Bauer sticht König

Die eidgenössischen Söldner auf Kriegszug erfanden den Trumpfpuur im Kartenspiel, aber sie verloren die Schlacht bei Marignano. Jetzt im Landesmuseum

Damals im Geschichtsunterricht mussten wir diese Jubiläumsdaten schon auswendig lernen: 1315 Schlacht bei Morgarten, 1515 Schlacht bei Marignano, 1815 Wiener Kongress. Was wir dazu hörten, war reichlich abstrakt: 1315 besiegten Bauern ein Ritterheer mit List. 1515 hatten die Eidgenossen eine grosse Schlacht in der Nähe von Mailand verloren und gaben ihre Expansionspläne auf. 1815 kam es zur Restauration des vornapoleonischen Europas.

Söldnertruppen waren wochenlang unterwegs zu einer Schlacht. Im Heerlager galt es Zeit zu vertreiben. Beim Kartenspiel machten die Reisläufer den Trumpfbauern zur stärksten Karte.

Jetzt sind die Ereignisse wieder im Fokus: angerissen von reaktionären Politikern für ihren Wahlkampf wird die Neutralität Thema Nummer eins in Medien und an Stammtischen. Beginnt sie 1515 mit der Niederlage bei Marignano und der nachfolgenden angeblich vernünftigen Politik mit dem Verzicht auf Eroberungskriege oder eher mit der Einrichtung des neutralen Pufferstaats Schweiz durch die Siegermächte 1815?

Ewiger Frieden zwischen König Franz dem I. von Frankreich und den Eidgenossen, 29. November 1516. Staatsarchiv Freiburg, Titres de France, 16 B (Foto Primula Bosshard).

Die Ausstellung im Landesmuseum 1515 Marignano stellt Artefakte, Dokumente und Texte bereit, aber die Frage, ob die blutige Schlacht wirklich der Beginn einer selbstgewählten Neutralitätsgeschichte sei oder ob diese nicht viel später von aussen aufgezwungen wurde, wird nicht verhandelt. Die Besucher sollen sich ihre Meinung selber bilden.

Mailand ist um die Jahrhundertwende von 1500 eine blühende Wirtschaftsmetropole, ein Ort raffinierten Luxuslebens und Vorbild in Stil und Mode. Statt Missoni oder Armani heisst das führende Haus Missaglia, eine Rüstungsschmiede für elegante Teile. Die Harnische seien Prestigeobjekte gewesen, vergleichbar mit Luxusautos heute. In Mailand versammeln sich Schöne und Reiche, Adel und Kunst.

Mailand war also ein Ort, „um den alle europäischen Mächte buhlen,“ sagte Museumsdirektor Andreas Spillmann zur Ausstellungseröffnung. Zu diesen Mächten gehört auch die alte Eidgenossenschaft. Ihre Krieger sind gefürchtet und sie bringt es gar zur Schutzmacht der Stadt und ihres Regenten, Herzog Ludovico Sforza. Dass sie beim Feldzug nach Pavia die Franzosen 1512 aus Mailand vertrieben haben, dankt Papst Julius II. den eidgenössischen Orten mit einem geweihten Schwert: erstmals wird es weder einem Adeligen noch einem Feldherrn verliehen.

Urs Graf : Schrecken des Kriegs 1521. Federzeichnung. Der Künstler erlebte die Schlacht von Marignano als Reisläufer. wiki commons

Die zehn-, später dreizehn alten Orte darf man sich nicht als Staatsgebilde vorstellen. Aussenpolitik wird ad hoc gemacht, jeder Stand rekrutiert seine Krieger oder auch Söldner auf seine Art. Die Truppen sind wochenlang unterwegs bis es zur Schlacht kommt, versorgt vom sie begleitenden Tross, immer mit dem Ziel, Beute zu machen. Die Ausrüstung ist die Halbarte und der Dolch, ausserdem der Langspiess. Feuerwaffen sind verpönt, abzulesen daran, dass Büchsenschützen den doppelten Sold erhielten.

Franz I. als siegreicher Feldherr während der Schlacht. wiki commons

Der Gegner von 1515, das französische Heer mit dem soeben gekrönten 20jährigen König Franz I. als Feldherr schleppt dagegen rund 70 schwere Geschütze über die Westalpen nach Italien, und die verbündeten Venezianer setzen Kavallerie ein. So greifen die eidgenössischen Krieger (ohne Berner, Solothurner und Freiburger, die sich dank grosszügiger Entschädigung Frankreichs im letzten Moment zurückziehen) trotz klarer Übermacht und weit besserer Ausrüstung und Taktik des Gegners mutwillig an. Nach zwanzigstündiger Schlacht am 13. und 14. September, bleiben über 10’000 Kämpfende tot auf dem Schlachtfeld. Mehrheitlich sind die Opfer eidgenössische Krieger, manche Gegend hat die Hälfte aller Männer verloren. Die Greuel der Schlacht hielt der Künstler Urs Graf mit der Feder fest.

