StartseiteMagazinKulturLuftschiff im Aerozän

Luftschiff im Aerozän

Im Museum Haus Konstruktiv zeigt Tomás Saraceno seinen Traum vom Fliegen als soziale Utopie am angedockten Modell

Das Aerozän, das Zeitalter der Luft oder der Atmosphäre ist angebrochen, sagt Tomás Saraceno. Der argentinische Künstler und Architekt, sucht nach realsierbaren Projekten fürs Überleben der Menschheit angesichts der globalen Bedrohung durch Bevölkerungsexplosion und Klimaerwärmung. Sowohl Vorbilder in der Natur als auch Erkenntnisse in der Technik sollen Lösungen bieten. Im Rucksack hat Tomás Saraceno, der sich an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und exakten Wissenschaften umtreibt, als wichtige Inspirationsquelle die russischen Konstruktivisten. Das als Begründung warum er mit seiner ersten Einzelausstellung in der Schweiz im Haus Konstruktiv am richtigen Ort ist.

Diese Globen könnten auch fliegen, sagt Tomás Saraceno. Foto: E. Caflisch

Riesige Sphären – transparent, teilweise verspiegelt, mit Netzen und Linien durchzogen, schweben im Raum, hier sind sie allerdings mit Schnüren angedockt. Aber die grösste, sagt Museumsdirektorin Sabine Schaschl, sei schon richtig geflogen, von Berlin bis nach Polen. Saraceno will Raumkapseln entwickeln, die Wohn- und Transportmöglichkeiten für die wachsende Erdbevölkerung bieten, unter Berücksichtigung des Klimawandels und mit der Absicht, die Natur so unversehrt wie möglich zu belassen.

An der Wand neben den Kugeln hängt ein handfestes Gepäckstück mit allem Nötigen für ein Experiment: Der Aerocene Explorer ist ein Starterkit für den Fesselflug eines dunklen, leichten Objekts, ausgestattet mit Kamera und diversen Wettersensoren, die Bilder und Daten sammeln. Am Sihlufer vor dem Museum ist ein Flug gelungen, wie das Handyvideo eines Assistenten zeigt. Seine Installationen erfindet dieser Visionär nicht allein, er arbeitet mit Physikern, Biologen, Ingenieuren und Architekten zusammen, um die luftgefüllten Skulpturen, Kugeln und andere Formen, dank Thermodynamik, das heisst dank der Temperaturunterschiede drinnen und draussen, also ohne Helium oder ähnliches zum Schweben zu bringen. So präsentiert er auch einen umgedrehten „Calder“ : ein Mobile mit schwebenden Ballonen, das am Boden festgemacht ist.

Der Aeroscene Explorer fliegt hier in Bolivien. Photo: Studio Tomás Saraceno, 2016

Während es bei diesen Konstruktionen entweder viel Einfühlungsvermögen, und Glauben an eine umweltfreundliche reale Utopie fürs Weiterleben der Menschheit in Wokenstädten braucht, zeigt Saraceno eine zweite Installation, in deren Zentrum eine lebende Spinne aus Afrika, eine Nephila senegalenis steht: Der Künstler, den die Umweltzerstörung umtreibt, hat neben neuen Lebensräumen ein zweites grosses Thema: die Netzstruktur. Ein Raum im Museum ist dem Arachno-Konzert gewidmet. Das Orchester sind ausser der Spinne der kosmische und der irdische Staub im Raum, die Ausstellungsbesucher, die sich darin bewegen und – natürlich – reichlich Technik. Zunächst aber gilt es, mutig einen zunächst ins Stockfinstere einzutreten, wo fern die Spinnenfäden dank einer Lichtquelle silbrig leuchten. Dieses Netz ist mit einem Mikrofon verbunden: Sobald die Spinne sich bewegt, entstehen Vibrationen, die simultan akustisch umgesetzt und als Sound den Raum beschallen. Zusätzlich erzeugt der von einer Kamera aufgenommene und auf eine Leinwand projizierte Staub im Raum, in Bewegung gesetzt einerseits durch die Lichtquelle, andererseits durchs Publikum sowie durch Aktivitäten der Spinne ebenfalls Klänge. Somit ergibt sich eine Interaktion, von der sich Saraceno erhofft, „dass ich alle in diesem kosmischen Getöse vereinen kann.“ (Spinnen und ihre Fäden sind übrigens auch in der medizinischen Forschung zur Zeit in Mode: dort geht es um die Entwicklung von Substraten für erfolgreiche Transplantate beispielsweise. Mehr davon gibt es hier.)

Silbrige Fäden der Seidenspinne in der «Dunkelkammer»: Arachno Concert. Foto: E. Caflisch

Die offensichtlich ernst gemeinten Absichten auf der Suche nach der Weltrettung – Saraceno arbeitet auch mit einem Nasa-Institut und mit dem Massachusetts Institute of Technology MIT zusammen – ergeben im Haus Konstruktiv anregende, auch amüsante Einblicke in einen ungewöhnlichen Kosmos. Übrigens: Die grosse Spinne, obwohl nicht im Glaskasten, sie spinnt ihr Netz in einem offenen Kubus aus Metallstäben, beisst nicht, im Gegenteil, es ist vielmehr ein Glücksfall, wenn sie bei einer Bewegung beobachtet werden kann. Zum fressen zieht sie den Arachnophoben gewöhnliche Grillen vor. Saracenos Installationen werden ergänzt durch filigrane „Zeichnungen“ von Spinnennetzen (Photogramme) sowie eine betretbare Netzstruktur und einem „ewigen“ Film – er dauere über 1000 Jahre – von Wolkenstädten, dessen Bilder an den Sternenhimmel in Gegenden ohne Lichtverschmutzung erinnern.

Bis 3. September
Museum Haus Konstruktiv

Auf die zeitgleich eröffnete Retrospektive des Schweizer Objektkünstlers und Bildhauers Jürg Stäuble (*1948) werden wir zu einem späteren Zeitpunkt zurückkommen.

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