Kein Ende der Reise

Der Roman von Yvonne Adhiambo Owuor «Der Ort, an dem die Reise endet» schildert Szenen aus Kenias jüngster Vergangenheit.

Ein Beginn wie in einem Thriller: Ein junger Mann wird in den Strassen Nairobis verfolgt und schliesslich ermordet. So unvermittelt stürzt die Leserin, der Leser in diesen Roman und muss sich im Laufe der Lektüre zurechtfinden: Odidi Oganda, ein junger erfolgreicher Mann, im trockenen Norden Kenias aufgewachsen, ist irgendwelchen politischen Gruppen in die Quere gekommen und wird deshalb erschossen. Seine jüngere Schwester Ajany, als Künstlerin nach Brasilien ausgewandert, kommt heim und gemeinsam mit ihrem Vater Nyipir bringen sie den Leichnam nach Hause auf ihre Farm, nach Wuoth Ogik. Dieser Name bedeutet, wie wir später erfahren: der Ort, an dem die Reise endet.

Yvonne Adhiambo Owuor  © Courtesy of Bobby Pall for Footprints Press Ltd

Die Autorin verwebt in ihrem Roman kenianische Geschichte und Traditionen, jede der Figuren verkörpert einen anderen Aspekt, alle sind miteinander verbunden. Die englische Kolonialherrschaft finden wir im Wohnhaus der Familie Oganda, dem «Korallenschloss», das vom englischen Offizier Hugh Bolton erbaut wurde, wohl aus korallenroten Backsteinen. Als die Engländer abzogen, durfte sein Boy – Nyipir – das Haus samt seiner Bibliothek übernehmen. Im Laufe der Geschichte wird Isaiah Bolton auftauchen, um nach Spuren seines Vaters zu suchen. Durch die elektronischen Medien war er in Kontakt mit Odidi gekommen und hofft, nun etwas mehr über seine Herkunft zu erfahren, denn seine Mutter ist mit ihm nach England zurück, als er noch sehr klein war, und weigerte sich stets, von Kenia zu erzählen.

Nyipir Oganda ist Viehzüchter, aber mit Waffenschmuggel hat er wahrscheinlich mehr Geld verdient. So verhält es sich mit vielen der Romanfiguren, besonders mit denen in der Hauptstadt: Sie haben ein Amt, aber ihren Wohlstand verdanken sie krummen Geschäften. Nichts geht ohne Schmiergeld, ohne Drohungen, ohne Mord oder Zerstörung. Diese Missstände anzuklagen, gehört zur Motivation der Autorin.

Die Herzlichkeit der Menschen, ihre Launenhaftigkeit, ihre Gier, den eigenen Vorteil auszunutzen, andererseits auch ihre Hilfsbereitschaft, ihre Verbundenheit untereinander, das alles schildert Yvonne Adhiambo Owuor in kraftvollen Szenen. Das Buch liest sich leicht – trotz seines Umfangs. Die Autorin schreibt bildhaft und genau. Wer sich schon einmal mit Afrika befasst hat oder eine Reise dahin unternommen hat, wird sich an vieles erinnern, was ihm dort begegnet ist. Ihr Roman lebt von seinen Handlungssträngen, weniger vom Nachdenken über Geschehenes. So will Ajany im Gespräch wissen, wie ihr Bruder umgekommen ist, und fährt deshalb nach Nairobi zu den Menschen, von denen sie weiss, dass sie Informationen haben. Aber nicht jeder erzählt alles, was er weiss – es könnte ihm ja selbst schaden.

Die Vergangenheit und das afrikanische Erbe blitzen hinter vielem auf: Nyipirs Viehhüter Galgalu verkehrt mit traditionellen Heilern, besucht aber, wenn es sich als notwendig erweist, auch die katholische Mission, die nur noch sehr zurückgezogen existiert. Odidi Oganda bekommt von seiner Familie ein traditionelles Steingrab, wie es sich für seine Familie gehört, obwohl er längst nicht mehr den Traditionen gemäss lebte. Er hatte als junger Ingenieur in Nairobi eine vielversprechende Karriere begonnen und war zudem seit seiner Schulzeit ein bewunderter Rugby-Spieler. Auch seine Schwester hatte die Schule besuchen dürfen und war anschliessend sogar ins Ausland gegangen, um Künstlerin zu werden. – Und doch, Wuoth Ogik war ihr Zuhause gewesen. Beide wussten, dass ihr Vater stolz auf sie war, ihre Mutter hingegen flüchtete sich immer wieder an unbekannte Orte. Auch als Vater und Tochter den Sohn tot nach Hause bringen, ist sie verschwunden, nur im Gedächtnis der Familie bleibt sie stets präsent.

Wuoth Ogik, der Ort, an dem die Reise endet, liegt zuletzt in Schutt und Asche und ist doch der Ausgangspunkt für neue Wege. Ajany Oganda und Isaiah Bolton werden ein Stück Weg gemeinsam zurücklegen – das wird nur angedeutet. Mit einem wiedergefundenen Freund zusammen wird Nyipir sich einen lange unterdrückten Wunsch erfüllen und nach seinem Vater und seinem Bruder in Burma suchen, wohin die beiden vor Jahrzehnten als Soldaten des englischen Kolonialheeres geschickt worden waren.

Vieles bleibt im Ungewissen, das ist wohl die Absicht der Autorin, denn das Original trägt den Titel «Dust» (Staub, Dunst). Im steppenartigen, windigen Norden Kenias gibt es viele dunstige Tage, an denen Sand und Staub die Sicht einschränken. Auch im Schicksal der Menschen, besonders in dem der Mutter von Odidi und Ajany, bleibt vieles im Dunst, und auf Vergangenes legt sich eine Schicht Staub.

Yvonne Adhiambo Owuor lebt in Nairobi, im Land, über das sie schreibt, im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die nach Europa oder in die USA ausgewandert sind. Sie ist 1968 geboren, schreibt Englisch und hat bisher Kurzgeschichten veröffentlicht. Von 2003 bis 2005 leitete sie das internationale Filmfestival in Sansibar. «Der Ort, an dem die Reise endet» ist ihr erster Roman. Die Autorin hat lange daran gearbeitet, den Anstoss hatten die Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen 2007 gegeben. Der Roman erschien 2014 im Verlag Alfred A. Knopf, New York und hat ihr den Jomo Kenyatta Prize for Literature eingebracht.

 

Yvonne Adhiambo Owuor, Der Ort, an dem die Reise endet.
Roman, übersetzt von Simone Jakob.
Verlag Dumont 2016. 512 Seiten. ISBN 978-3-8321-9820-6.
Auch als E-Book erhältlich.

Leseprobe

 

 

Dieses Buch ist in der Reihe «Der Andere Literaturclub» erschienen, einem Projekt von artlink, Büro für Kulturkooperation, das mit litprom verbunden ist. Ziel von artlink ist es, Kunstformen, Künstler und Künstlerinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa bekannt zu machen sowie die Arbeit der in die Schweiz eingewanderten Kulturschaffenden zu unterstützen. Dies als Ausdruck einer der Welt gegenüber offenen Schweiz, die in der interkulturellen Zusammenarbeit eine Chance wahrnimmt, eurozentristische Haltungen zu relativieren, den Respekt vor anderen Formen, Traditionen und Wertesystemen zu fördern und die Welt auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.

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