StartseiteMagazinKulturKatalysator für Krisenbewältigung: Bruder Klaus auf der Bühne

Katalysator für Krisenbewältigung: Bruder Klaus auf der Bühne

Die Theaterproduktion Nimm mich mir! ist der Beitrag der Zürcher Kirchen zum 600 Jahr Jubiläum von Niklaus von Flüe

Festspiele, Vorträge und Ausstellungen prägen ein Jubiläumsjahr. Eine Sonderausstellung im Helvetischen Museum soll sich – so die Ausgangslage des Theaterstücks Nimm mich mir! – Bruder Klaus widmen. Vernissage sei in einer Woche, heisst es, aber auf der Bühne nervt sich der Kurator hilf- und konzeptlos in einer Schaffenskrise.

Auseinandersetzung um das Konzept: Bodo Krumwiede und Annette Wunsch

Rund um ihn Ausstellungsobjekte: Da steht auf der Sackkarre eine lebensgrosse Holzfigur in Blisterfolie, wohl eine Statue des Heiligen, daneben eine Transportkiste, eine kopflose Kleiderpuppe mit Kutte und Überrock, etwas abseits die für die Expo ‘64 geschaffene Monumentalfigur von Franz Fischer als Miniatur auf hohem Sockel, im Hintergrund eine einfache Bank mit dem ominösen Stein darauf, des Bruder Klaus legendäres Kopfkissen, und schliesslich die Zeichnung mit dem Rad der Dreifaltigkeit. Links und rechts der Bühne sind Perkussionsinstrumente aufgebaut – gigantische Gongs, allerhand Gefässe und Klappern sowie eine Posaune – das Werkzeug von Pudi Lehmann, der mit seinen akustischen Eingriffen die Szenen erweitert und vertieft.

Im Prolog, gesprochen von den drei Darstellern, das Heute: Der Mediziner Andi (Ingo Ospelt) erklärt Leben physiologisch, der Kurator Alois (Bodo Krumwiede) stellt die Sinnfrage des Künstlers, die Theaterdirektorin Julia (Annette Wunsch) deklamiert Führungsgrundsätze aus dem Handbuch für Manager.

Der Titel des Stücks Nimm mich mir! ist die vorletzte Zeile des Gebets, das Bruder Klaus im Ranft täglich gebetet haben soll. Es ist eine szenische Recherche, die Texte wurden im Kollektiv entwickelt von Produzent Philippe Dätwyler, Regisseur Hannes Glarner und den drei grossartigen Schauspielern samt dem Musiker. Das Ergebnis ist eine emotional ergreifende und intellektuell fordernde neue Sicht auf den Einsiedler mit dem grossen politischen Einfluss auf die Alte Eidgenossenschaft, ohne ihn zu vereinnahmen oder zu verkitschen.

Die Handlung ist schnell erzählt: Kurator Alois übernachtet im Museum, den Kopf auf einem Stein, er verweigert Essen, kommt in seiner schweren psychischen Krise dem Bruder Klaus scheinbar näher und scheitert dennoch.

Projektionsfigur Bruder Klaus: das Modell der Expo ’64-Skulptur von Franz Fischer

Wir erfahren nebenbei die Vita: Der Obwaldner Niklaus von Flüe (1417 – 1487) war verheiratet und Vater von zehn Kindern, als Ratherr, Richter und Landwirt weitherum anerkannt, jedoch depressiv, anorektisch und von Visionen heimgesucht (heute käme er in eine Anstalt, heisst es auf der Bühne); eine Pilgerreise musste er abbrechen, mit dem Einverständnis seiner Frau Dorothee fand er als Eremit im Ranft ganz nah beim Hof eine Heimstatt.

Die Museumsdirektorin Julia, einst Arbeits- und Lebenspartnerin des durchgedrehten Alois, sieht ihre Jubiläumsausstellung gefährdet und holt ihren Mann Andi zuhilfe. Der Vater ihrer fünf Kinder ist Psychiater, muss jedoch sein Opus Magnum über den Freien Willen wegen seines „Kaninchenstalls“ vor sich her schieben, denn seine Frau sorgt fürs Einkommen, während er sich mit spärlichen Patienten und dem Haushalt abmüht. Wie bei Alois sind die Berührungspunkte mit Niklaus von Flüe gewollt, Andi steht vor einer Forschungsreise nach Indien, wo er seiner Midlife Crisis entkommen will.

