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Höflichkeit verbindet

Höflichkeit können wir als «Schmiermittel» in den Beziehungen zwischen Menschen bezeichnen. Dabei ist es angenehmer, wenn sie so dosiert eingesetzt wird wie das Salz in der Suppe.
Vor kurzem in der S-Bahn nach Bern: Im mittleren Wagen ist zwar viel Platz für Kinderwagen und Rollstuhl, wer jedoch sitzen will, muss sich mit einigem Kraftaufwand einen Sitz runterklappen. Ein alter Mann steigt ein, bleibt aber an der Haltestange stehen, denn offenbar fühlt er sich nicht sicher genug, im schwankenden fahrenden Zug bis zum nächsten freien Platz zu gehen. Zwei junge Männer vor ihm bemerken das und rutschen einen Platz weiter, einer hält ihm den Sitz fest, so dass der alte Mann bequem Platz nehmen kann. – Höflichkeit pur. Für den Rest der Fahrt hat er ein Lächeln im Gesicht. Und die Zuschauende freut’s, wieder einmal das alte Vorurteil über die unhöfliche Jugend widerlegt zu sehen.

Die Klage über mangelnde Höflichkeit der Jugend ist so alt wie unsere Zivilisation. Schon immer hatten junge Leute Phasen, in denen sie den anderen nicht gefallen wollten, sich nicht einordnen wollten. Das ist ein Teil ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Wer provozieren will – ob jung oder alt -, kann nicht höflich sein. Jugendliche sind noch daran, Tritt zu fassen auf ihrem Lebensweg. Einem Menschen, der mit sich im Reinen ist, fällt Höflichkeit leichter als einem, dem es (noch) an Selbstvertrauen mangelt.

Höflich oder freundlich?

Ein freundlicher Mensch öffnet sich seinem Mitmenschen. Ein höflicher Mensch erweist seinem Mitmenschen Achtung durch höfliches Benehmen, tritt dem anderen aber nicht zu nahe. Höflichkeit wahrt eine respektvolle Distanz. Höflichkeit und Aufdringlichkeit widersprechen sich. – In einer offenen Gesellschaft wie der unseren sind Höflichkeit und Freundlichkeit (fast) Synonyme.

In Gesellschaften, die in festen Strukturen leben, werden die Gesetze der Höflichkeit expliziter definiert und kontrolliert. Höflichkeit gilt als Teil der guten Umgangsformen, diese sind durch zumeist ungeschriebene Konventionen bestimmt, die sich eine Gesellschaft setzt. Sie ändern sich in dem Masse, wie sich die Gesellschaft wandelt. Rituale erleichtern es, die Gesetze im Umgang mit den Mitmenschen einzuhalten. Dabei sind es kleinste Formen, die uns im Alltag begleiten: So ist es unhöflich, nicht mit einem kleinen «Macht nichts» oder «Schon gut» auf eine Entschuldigung zu reagieren.

Waren Benimm-Regeln in der bürgerlichen Epoche bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts Teil der Erziehung, haben die jungen Leute der 68er-Bewegung so kräftig daran gerüttelt, dass solche Vorschriften in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr laut gefordert werden konnten. Es geht jedoch nicht ganz ohne Massstäbe. Höflicher Umgang hat, wie oben erwähnt, mit einem angemessenen Verhältnis von Nähe und Distanz zu tun.

Um die von beiden akzeptierte Nähe zwischen zwei Menschen herauszufinden, kann man ein aufschlussreiches Experiment machen: Zwei Personen stellen sich im Abstand von ca. 4 Meter gegenüber auf und gehen ganz langsam Schritt für Schritt aufeinander zu, bis eine der beiden anhält, weil ihr sonst der entgegenkommende Partner zu nahe käme. Dieser Punkt stellt die Grenze der Höflichkeit plastisch dar. Wer diese unsichtbare Linie überschreitet, verletzt die Sphäre des anderen, er brüskiert ihn, wird übergriffig oder, nicht ganz so schlimm, einfach unhöflich. Es ist spannend, auf diese Weise zu erfahren, wen man wie weit an sich heranlassen möchte.

