StartseiteMagazinGesellschaftCaritas-Schweiz, seit Jahren etabliert und immer am Puls der Zeit.

Caritas-Schweiz, seit Jahren etabliert und immer am Puls der Zeit.

Seniorweb–Interview von Judith Stamm mit Hugo Fasel, Direktor Caritas-Schweiz, Luzern

Caritas–Schweiz, gegründet 1901, ist ein über hundert Jahre altes Hilfswerk, das sowohl in der Schweiz als auch im Ausland tätig ist. Seit acht Jahren ist Hugo Fasel, geb. 55, ausgebildeter Ökonom, ehemaliger Nationalrat und Präsident der Gewerkschaft Travail.Suisse, Direktor von Caritas Schweiz.


Judith Stamm beim Interview mit Caritasdirektor Hugo Fasel im Hauptsitz in Luzern

Judith Stamm: Herr Fasel, vor kurzem wurde im KKL Luzern der „Prix Caritas 2017“ an zwei kolumbianische Menschenrechtsaktivisten verliehen. Was hat es mit diesem Preis auf sich? Es geht ja sicher nicht nur um die Übergabe einer Geldsumme.

Hugo Fasel: Mit dem „Prix Caritas“ wollen wir den Bemühungen von Pionierinnen und Pionieren ein Gesicht geben. Im aktuellen Fall geht es um zwei Friedensaktivisten. Luz Estela Romero und Ricardo Esquivia stehen je an der Spitze von zwei Menschenrechtsorganisationen in Kolumbien. Diese setzen sich ein für eine verstärkte politische Beteiligung der Frauen, für die Respektierung der Menschenrechte und für den Friedensprozess in Kolumbien. Ein Zusammenschluss von zehn Schweizer Hilfswerken sowie das EDA unterstützen die beiden Organisationen. Auch die Preissumme kommt einem Projekt der Preisträger zugute.

Die Geste der Verleihung des „Prix Caritas“ vor Publikum soll den Geehrten Anerkennung bezeugen und Mut machen für ihr weiteres Engagement in schwierigem Umfeld.

Was sind denn Ihre alltäglichen Aufgaben als Direktor von Caritas-Schweiz?

Drei Punkte: ich führe ein grosses, vielfältiges Unternehmen mit über 300 Mitarbeitenden. Unser jährliches Budget beträgt 110 Millionen Franken. Das ist die betriebswirtschaftliche Seite.

Dann ist es, zusammen mit meinem Team, meine Aufgabe, die gesellschaftlichen Veränderungen zu beobachten. Unsere Aufmerksamkeit gilt den Fragen: „Wo entsteht neue Armut?“ „Wer wird in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt?“. Dabei beschäftigen wir uns mit der Situation in der Schweiz, aber auch mit den weltweiten Entwicklungen.

Mit innovativen Projekten wollen wir uns der Armut und der Marginalisierung der Menschen entgegenstemmen und Lösungen aufzeigen. Dabei scheuen wir auch vor politischer Einmischung nicht zurück. Denn es gilt, die Ursachen zu bekämpfen.

Wenn wir nur die Symptome lindern, ändert sich nichts!

Der Hauptsitz der Caritas in Luzern. Hugo Fasel auf dem Balkon des früheren Priesterseminars.

Zuerst eine ganz banale Frage zu den Finanzen. Wer immer einem Hilfswerk spendet, wünscht sich, dass sein Geld den betroffenen Menschen zugute kommt. Wie steht es damit bei Caritas-Schweiz?

In der Schweiz existiert bekanntlich die „ZEWO“, die schweizerische Zertifizierungsstelle für Hilfswerke. Diese prüft die Hilfswerke periodisch unter dem Gesichtspunkt, dass Spendengelder zweckbestimmt, wirksam und wirtschaftlich eingesetzt werden. Caritas-Schweiz hat das Gütesiegel der „ZEWO“. Unser „Administrativaufwand“, um diesen Sammelbegriff zu verwenden, betrug 2016 nur 9,2 % des Spendenaufkommens. Das ist ein sehr guter Wert, wir können uns als eines der effizienten Hilfswerke in der Schweiz betrachten. Unsere Spenderinnen und Spender können zur Kenntnis nehmen, dass wir sparsam und zielgerichtet mit ihrem Geld umgehen. Das wird auch honoriert, die Spenden gehen Jahr für Jahr extrem verlässlich ein. Dafür will ich mich auch an dieser Stelle von Herzen bedanken. Das gibt uns eine gewisse Planungssicherheit.

Von aussen nehme ich Caritas-Schweiz als ausserordentlich vielfältiges Hilfswerk wahr, das auch immer wieder neue Aufgaben anpackt.

Ja, die Gesellschaft verändert sich so rasch, dass immer wieder neue Themen auftauchen. Denken Sie in der Schweiz an die Schulden, welche in der Altersgruppe der 16- bis 25-jährigen auffällig sind. Dem versuchen wir mit Aufklärungsarbeit in den Berufsschulen entgegen zu wirken.