Der Perkussionist Pudi Lehmann setzt die existentielle Suche in Klänge um

Bruder Klaus wird zum Katalysator; latente Konflikte brechen aus, Krisen werden akut und fordern Lösungen. Alois gibt seine Tätigkeit als Kurator für seine künstlerische Freiheit auf, Andi will auf der Indienreise zu sich finden, er und Julia stehen vor der Trennung. Gegen Ende der Vorstellung räumt Julia die Bruder-Klaus-Versatzstücke beiseite und verkündet im leeren Bühnenraum, sie plane eine andere Ausstellung: Fokus Dorothee. Leere als Sinnbild für den Neuanfang, den die drei Protagonisten suchen.

Diese starke Frau neben den zaudernden, sich in die Jugendzeit oder in Hirngespinste flüchtenden Männer, ist eine Seeleverwandte von Dorothee von Flüe: Sie ist gebunden und autonom zugleich, übernimmt Verantwortung und lässt die Wünsche der anderen zu.

Die szenische Recherche Nimm mich mir! vermittelt ein radikal anderes Bild des Heiligen und seiner Ehefrau Dorothee als das tradierte. Ein Bild, das sich an der zeitgenössischen Geschichtsforschung orientiert.

Ingo Ospelt als Psychiater in lässig-elegantem Outfit neben dem Eremitengewand

Historiker, Autor und Bruder-Klaus-Forscher Pirmin Meier besuchte die Uraufführung und freut sich, dass Regisseur Hannes Glarner „aus Klaus bewusst das macht, was fast immer aus ihm gemacht wurde: eine Kunstfigur.“ Hier gibt es keinen Schauspieler, der den Klaus darstellt, aber ein Projekt, bei dem fünf Theatermenschen intensiv mit Quellenstudium und Gesprächen das auszuloten versuchen, was dieser rätselhafte und zugleich so vereinnahmte Mystiker mit politischem Gespür und grossem Charisma heute bedeuten könnte: Die Auseinandersetzung mit dem historischen Bruder Klaus könnte beispielsweise Antworten auf existentielle Fragen geben. Nochmals Pirmin Meier: „Im Gegensatz zu kirchlichen, religiösen und politischen Beanspruchungen hat man den Eindruck, dass diese Aufführung Bruder Klaus nun endlich Bruder Klaus sein lässt.“

Der Psychiater, der sich selbst nicht helfen kann – wie Bruder Klaus einst.
Der Künstler, der sich psychotisch in den Mystiker hineinsteigert, so dass es schmerzt und dennoch Freude macht, weil Bodo Krumwieses Interpretation des Alois den Bruder Klaus nicht verbiegt, sondern auf Distanz hält. Seine oder Andis Lebenskrise haben nichts mit jener des spätmittelalterlichen Weltflüchtigen zu tun. Und Dorothee, gespiegelt in Julia, die trotz Klara Obermüllers Buch noch zu oft als bedauernswerte verlassene Frau bemitleidet wird, bekommt ihren Status als spätmittelalterliche Hofherrin von grossem Ansehen zurück. (Vielleicht bringt das Jubiläumsjahr 2017 nicht nur Zwingli und Bruder Klaus ein realistischeres Image, sondern auch einen neuen Blick auf deren Frauen. Beide waren eigenständige, weltgewandte Persönlichkeiten, so weit sich das aus den Quellen erschliesst.)

Die Schauspieler Ingo Ospelt, Bodo Krumwiese und Annette Wunsch mit Bruder Klaus als Skulptur

Die Uraufführung in der Helferei, einem Zentrum der reformierten Kirche gleich beim Grossmünster, hat inhaltlich, formal und mit grossartigen Darstellern überzeugt, nun geht das Stück auf Tournee. Institutionen oder Vereine – kirchliche und andere – können Nimm mich mir! engagieren. Die nächsten Aufführungen sind in der Liebfrauenkirche in Zürich Anfang Mai. Hier finden Sie den laufend aktualisierten Tourneeplan.

Fotos: © Philippe Dätwyler   

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