Nach der verheerenden Niederlage sind die Grossmachtträume zuende. Nicht aber der Profit aus dem Kriegshandwerk: Franz I., nun Herzog von Mailand, bietet den Verlierern einen für beide Seiten profitablen Frieden an: Es gibt viel Geld, die ennetbirgischen Gebiete bis Lugano sowie das Veltlin, und im Gegenzug sichert sich Frankreich den Zugriff auf eidgenössische Söldner. Der umfangreiche Friedensvertrag mit den 19 Siegeln der Unterzeichner ist eines der Prunkstücke in der Ausstellung.

Wenn zwei sich streiten freut sich der neutrale Fuchs. Ofenkachel für das Zürcher Rathaus, 1698, David II. Pfau, Winterthur. © Schweizerisches Nationalmuseum.

Die Reformation brachte Kritik an der Reisläuferei und einen konfessionellen Streit zwischen den verschiedenen Orten. In der Folge übte die Eidgenossenschaft das „stille sitzen“— beispielsweise im 30jährigen Krieg. Aber ist das Neutralität, wenn die Orte am Ende darauf achten, dass sowohl katholische wie reformierte Kriegsmächte zu ihren eidgenössischen Söldnern kommen?

Soldallianzen werden bis zur französischen Revolution abgeschlossen; sie machen einige Offiziere und Ratsherren reich, und die jungen Männer sind als Krieger immer noch gefürchtet.

Nachdem Napoleon die alte Eidgenossenschaft gekippt hat, passt das neue Konstrukt eines Staatsgebildes mit Kantonen auch den Siegermächten des Wiener Kongresses. Sie fordern 1815 immerwährende Neutralität von der kleinen Schweiz als Pufferstaat zwischen Frankreich und Habsburg-Österreich. In der Ausstellung wird diesem letzten Teil Neutralitätsgeschichte Raum gegeben, die wenigen entscheidenden Dokumente zu 200 Jahren Neutralität sind gegenüber von Ferdinand Hodlers Rückzug aus Marignano ausgestellt.

Schrecken des Kriegs mit Chirurgenbesteck und Schädeln vom Schlachtfeld

Die Historikerin Erika Hebeisen hat eine sehr kluge und zugleich hoch attraktive Schau konzipiert, in der auch ungeübte Museumsbesucher nicht überfordert werden. Mit einer animierten Bild- und Ton-Installation wird die zwanzigstündige schreckliche Schlacht nachgestellt. Wichtige Ereignisse und Entscheidungen werden als Tagesschau-Nachrichten an Bildschirmen erzählt, die Exponate bringen einem prunkvolles oder elendes Leben und Sterben der Adeligen, der Heerführer und des Fussvolks nahe.

Key-Visual. Grafik (Roli Hofer), entwickelt aus einem Element der Freske «Rückzug von Marignano» von Ferdinand Hodler. © Schweizerisches Nationalmuseum

Zur Ausstellung 1515 Marignano gibt es die Begleitbroschüre Gesichter einer Kriegsgeschichte, in der Männer und Frauen und ihr Bezug zu den damaligen Ereignissen porträtiert werden (23 Franken). Ein reiches Rahmenprogramm mit Debatten und Führungen zu Fragen der Politik, Bewaffnung oder Medien jener Zeit sowie besondere Anlässe für Familien mit Kindern und ein Service für Schulklassen ermöglichen eine unverstellte Sicht auf dieser Schlacht der Giganten samt Ursachen und Wirkungen.

 

Bis 28. Juni

Für Wissensbegierige: die Volkshochschule plant vom 29. April bis 10. Juni eine Ringvorlesung.

Für Paris-Reisende: Gleichzeitig mit dem Schweizerischen Nationalmuseum zeigt die Bibliothèque nationale de France in Paris eine Ausstellung über den König Franz I., dessen Ruhm mit seinem eklatanten Sieg über die Eidgenossen 1515 bei Marignano einsetzte.

Für Internet-Nutzer noch ein paar Links:
– Hurra verloren. eine Aktion des Netzwerks Kunst und Politik
– Hinweis auf Thomas Maissens neue Schweizer Geschichte sowie auf ein den Streit um Neutralität ergänzendes Referat
– Website der Stiftung pro Marignano

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