StartseiteMagazinGesellschaftEin Lehrstück vom Fortschritt am Berg

Ein Lehrstück vom Fortschritt am Berg

Um ein Haar wäre das Ortsbild von Mathon am Schamserberg nachhaltig zerstört worden. Ein baufälliger Stall sollte einem Parkplatz weichen. Jetzt wird er renoviert und strahlendes Vorbild.

Wer in Mathon, dem kleinen Bergdorf im Schams südlich der Viamala auf der Hauptstrasse vom Gasthof zum Dorfladen wandert, hat einen schönen Blick auf die Dachlandschaft im Dorfkern. Mittendrin liegt ein alter Stall. Um diesen Stall rankt sich ein Konflikt, der die Dorfgemeinschaft fast entzweit hätte.

Zur Aufrichte gibt es im alten Kuhstall Eintopf aus Japan und der Schweiz

Im Pöschtli, dem Amtsblatt der Region Viamala war am 6. September 2012 zu lesen, dass „der Stall auf Parzelle Nummer 35 definitiv“ abgerissen werde. Der Stall steht immer noch, zur Zeit mit einem Baugerüst drum herum. Am Freitag dem Dreizehnten war Aufrichtefest bis in die frühen Morgenstunden, unter den Gästen nebst Handwerkern, Bauherren, Architekten auch jene, die monatelang heftig wegen des alten Stalls gestritten hatten: der Gemeindepräsident, drei Gemeinderäte und die ehemalige Baufachchefin, deren Sohn mit seinem Architekturbüro den Stall zuletzt gekauft hat, unterstützt vom kantonalen Denkmalpfleger. Dieser verfügte in letzter Minute ein Abbruchverbot, eine Vertreterin des Heimatschutzes, hatte eher zufällig über einen Feriengast davon erfahren und die Denkmalpflege unverzüglich unterrichtet.

Der Stall im vergangenen Sommer

Nun wird aus dem verwahrlosten Strickbau ein Rückzugsort für das Architektur-Büro Office Haratori aus Zürich. Dieser exotische Name setzt sich zusammen aus den Nachnamen der beiden Gründer, Nahoko Hara (deutsch Wiese) und Zeno Vogel (japanisch Tori). In Zürich bauen Haratori Hochhäuser und gewinnen Wettbewerbe, in Mathon beissen sie sich an einem Stall, den niemand mehr wollte, fast die Zähne aus.


Freie Fahrt für die Landwirtschaft

Der Stall stand leer, die sieben Bauernbetriebe verfügen über moderne Grossställe. Ausserdem ragte er weit in die Strasse, ein Hindernis für die immer grösseren Traktoren. Die Landwirte besitzen nämlich unter- und oberhalb von Mathon Heuwiesen, welche zumindest zweimal im Jahr gemäht und ebenso oft gedüngt werden. Da müssen die Güllendruckfässer, Mist- und Ladewagen öfters an dem Stall vorbeizirkeln. Ein Abbruch hätte nicht nur die Durchfahrt verbessert, man hätte sommers einen Parkplatz, winters Platz für die Schneeräumung gewonnen.

 Mit Manneskraft wird der Stall zurückgeschoben

Eine Studie über die Stallparzelle und die anstossende mit dem alten Milchhäuschen wurde vom Office Haratori im Auftrag der Gemeinde erstellt. Die Planer empfahlen, die Bauten keinesfalls abzureissen, weil die Lücke dem Ortsbild irreparablen Schaden zufügen würde. Die Architekten waren bereit, den Stall zu kaufen und umzubauen, um ihn zu retten. Allerdings scheiterte das zunächst an einer Auflage der Gemeinde: der Stall müsse 120 Zentimeter zurückgesetzt werden.

