platzte für einmal fast aus den Nähten, im Publikum sassen wohl zur Hälfte Ukrainer und der Abend begann – wie könnte es anders sein – nach Begrüssung und Dank von Orchesterleiter Hobart Earle mit der Landeshymne, endete mit der Ouvertüre zu Taras Bulba als traditionell letzter Zugabe. Dazwischen präsentierte der ebenso engagierte wie präzise Klangkörper einen Sibelius und ukrainische Musik von Myroslav Skoryky und Mykola Lysenko, der als Begründer einer nationalen ukrainischen Musiktradition gilt, sowie Alemdar Karamanovs Drittes Klavierkonzert mit Tamara Stefanovich am Flügel. Eigenartig und anrührend dieses meditative Klavierkonzert, ein inniges Wechselgespräch der Pianistin mit dem Orchester, bisweilen an Minimal Music erinnernd.

Das National Gugak Center aus Korea bei der Aufführung der Ahnenzeremonie «Jongmyojeryeak».

Völlig fremdartig und weit entfernt von abendländischer Tradition war die Musik des National Gugak Centers aus Korea: eine Zeremonie mit traditionellen Instrumenten und Tänzen zum Jahrestag eines Herrschers aus längst vergangener Zeit. Mit der «Psalmensinfonietta» des RIAS-Kammerchors Berlin, oder Monteverdis Marienvesper mit dem Collegium Vocale Gent, war eingängige Alte Musik aus Europa zu hören.

Psalmen und Musikstücke aus dem 16. und 17. Jahrhundert, gesungen vom RIAS Kammerchor und gespielt vom Ensemble Promena.

Und freien Eintritt für alle gab es in der Kirche am Hohenzollernplatz, wo ein 24stündiges Offizium für eine Stadt, die niemals schläft am Gedenktag der Hildegard von Bingen Chormusik aus der halben Welt vereinte. Aber auch die Bezahl-Konzerte gab es zu durchaus erschwinglichen Preisen: Der teuerste Platz kostete 90 Euro; in der Philharmonie mit ihrer fabelhaften Akustik haben auch Plätze von zwanzig Euro an aufwärts nicht nur freie Sicht aufs Podium, sondern boten Hörgenuss mit immer wieder anderen Klangbildern.

Titelbild: Hobart Earle, Wahlukrainer aus Venezuela hat das Odessa Philharmonic Orchestra in die grossen Konzerthallen der Welt gebracht.

Alle Fotos © Fabian Schellhorn (sofern nicht anders vermerkt)

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