StartseiteMagazinGesellschaftAuf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

In der Ausstellung «Alles zur Zeit» spielt das Vögele Kultur Zentrum in acht Bildern mit der Zeit: Zeit verankert die Menschen in der Welt und verbindet sie untereinander.

Ist die Zeit knapper geworden? fragen wir uns, wenn wir an Stress leiden. Die Ausstellungsmacher verneinen. Uns steht viel mehr Zeit zur Verfügung als Generationen vor uns. Es ist nicht die Zeit als solche, es ist der Umgang mit ihr, der uns in Atem hält. Die Ausstellung sucht nach Ursachen und Auswegen aus den Zwängen.

 

 

 

 

 

 

Ausstellungsansicht, Foto Katharina Wernli Photography

Der Besucher betritt den Ausstellungsraum durch das Rohrgestänge eines Baugerüstes. Die Zeit wird mit einer Baustelle interpretiert. Ein Paukenschlag ruiniert die Vorstellung von der Zeit als sanft dahin plätschernder Fluss. Die Ausstellung schafft Provokationen, beginnt mit der Langsamkeit als Herausforderung und versteht sich als geführte Meditation durch den Begriff Zeit.

Das Nichtstun hat einen schlechten Ruf

Iris Vetter
Between Time, 2015, Farbfotografie

Eine derbe Holzbank in einem schmucklosen Saal verleidet einem das Warten. Eine Uhr läuft rückwärts.  Künstlerin Iris Vetter beobachtet und fotografiert wartende Menschen und fragt nach deren Gefühlen. Niemand wartet gerne. Der Schüler langweilt sich und will auf dem Handy spielen. Eine Frau vertreibt sich die Zeit mit Stricken. Kaum einer geniesst den Moment des erzwungenen Stillstandes. Zur Langsamkeit hat John Cage das Musikstück «As Slow As Possible» komponiert, das seit 2001 in der Burchardikirche in Halberstadt gespielt wird, mit einer geplanten Gesamtlänge von 639 Jahren. Die Meditationsübungen, die Mojo Di in einem Video zeigt, helfen Zeit zu ertragen.

 

 

Vergangene Zeit durch Geschichten wahrnehmen

Die Paukenschläge, die sich laufend wiederholen, irritieren. Ein Zeichen für Brüche im Leben?  Lebenswenden ereignen sich selten nach Paukenschlägen. Die meisten Veränderungen kommen so leise und unscheinbar daher, dass ihr Ursprung erst im Nachhinein wahrgenommen und später als Geschichte weitererzählt wird. Solche Momente schildert die Ausstellung mit Kunstobjekten, wie mit dem französischen Revolutionskalender von Philibert-Louis Debucourt und dem Bericht über die dunkelhäutige Rosa Parks, die sich am 1. Dezember 1955 im Bus auf einen Sitzplatz für einen weissen Fahrgast setzte, verhaftet wurde und damit die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung auslöste.

Spielraum für eine bessere Zukunft schaffen

Ein nachhaltiger Umgang mit der Zeit ermögliche Spielraum für Neues, betonen die Aussteller. Beispiele aus der Agrarwirtschaft, Aquarelle von deformierten Insekten und Pflanzen nach Tschernobyl und eine Vielzahl von Exponaten wecken das Bewusstsein dafür, wie gegenwärtiges Handeln die Zukunft beeinflusst. Die Vision von Maximilian Villemard von 1910 für das Leben um 2000 wird mit der Realität verglichen. Mit der Webseite FutureMe, mit Berichten über Finanzblasen und über das Phänomen Lebensversicherung wird über die Zukunft spekuliert. Eine Pinwand mit Agenden dokumentiert unterschiedliche Techniken des Zeitmanagements. Dahinter steckt die Warnung, der Mensch solle seine Zukunft nicht zu stark verplanen, im Heute leben und ohne schlechtes Gewissen einfach mal nichts tun. Eine Sitzecke lädt ein zum «Mach mal Pause».

Die Geister der Vergangenheit

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alex Verhaest,  Dinner Scene aus der Werkgruppe Temps Mort/Idle Times, 2014. Video, Mixed Media. Courtesy of Dauwens & Beernaert Gallery

Im vierten Fenster der Ausstellung wird der Besucher eingeladen, sich seiner eigenen Lebensgeschichte bewusst zu werden und die Vergangenheit als lebendigen Teil der Gegenwart anzuerkennen. Visualisiert wird das Thema durch verschiedene Kunstinstallationen wie «Facetime» von Martina von Meyenburg, die mit einem Netz voller Wecker, die unterschiedlich ticken, die Grenzen zwischen Gestern und Morgen verschwimmen lässt. Die Arbeit «Temps Mort» von Alex Verhaest verblüfft mit einem Familienbild nach alter niederländischer Malerei mit einem Mobiltelefon, mit dem die einzelnen Familienmitglieder angerufen und zum Sprechen gebracht werden.

Manches braucht einfach seine Zeit

Kreative und handwerkliche Prozesse, Zyklen der Natur und die Liebe lassen sich nicht nach der Uhr stellen. Jeder Mensch folge einem anderen Rhythmus, wie der Zen-Mensch und die Tänzerin, beschreiben die Aussteller, und zeigen unter dem Titel «Gefaltete Zeit» den Arbeitsplatz und die Arbeiten von Erwin Hapke, der während über 30 Jahren in selbstgewählter Isolation tausende von Objekten aus Papier (Origami) gefaltet hat.

Geteilte Zeit, verteilte Zeit

Nach diesem Beispiel einer bedrückenden Einsamkeit lässt sich der Besucher erleichtert daran erinnern, dass Menschen gemeinsam mit andern leben. Das gesellschaftliche Miteinander ist heute ohne Planung und ohne verbindliche Taktungen der Zeit kaum mehr möglich. Dennoch soll die Zeitplanung auch Spielräume zulassen für individuelle Bedürfnisse und für soziale Beziehungen, für die sogenannte «Quality Time», in welcher der einzelne Mensch eigene Bedürfnisse zurücksteckt und sich dem Zeitplan der anderen anpasst.

«Eine eindrückliche, dicht befrachtete Ausstellung, die sich schwer auf Papier wiedergeben lässt», stöhnt meine Journalistenkollegin und empfiehlt «Du solltest für einen Ausflug ins SeedammCenter werben». Na klar, was denn sonst.

Ausstellung im Vögele Kultur Zentrum:

alles zur zeit. Über den Takt, der unser Leben bestimmt.
21. Mai 2017 – 24. September 2’017

Veranstaltungen zur Ausstellung

Kuratorinnen Olga von Schubert und Mira Frye
Megalomuseum Büro für Ausstellungen GbR, Berlin

Szenografie Seiner Sarnen Schweiz AG, Sarnen
Martina Borner, Mauro Testerini, Yves Gugelmann.

Weitere Informationen zur Ausstellung im
Vögele Kultur Bulletin Ausgabe 103/2017

Parallel zur Ausstellung «alles zur zeit» wird die die Ausstellung
40 Jahre Vögele Kultur Zentrum weitergeführt bis 31.8.2017

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