Mathoner Dorfkern erhalten

Im eidgenössischen Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz ISOS wird die vor rund 100 Jahren in Kurven durch Mathon gezogene Fahrstrasse kritisiert, weil sie die alte Gitterstruktur des Orts mit Wurzeln im 12. Jahrhundert willkürlich durchschneidet. Dennoch stuft das Inventar das Ortsbild mit seinen alten Steinhäusern und Holzställen, seiner romanischen Kirchenruine und der Barockkirche als schützenswertes Ortsbild ein. Nun regeln kantonale Gesetze diesen Schutz. Das wusste der Gemeinderat nicht so genau, die Mehrheit verfolgte weiterhin Abbruchpläne, während die Minderheit heftig dagegen kämpfte. So fragte sich die Bauchefin im RegionalblattPöschtli, was wertvoller sei, „altes, erhaltenswertes architektonisches Kulturgut oder breitere und damit schnellere Dorfstrassen“ und erinnerte daran, dass andernorts die Planung autogerechter Verkehrswege längst vorbei sei.

Schwere Steinplatten werden verlegt, am 13. Dezember 2013 ist das neue Dach fertig gedeckt

Das Abbruch-Geschäft mit nötigem Kredit kommt Mitte 2012 vor die Gemeindeversammlung. Am selben Tag verfügt die Denkmalpflege den Baustopp, und der Streit eskaliert erst recht, das sei ein Angriff auf die Gemeindeautonomie, eine Einmischung von aussen. Aber fast wie Salomon bringt Denkmalpfleger Giovanni Menghini eine Lösung aufs Tapet, mit der alle leben können. Der Bau wird 50 Zentimeter zurückverschoben, finanziell beteiligen sich Gemeinde und Kanton an den Arbeiten, und das Architekturbüro steigt wieder ein.

Jetzt überwintert der Stall 50 Zentimeter zurückversetzt und auf stabilem Fundament mit einem neuen Dachstuhl, gedeckt mit schweren Steinplatten aus dem Steinbruch in San Bernardino. Man habe sich dort gefreut, war zu hören, dass erstmals seit 65 Jahren wieder Gneisplatten für ein Dach bestellt worden waren. Der Stall wird vielleicht ein Bau, der Besucher anzieht. Architektin Nahoko Hara erinnert an japanische Bauernhäuser: es gibt innerhalb des massiven Strickbaus und der Isolation eine Art japanisches Holzhaus, im ehemaligen Viehstall auf dem Fussboden Tatami, den Raum mit leichten Schiebetüren unterteilbar, erklärt sie, im Obergeschoss entsteht ein grosser Raum zum studieren und diskutieren.

Japanisches Bauernhaus versteckt im Strickbau.

Heute ist Gemeindepräsident Silvio Clopath stolz darauf, dass er am 19. Dezember 2012, also vor präzis einem Jahr die Gemeindeversammlung für einen namhaften Beitrag zur Verschiebung des Stalls gewinnen konnte: einstimmig! Drei Dinge brauche es, sagt Zeno Vogel, nämlich eine Bauträgerschaft, die baut, eine kompetente Denkmalpflege die finanziell mithilft und eine fortschrittliche Gemeindebehörde, die sich um den historisch gewachsenen Dorfkern kümmert. Was ist denn Fortschritt? Wohl kaum der autogerechte Ausbau von Verkehrswegen. Zeno Vogel: „Hier dieser Umgang mit dem Ortsbild, das ist fortschrittlich!“

Gute Lösung für alle

Denkmalpfleger Menghini hofft, dass das Beispiel Schule mache, denn er kämpft fast täglich mit Behörden kleiner Dörfer, welche wenig Verständnis für seine Anliegen zeigen. „Hier ist mit einer einfachen Massnahme eine gute Lösung gefunden worden,“ stellt er fest. Nun soll der Prozess um den kleinen Mathoner Stall mit der grossen Bedeutung für das Ortsbild ein strahlendes Vorbild werden.

Bilder courtesy by Office Haratori, HaPe Vogel, Eva Caflisch

www.mathon.ch

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