StartseiteMagazinKultur„Wir zeigen Originale, wir zeigen Fetische“

„Wir zeigen Originale, wir zeigen Fetische“

Der Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich, Bernd Roeck, spricht über die Renaissance-Ausstellung im Landesmuseum, die er mitgestaltet hat

Zwei berühmten Humanisten waren in diesem Jahr Ausstellungen gewidmet, in Basel Erasmus von Rotterdam, der 1516 dort erstmals das griechische Neue Testament herausgab, in Zürich Conrad Gessner, der 1516 geboren wurde.

Conrad Gessner (nach einem Bild von Tobias Stimmer von 1964) und Erasmus von Rotterdam (Kupferstich von Albrecht Dürer 1526)

Eine dritte grosse Ausstellung im Landesmuseum erhellt den Zeitraum, in dem beide wirkten: Europa in der Renaissance. Metamorphosen 1400 – 1600, kuratiert von Denise Tonella vom Landesmuseum und dem Historiker Bernd Roeck. Das 15. und 16. Jahrhundert sind eine revolutionäre Zeit: Ein neues Weltbild entsteht, ein unbekannter Kontinent wird entdeckt, die Mathematik kommt in die bildende Kunst, reformatorische Ideen setzen der alten Kirchenherrschaft zu, der Buchdruck wird erfunden. Dazu wichtige Fortschritte in der Medizin, den Naturwissenschaften und der Technik. Die Wiederentdeckung der Antike führt aus dem mittelalterlichen Denksystem in eine explodierende Vielfalt der Kulturen.

Imposant, wenn auch nur ein Modell: die Kirche von Todi thront am oberen Ende der grossen Treppe

Den Begriff «Renaissance» hat der Basler Kulturhistoriker Jacob Burckhardt erfunden, dessen WerkDie Kultur der Renaissance in Italien von 1860 noch heute beachtet wird. Sein Schreibtisch steht prominent in einem Glaskasten mit Sicht auf antike Köpfe. Die Kuratoren Denise Tonella und Bernd Roeck haben eine einzigartige Schau über eine Zeit des Umbruchs, die Alte Eidgenossenschaft mittendrin, aufgebaut.

Der Professor für Geschichte der Neuzeit freut sich über das gelungene Werk, wie er im Gespräch mit seniorweb betont.

seniorweb: Herr Professor Roeck, sie sind Historiker an der Universität Zürich und Mitkurator der Renaissance-Ausstellung im Landesmuseum. War diese Aufgabe etwas Besonderes?

Roeck: Ja, natürlich, es ist eine enorme Ehre, mit einer Kollegin wie Denise Tonella zusammen eine so grosse Ausstellung zu organisieren, in dieser Form für Jahrzehnte einzigartig. Allein die Dimensionen: Unzählige in der Schweiz noch nie gezeigte Objekte von über 80 Leihgebern.

Die Gutenberg-Bibel  –  eins von rund 50 erhaltenen Originalen, 1452-54 gedruckt in Mainz

Die Ausstellung erinnert daran, dass auch die Schweiz Teil hat an den grossen Austauschprozessen innerhalb Europas, die eine Kultur wie die Renaissance hervorbrachten.

Die Renaissance-Ausstellung wurde am Nationalfeiertag eröffnet. Ein Verweis auf heute?

Ich denke, es ist jedem Besucher selbst überlassen, Schlüsse zu ziehen. Aus der Einsicht, dass beispielsweise die Europäer vom Orient, von den Arabern, Indern, Chinesen sehr viel gelernt haben, dass Kommunikation miteinander wichtig ist, dass man schwierige technische Probleme nur durch Gespräche lösen kann – das gilt natürlich auch für andere Probleme – und dass es einfache Lösungen meist nicht gibt. Solche Botschaften kann man der Ausstellung entnehmen.

Was will diese Ausstellung?

Ein Ziel ist es, die Zusammenhänge aufzuzeigen, aber ebenso, Augenlust zu bewirken: Die Leute sollen schöne Dinge sehen, sie sollen sich freuen und unterhalten werden. Sie sollen eine grosse Kulturepoche kennenlernen: am Original. Marcel Proust nennt es die wunderbare Beleuchtung unserer Vergangenheit; wir zeigen nicht einfach einen Druck von Leon Albertis Architekturtheorie, sondern eines der schönsten Manuskripte, die es überhaupt gibt, es ist aus der Bibliothek in Modena; wir zeigen nicht einen Machiavelli in Druckform, sondern ein Dokument mit Machiavellis eigener Handschrift. Wir wollen also Objekte zeigen, von mir aus Reliquien oder Fetische, denn man kommt, um Originale zu sehen, um Zeitzeugen kennenzulernen.

