StartseiteMagazinKulturEine Schweizer Comédie humaine

Eine Schweizer Comédie humaine

Petra Volpe erzählt im Spielfilm «Die göttliche Ordnung» die Geschichte bis zur Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz 1971: zum Lächeln, Lachen und Nachdenken.

1971: Nora Ruckstuhl, eine junge Hausfrau und Mutter, lebt mit ihrem Mann Hans und zwei Söhnen in einem beschaulichen, kleinen Schweizer Dorf. Hier auf dem Land spürt man wenig bis nichts von den gesellschaftlichen Umwälzungen der 68er-Bewegung. Auch Noras Leben bleibt davon unberührt, denn sie ist eine stille Person, die nie aneckt und von allen gemocht wird, bis zum Tag, als sie anfängt, sich öffentlich und kämpferisch für das Frauenstimmrecht einzusetzen, über das die Männer am 7. Februar abzustimmen haben.

Ihr Widerstand und ihr Bedürfnis, aktiv etwas für die Gleichberechtigung der Frauen zu unternehmen, erwachen, als ihr Mann ihr die Erlaubnis für einen Wiedereinstieg in die Arbeitswelt verweigert und die junge Tochter ihrer Schwägerin Hanna wegen unkonventionellen Verhaltens eingesperrt wird. Nora merkt, dass es nicht reicht, im Stillen für das Frauenstimmrecht zu sein, sondern dass die Frauen es laut und deutlich fordern müssen. Als sie, unterstützt von der verwitweten Vroni, der ehemaligen Bären-Wirtin, beginnt, öffentlich für das Stimmrecht zu werben und eine Informationsveranstaltung zum Thema ankündigt, legt sie sich mit Frau Dr. Charlotte Wipf an, die ihrerseits das «Aktionskomitee gegen die Verpolitisierung der Frau» leitet. Eine weitere Verbündete findet sie in Graziella, einer geschiedene Italienerin, die im alten Bären eine Pizzeria eröffnen will. Gemeinsam reisen sie nach Zürich an eine Demo, wo sie sich anschliessend in einem Workshop mit ihren intimsten Körperregionen beschäftigen. Nora erkennt, dass ihr eheliches Sexleben nicht annähernd das ist, was es sein könnte.

Die grosse Aufbruchstimmung

Bereits mit dem Drehbuch für «Heidi» hat Petra Volpe bewiesen, dass sie für ein breites Publikum eine volkstümliche und sinnvolle Geschichte erzählen, und mit der Regie bei «Traumland», dass sie gesellschaftliche Konflikte ausloten kann. Beides wendet sie in «Die göttliche Ordnung» gekonnt an. Der Film unterhält, schildert die damalige Situation und regt zum Nachdenken an. Für die Nachgeborenen stellt er ein Stück Geschichtsunterricht dar über die Beziehung von Mann und Frau in der Schweiz, für Zeitzeugen Erinnerungsarbeit und -vergnügen. Zu Recht wurde der Film mit dem «Prix de Soleure 2017» ausgezeichnet.

Erwähnenswert scheint mir auch die Arbeit des ganzen Teams: der Darstellerinnen und Darsteller, vorab Maria Leuenberger, die Protagonistin von «Die Standesbeamtin», Sibylle Brunner, die Protagonistin von «Rosy», Max Simonischek, eine tragende Rolle in «Akte Grüninger» sowie die übrigen Frauen und Männer. Ebenso haben die Leute hinter der Kamera ihre Arbeit gut gemacht – klug geführt von Petra Volpe.

Nora, erstmals auf dem Prüfstand

Aus einem Interview mit Petra Volpe

In einem Interview gibt die Regisseurin Antworten auf Fragen, die wohl die meisten interessieren:

«Die göttliche Ordnung» ist der erste Spielfilm über das Schweizer Frauenstimmrecht und dessen späte Einführung 1971. Wie bist du ans Thema herangegangen?

Ich habe zuerst einmal lange recherchiert, um möglichst viele Stimmen zu hören und das Thema von den unterschiedlichsten Seiten zu beleuchten. Erst dann habe ich nach und nach die Figuren entwickelt. Alle sind inspiriert von Frauen, die mir im Laufe der Recherche begegnet sind. Es ging mir bei der Entwicklung des Drehbuchs vor allem darum, die Atmosphäre jener Zeit möglichst genau zu treffen, und nicht um historische Fakten. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die sichtbar macht, wie unfrei die Frauen damals waren, wie sehr sie wie Besitz behandelt wurden und wie gross die Widerstände auch 1971 noch waren, als die Frauen die gleichen politischen Rechte verlangten.

Ist die Figur der Nora angelehnt an eine real existierende Person?

