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Die schwedischen Gummistiefel

Henning Mankell fesselt und berührt mit seinem letzten, posthum erschienenen Roman über einen alternden Arzt – dazu kommt ein Hauch von Krimi.

Auf manche Bücher wird man zufällig aufmerksam. Man liest sie und freut sich, dass sie einem in die Hand gekommen sind. Dann gibt es die Bücher, deren Autor man kennt, sie deshalb mitnimmt – und beim Lesen feststellt, dass dieses Buch ein weiteres Meisterwerk ist. So ging es der Schreibenden mit Henning Mankells nachgelassenem, 2016 erschienen Roman «Die schwedischen Gummistiefel».

Es müssen schwedische Gummistiefel sein, die sich Fredrik Welin bestellt, denn Stiefel aus Billiglohnländern genügen ihm nicht. Er braucht nicht nur neue Stiefel, er muss sich fast alles wieder besorgen. Eines Nachts während des ersten Herbststurms ist nämlich sein Haus komplett niedergebrannt. Im Schlafanzug konnte er sich retten, bald kamen seine Nachbarn mit ihren Booten von allen Seiten, um ihm zu helfen.

Schären der Inselgruppe Åland / commons.wikimedia.org

Der Erzähler Fredrik Welin lebt nämlich auf einer Insel im Schärengarten vor der schwedischen Küste. Er hat sich in das Haus seiner Grosseltern zurückgezogen, als er seine Tätigkeit als Chirurg wegen eines beschämenden Kunstfehlers aufgeben musste. Da er als Arzt lange genug ausreichend verdient hat, kann er eigentlich sorglos leben, denn er achtet zwar auf Qualität, lebt aber sonst bescheiden.

Die Menschen, die sich auf den Schäreninseln niedergelassen haben, sind eigensinnig, ja eigenbrötlerisch, bis auf die Tatsache, dass sie sich gegenseitig helfen, wenn es nötig ist. Sie sehen in Welin immer noch den Arzt, den sie bei kleineren Beschwerden zuerst aufsuchen. Er sagt, seine Praxis sei nun auf der Bank in seinem Bootshaus. Ein regelmässiger Gast ist der ehemalige Briefträger Ture Jansson, ängstlich, was seine Gesundheit angeht, im ganzen Schärengarten als neugierig verschrien und unfehlbar zur Stelle, wenn es beispielsweise um eine Taxifahrt ans Festland geht.

Ohne Janssons Hilfe wäre Welin weniger gut über die ersten Tage nach dem Brand gekommen – und doch, mit der Zeit irritiert ihn Janssons Verhalten. Vor allem als ihm dieser erzählt, die Polizei vermute Brandstiftung. Und wirklich wird er etwas später mit der These der Polizei konfrontiert, dass die Anzeichen dafür sprechen, dass der Brand absichtlich gelegt worden sei – und Welin gerät in Verdacht, was ihn ängstigt. Im Laufe des kommenden Dreivierteljahres wird er herausfinden, was es mit der Brandursache auf sich hat. Die Erkenntnis wird ihn traurig stimmen, denn es ist eine menschliche Unzulänglichkeit, die dahintersteht, aber die Polizei wird sich schliesslich nicht mehr mit dem Feuer beschäftigen müssen.

Blick von der Insel Gullkrona nach Süden / Asea / commons.wikimedia.org

Auch die Lokalpresse interessiert sich für den Brand auf der Schäre. So lernt der ca. Siebzigjährige eine Journalistin, Lisa Modin, kennen, die halb so alt ist. Der alte Mann in seiner brenzligen Lage möchte sich an sie hängen, sich bei ihr die Wärme suchen, die er so oft gesucht hat und vor der er ebenso oft weggelaufen ist. Lisa ist eigenwillig genug, nicht zu viel Nähe zuzulassen, aber mit der Zeit entwickelt sich eine Freundschaft, die beiden guttut.

Nachdem Welin alles verloren hat, ist er einen Moment lang ratlos, wie er sein Leben nun gestalten soll. Er ist gut versichert, damit wäre der Wiederaufbau seines Hauses gesichert. Will er das? Er kann das nur zusammen mit seiner unehelichen Tochter Louise entscheiden – die Beziehung der beiden war bisher sehr gespannt, von den unterschiedlichen Charakteren und Ansprüchen blockiert. Louise kommt rasch auf die Insel und erklärt, dass sie später im wiederaufgebauten Haus leben möchte – zusammen mit ihrer Familie, denn sie erwartet zu Welins Überraschung ein Kind.

Wer Mankells frühere Romane gelesen hat, kennt seine Haltung und seinen Schreibstil: Der Mensch steht im Mittelpunkt; der Autor ist ein Menschenfreund, doch er verschliesst nicht die Augen vor den menschlichen Defiziten. Das gilt auch für «Die schwedischen Gummistiefel». Der alternde Arzt blickt mit guten, zugleich mit gemischten Gefühlen auf sein Leben zurück. Waren es nicht spannende und schöne Jahre, als er von seinem Vater weggelaufen und nach Paris getrampt ist? Wir Lesenden wissen es: Erinnerungen erheitern nicht nur, sie machen auch wehmütig. Was werden die kommenden Jahre bringen? In diesem Wechselbad schaukeln Welins Stimmungen. Wie Henning Mankell diese darstellt, berührt. Im Nachwort schreibt der Autor, dass die Schären, von denen er erzählt, nirgends auf der Landkarte zu finden sind. Alles auf der Erde verändert sich ständig: «So muss es sein. Da Wahrheit immer provisorisch und veränderbar ist.»

Die «richtigen» Gummistiefel erhält Fredrik Welin übrigens kurz vor dem Ende des Romans – ein geschickter Kunstgriff des Autors: In den passenden Stiefeln kann der alte Arzt wieder Tritt fassen im Leben.

 

 

Henning Mankell: Die schwedischen Gummistiefel
Roman; übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
2016; Hanser / Zsolnay; 480 Seiten
ISBN 978-3-552-05795-1
ePUB-Format: ISBN 978-3-552-05808-8

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