Geprägt von der wiedererweckten Formensprache der Antike waren auch Möbel und Geschirr im bürgerlichen und adligen Haus

Wie ist diese Faszination an den originalen Objekten zu deuten?

Vielleicht ähnlich wie der Star- oder Heiligenkult. Die Menschen suchen, wenn sie einen Star verehren oder einen berühmten Politiker sehen, dessen Nähe. Sie wollen ihm die Hand drücken oder wenigstens ein Selfie mit ihm machen. Das heisst, sie suchen den magischen Moment.

Was ist denn das Spektakuläre, das Besondere an der Renaissance?

Ich glaube, dass man die ganze Moderne nicht verstehen kann, ohne die grossen Umstürze, die revolutionären Neuerungen, die in der Renaissance entstanden. Buchstäblich spektakulär ist natürlich die Kunst, das thematisieren wir in unserer Ausstellung auch. Was wir nicht zeigen oder nur andeuten können, ist die Architektur: Brunelleschis Domkuppel in Florenz, den Petersdom und viele anderen Bauten. Aber Sie finden in der Ausstellung grossartige Malerei, beispielsweise Tizian, Veronese, sie finden auch Zeichnungen von Raffael, von Leonardo da Vinci. Sie finden gleich zu Beginn ein grosses Porträt von Andrea de Castagno, dem Hauptmeister der Frührenaissance.

Entdeckungsreisen in die neue Welt, in die Naturwissenschaften und in die Technik und eine neue Sicht aufs Universum

Leonardo da Vinci, Michelangelo sind für uns die Künstler dieser Epoche. Aber viel wichtiger für die moderne Welt waren Erfindungen, angefangen beim Buchdruck mit beweglichen Lettern, weiter mit der so genannten Entdeckung Amerikas bis hin zum neuen kopernikanischen Weltbild. Alles Erbschaften, von denen die Moderne noch immer lebt.

Mich erstaunt immer wieder, wie oft und wie weit gereist wurde, als es noch lange keine modernen Verkehrsmittel gab.

Sie können gleich am Anfang des Rundgangs einen Blick werfen auf die Handelsnetze, die sich da spannen. Es sind Händler, Krieger, Diplomaten, die reisen; natürlich ist das ganz wichtig, weil es auch Kommunikation bedeutet. Wenn Sie den Lebenslauf beispielsweise eines Malers wie Lambert Sustris anschauen, der als Niederländer in Italien arbeitet und für München oder für Augsburg Kunstwerke liefert, dann impliziert das Reisen. Die Menschen werden mobil.

Gemälde von Tizian und Büste der Beatrix d’Aragon: das Individuum wird für die Kunst entdeckt

Auch in der Malerei wurde erfunden, die Perspektive wurde entdeckt, die Individualisierung wurde entwickelt.

Das Individuum entsteht nach Jacob Burckhardt in der Renaissance. Heute sagt man, dass die Renaissance in einer Weise naturalistischere Selbstporträts hervorbringt als jede Epoche davor. Diesen Eindruck wollen wir zeigen; wir haben eine kleine Sektion zum Menschenbild der Renaissance, einmal wunderbare Porträt-Darstellungen, daneben berühmte Texte wie jener über die Würde des Menschen von Pico della Mirandola. So wollen wir nachweisen, wie allmählich ein unserer Zeit näheres Menschenbild entwickelt wird.

Das ist bei Tobias Stimmers Selbstporträt besonders augenfällig.

Tobias Stimmer (1539–1584), Selbstbildnis, um 1563. Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen

Eines meiner Lieblingsobjekte ist dieses wunderbare Selbstporträt von Tobias Stimmer, Schaffhausen. Wenn Sie wissen wollen, was die Entstehung des Individuums bedeutet, brauchen Sie sich eigentlich nur diese Zeichnung anschauen. Wie er Sie mustert und kritisch anschaut … ich finde es grossartig, dass wir dieses wunderbare Objekt, das aus meiner Sicht wirklich Weltkunst ist, hier haben.

Die Zeichnung wirkt überhaupt nicht so alt, wie sie ist.

Nein, ganz unmittelbar. Sie sehen den Menschen aus der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts, als könnten Sie gleich mit ihm reden.

Ich versuche das gern und danke für das Gespräch.

Zu der Ausstellung Europa in der Renaissance (bis 27. November) ist ein gleichnamiger Begleitband erschienen. Im Vorwort zu den wissenschaftlichen Essays und dem Katalog schreibt Museumsdirektor Andreas Spillmann, über ein «Abendessen in Zürich: Professor Bernd Roeck erzählte begeistert von der Geschichte und Kultur der Renaissance.» Das sei der Ursprung der Ausstellung gewesen. Das Buch, herausgegeben vom Schweizerischen Nationalmuseum kostet 55 Franken 

 

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