Echte und unechte Höflichkeit

Sich in den anderen einfühlen zu können, ist eine gute Voraussetzung für eine höfliche bzw. freundliche Haltung. Diese Qualität wurde seit eh und je Taktgefühl genannt. Der Begriff wird heute vielleicht weniger verwendet, im Soziologen-Jargon heisst es «Verhaltensformen für Kommunikationspartner», aber immer ist das gleiche gemeint: den richtigen Ton, die passende Form zu finden, um den Kontakt zu seinem Gegenüber aufrechtzuhalten. Es lässt sich nicht leugnen, dass niemand immer diese ideale Ebene der Verständigung findet. Gelegentliche Ausrutscher von Wut oder Ärger jedoch können mit Höflichkeit wieder ausgebessert werden, denn ein grosszügiger Mensch kann über gewisse Fauxpas höflich hinwegsehen.

Wer jedoch kann, ja, wer will jedermanns Freund sein? Höflichkeit kann nämlich auch vertuschend wirken und zudecken, was eigentlich Anstoss und Ärger erregt. So zeigt sich Höflichkeit zuweilen in der Politik oder im diplomatischen Zeremoniell – und nicht nur dort – als blosse Etikette: Zwar werden die Umgangsformen gewahrt, aber in der Sache kommt man sich nicht näher. Nichts ist unangenehmer, als falscher Höflichkeit zu begegnen. Wir kennen dafür entsprechend deutliche Begriffe, u.a.: Heuchler, Schleimer, «falsche Schlange». Wenn innere Haltung und äussere Umgangsformen nicht zusammenpassen, reagieren wir sehr schnell mit Rückzug, Abneigung oder Aggression.

Höflichkeit ist nicht alles – aber ist ohne Höflichkeit alles nichts?

Besonders schwierig scheint der Umgang im Internet zu sein. Die anonyme Gesellschaft des WorldWideWeb hat sich noch nicht daran gewöhnt, dass nicht der unpersönliche Computer unser Adressat ist, sondern lebendige, fühlende und denkende Menschen, die ebenfalls an ihrem PC oder Handy sitzen. Zu häufig vergisst man, dass es Menschen sind, die sich begegnen, auch wenn diese Begegnung nur virtuell ist.

Seniorweb hat sich eine Richtlinie gesetzt, die Netiquette, die es zu beachten gilt. Manchmal wünschte man sich, die Netiquette würde sich automatisch wie ein mahnendes Fenster auf dem Bildschirm öffnen, wenn die Wogen von Aufregung und Unmut wieder einmal überschwappen.

Über gutes Benehmen und «Anstand», wie es etwas altmodisch heisst, wurde schon unendlich viel geschrieben. Zu empfehlen wäre das leider vergriffene Buch von Sybil Gräfin Schönfeldt «Anstand» (antiquarisch noch erhältlich). Die bekannte Journalistin schreibt erfrischend nüchtern und zeitgemäss. Sie erzählt vom Wandel der Umgangsformen seit der Zeit ihrer Grosseltern im deutschen Kaiserreich um 1900, wobei sie mit Zeitkritik nicht spart. Auch über den legendären Freiherrn Adolf Knigge schreibt sie Bemerkenswertes. Sie sieht den Vater aller Ratgeber für gutes Benehmen als Kind der Französischen Revolution, der statt verstaubter höfischer Etikette in der Gesellschaft neue bürgerlich-liberale Umgangsformen einführen wollte im Sinne von Liberté, Egalité, Fraternité.

Über Höflichkeit aus philosophischer Sicht können Sie auf der Webseite ‹Treffpunkt Philosophie› einen Aufsatz von Gudrun Gutdeutsch lesen.

Angaben zu den Bildern:

 Titelbild: Paul Klee (1903), Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich. / wikimedia.org

– Zwei Elefanten begrüssen sich © Adolf Riess / pixelio.de

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