Die Idee für meine Hauptfigur Nora habe ich auf einem grünen Einzahlungsschein der Frauenstimmrechtsgegnerinnen im Gosteli-Archiv gefunden. Da hat eine junge Hausfrau und Mutter in schöner, sorgfältiger Handschrift geschrieben: Sie sei ja sonst nie politisch, aber dieser Aufruf der Stimmrechtsgegnerinnen würde sie jetzt doch so wütend machen, dass sie sich sogar überlege, aktiv für das Stimmrecht zu kämpfen. Das war der erste Funken für Nora, eine Frau, die aufwacht und sich zu einer politischen Person entwickelt.

Warum hast du gerade im Appenzell gedreht?

Im Drehbuch steht «1971 in der Schweiz». Ich habe mir den Film immer auch vom Ausland aus betrachtet vorgestellt, und ich habe einen Ort gesucht, der als Metapher für die Idee der Schweiz funktionieren könnte, und da finde ich das Appenzell perfekt. Doch man macht es sich zu einfach, immer wenn es um dieses Thema geht, mit dem Finger auf diesen Kanton zu zeigen – de facto hat die ganze Schweiz zu lange gebraucht, um den Frauen das Stimmrecht zu geben. Natürlich gab es progressivere Kantone, trotzdem war der politische Wille bis 1971 nicht da, das Thema ganz oben auf die Agenda zu setzen. Im internationalen Vergleich ist das unerhört und schwer verständlich. Es hat meiner Meinung nach mit dem tiefen Konservatismus unseres Landes zu tun, der sich auch heute noch an allen Ecken und Enden zeigt. Dafür, dass die Schweiz ein so weit entwickeltes Land ist, hinkt sie bis heute, was Gleichberechtigungsfragen angeht, hinterher.

Die Widersacherin ist interessanterweise eine Frau. Wieso?

Wie bereits erwähnt, sind die Figuren inspiriert durch die Recherche. Aus heutiger Sicht ist es kaum nachvollziehbar, warum gerade unzählige Frauen 1971 noch so verbissen gegen das Stimmrecht gekämpft haben. Es waren oft sehr gebildete Frauen, Akademikerinnen, Dorfköniginnen, die es sich ganz gut eingerichtet hatten, und die vielleicht einfach nicht wollten, dass ihre Köchin auch etwas zu sagen hat. Wenn man Interviews mit ihnen anhört, kann man fast schon von einem lustvollen Unterwerfungsgestus sprechen. Es ist ein üblicher Mechanismus bei Menschen, die keine Macht haben, sie sagen einfach: Wir brauchen die Macht gar nicht. Dass Frauen in vorauseilendem Gehorsam vehementer gegen die Gleichberechtigung waren als die meisten Männer, ist ein Phänomen, das man auch heute noch beobachten kann.

Wie hast du die anderen Figuren gestaltet?

In allen Figuren und ihren Geschichten drückt sich aus, in welcher Art und Weise die Frauen in der Gesellschaft benachteiligt waren und welche Ungerechtigkeit herrschte, es ging ja nicht nur um das Stimmrecht. Hans kann Nora per Gesetz verbieten, zu arbeiten, Vroni ist abhängig von ihrer Tochter, weil ihr Mann alles verludert hat und Geld Männersache war. Das Ehegesetz hat die Frauen stark von den Männern abhängig gemacht und sie sozusagen zum Besitz des Ehemannes erklärt. Erst 1988 wurde es nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Frau und Mann aufgebaut. In den Frauenfiguren zeigt sich, wie sich diese gesetzliche Benachteiligung auswirkte und das Leben und die Biografie der Frauen bestimmte.

Warum gerade jetzt diese Geschichte? Ist die Zeit besonders reif dafür?

Auch heute noch werden Männer wie Frauen durch die ihnen zugeschriebenen Rollenbilder eingeschränkt. Dieser Umstand ist nachteilig für unsere Gemeinschaft auf ökonomischer, sozialer, politischer Ebene und kann in niemandes Sinne sein. Je gleichberechtigter eine Gesellschaft ist, desto besser geht es ihr, das ist ein statistischer Fakt. In «Die göttliche Ordnung» geht es aber auch um Demokratie, ebenfalls ein hochaktuelles Thema. Abstimmen zu können ist keine Selbstverständlichkeit, die Frauen haben hart dafür gekämpft, und es ist ein hohes Gut, an das wir uns gerade in diesen wirklich schwierigen Zeiten erinnern sollten. Vielleicht müssen sich wieder einmal viele Noras zusammenschliessen und den Laden aufmischen und sagen: So nicht!

Titelbild: An einer Demo in Zürich erleben die Frauen vom Land, was es geschlagen hat

PDF document iconChronologie zur Gleichberechtigung in der Schweiz.pdf

Regie: Petra Volpe, Produktion: 2017, Länge: 97 min, Verleih: Filmcoopi

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