Denken Sie an „Caritas Care“, das Projekt mit Betreuerinnen und Betreuern aus Rumänien und der Slowakei für ältere Menschen. Da ist ja ein richtiger Markt mit verschiedenen Vermittlungsstellen entstanden. „Caritas Care“ bietet legalen Aufenthalt und korrekte Arbeitsbedingungen nach Schweizer Recht. Diese Betreuungsverhältnisse werden auch begleitet. Das dient der Sicherheit der Betroffenen und der Angehörigen.

Denken Sie an die „Bon Lieu“-Restaurants, in denen armutsbetroffene Personen gutes und gesundes Essen zu erschwinglichen Preisen bekommen. Vor vier Jahren wurde das Projekt gestartet. Unterdessen gehören zehn Restaurants in der Romandie und der Deutschweiz dazu. In diesen Betrieben werden auch sozial benachteiligte Menschen beschäftigt.

Caritas-Schweiz ist nicht nur in der Schweiz sondern weltweit engagiert.

Hugo Fasel in seinem Büro

Ja, und hier liegt mir vor allem unsere Arbeit in Afrika am Herzen. Dieser Kontinent befindet sich ja, wie man so schön sagt, „vor den Toren Europas“. Und dass das Mittelmeer keine Barriere darstellt, erleben wir täglich. Ist Afrika eine „Bedrohung“ für Europa? ist es ein „Zukunftsland“? Wie können wir das Interesse und das Verständnis für diesen Erdteil wecken?

Man muss sich vorstellen, dass das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Afrika sich um 18 Jahre herum bewegt.

In der Schweiz betonen wir immer die regionalen Unterschiede. Genf ist nicht Appenzell, das leuchtet jedem ein.

In Afrika sind die Unterschiede zwischen den Regionen unendlich viel grösser. Wie lange dauern Entwicklungsprozesse in unseren europäischen Gesellschaften, wenn wir in unsere Geschichte zurückschauen? Auch die afrikanischen Gesellschaften machen Entwicklungsprozesse durch. Hier muss unser Verständnis wachsen.

Wenn wir in Afrika arbeiten wollen, müssen wir uns immer zuerst mit den lokalen Gegebenheiten vertraut machen. Was sind die Realitäten einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft, eines Clans?

Eine katastrophale Dürre hat Ostafrika fest im Griff. Mehr als 20 Millionen Menschen leiden.

Ich denke an ein Projekt im Tschad. Menschen bekommen das richtige Saatgut, um anzupflanzen. Sie benötigen aber auch Lagerplätze, wo sie die Ernte aufbewahren und Schritt für Schritt verkaufen können. Damit sie ihnen nicht einfach von Händlern zu irgendwelchen Preisen abgenommen wird. Das Projekt arbeitet  mit Minikrediten. Dieses System hat sich sehr bewährt. Die Gruppe bürgt für die Kredite, kontrolliert und hilft sich gegenseitig. Das Geld  bleibt bei den Produzenten.

Ein Vater mit seinem Kind in Somalia.

Ein ganz grosses Thema ist gegenwärtig die Hungersnot in Ostafrika. Wenn wir die menschlichen Einflüsse abziehen, so bleibt die Klimaveränderung als Ursache. Wir reden uns hierzulande die Köpfe heiss über eine CO2-Abgabe. In Afrika herrscht die Dürre und die Menschen sterben.

Spielen auch die Medien als Berichterstatter eine Rolle?

Ja, sicher.  Unsere Medien haben im Zuge der Sparmassnahmen die Zahl der Auslandkorrespondenten reduziert. Das betrifft natürlich auch unsere Arbeit, die Berichterstattung über unsere Einsätze weltweit. Wir sind ja nicht allein in diesem Feld. Wir arbeiten mit anderen Hilfswerken, auch mit staatlichen Stellen, national und international zusammen.

Alle sind auf Akzeptanz und Verständnis für ihre Bemühungen angewiesen.

Wir waren ja beide im Nationalrat, einige Jahre lang gleichzeitig. Ich erinnere mich daran, dass  bei der Arbeit an Gesetzen Begriffe wie „familientauglich“, „enkeltauglich“ aufkamen.

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie dafür plädieren, dass all unser Handeln  „afrikatauglich“ oder noch besser „welttauglich“ sein müsste?

Das ist ein Anspruch, der uns überfordert. Aber so müsste es in der Tat sein! Und bei Caritas-Schweiz bemühen wir uns jeden Tag darum, dem so weit es in unseren Möglichkeiten liegt, gerecht zu werden.

Herr Fasel, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Fotos: Caritas und Josef Ritler

Link zur Caritas: https://www.caritas.ch/was-wir-tun/engagement-weltweit/katastrophenhilfe…

 

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