Von Stroh zu Gold

Die Freiämter Hutgeflechtindustrie – ein Musterbeispiel Schweizer Industriegeschichte im ländlichen Raum.

Jetzt liegen sie wieder auf den Feldern, die Strohballen, die der Mähdrescher zurückgelassen hat. Stroh gehört zu den verbreitetsten und vielseitigsten Materialien, die seit Urzeiten Mensch und Tier dienten. Strohhütten, Strohdächer, mit Stroh gefüllte Matratzen, Strohsterne und unzählige aus Stroh geflochtene Dinge benutzten früher nicht nur die Bauern selbst, sondern auch die Städter. Vieles, was früher aus Stroh gefertigt wurde, besteht heute aus modernen Kunststoffen, denken wir nur an den Strohhalm für den kühlen Sommerdrink.

Dekorationsstücke aus Stroh

Mit dem Strohhalm beginnt die Geschichte der Hutgeflechtindustrie, die wir im «Strohmuseum im Park» in Wohlen AG entdecken können. Es ist ein Phänomen, das historisch Interessierten in der Schweiz an verschiedenen Orten begegnet: Findige Menschen geben armen Bauernfamilien – meist den Frauen – eine Möglichkeit, als Zusatzverdienst eine Heimarbeit zu übernehmen.

Im Appenzellerland sind es Stickereien und Klöppelspitzen, andernorts steht in einem Nebenstübchen oder im Keller ein Webstuhl; auch Schuhe oder Kämme z.B. wurden im 18. Jahrhundert teilweise von Bauern in Heimarbeit hergestellt.

Um 1830 zur Blütezeit der «Garniturperiode» von Hand geflochten

Im Aargau, genauer gesagt im Freiamt um Wohlen herum, entdeckte man, dass man die Strohhüte, die zweifellos schon immer als Sonnenschutz bei der Feldarbeit getragen wurden, so verbessern konnte, dass sie Gewinn einbrachten.

Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand dort und im Zusammenhang damit auch in Sarnen OW die Hutgeflechtindustrie. Mit der Zeit wurden diese Arbeiten so perfektioniert, dass es in Sarnen eine «Flechtschule» gab.

Detail einer Zierdecke

Ob es Stickereien oder Strohgeflechte waren, die Strukturen all dieser Kleinindustrien waren vergleichbar. Die Frauen oder Männer in den Bauernhöfen erhielten ihre Aufträge nicht direkt vom Händler im Städtchen, sondern von einem Zwischenhändler – dem Fergger. Er war es, der die Bäuerinnen mit dem notwendigen Material, auch mit Werkzeug versorgte. Den fertigen Strohhut lieferte er an seinen Auftraggeber, den Händler – damals Verleger genannt -, der ihn weiterverkaufte.

Mithilfe von aufgesteckten Stäben wurden feinste Schnürli geflochten.

Schon damals entstanden raffinierte Kunstwerke aus feinstem Stroh, ganz von Hand hergestellt. Im Museum werden die verschiedensten Werkzeuge gezeigt und die Methoden erklärt, wie das Stroh bearbeitet wurde und welch feine Muster entstanden. – Man verwendete übrigens vorwiegend Roggenhalme, die sich besser für die Verarbeitung eigneten. Ausserdem gedieh damals im Aargau Roggen besser als Weizen. Kunsthandwerkerinnen schwärmen von Stroh, richtig bearbeitet, glänze es wie Gold. Von einer Strohkünstlerin hörte ich, dass sie ihr Material am liebsten aus Russland beziehe. Von dort erhalte sie besonders dicke, stabile und doch biegsame Halme.

Eine Roggenschaube

Mit dem Beginn des Maschinenzeitalters im 19. Jahrhundert änderte sich auch die Arbeit mit Stroh: Die Heimarbeit wurde in Fabriken verlegt. Nun wurde die Hutgeflechtindustrie für knapp hundert Jahre ein für diese Gegend bedeutsamer, exportorientierter Wirtschaftszweig. Der Einsatz verschiedener einfacher Maschinen ersetzte die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht, aber die Tätigkeit änderte sich. Es gab Hutnähmaschinen und Dampfhutpressen.

Der frisch geknüpfte «Röhrlihut» wurde mit Dampf leicht gepresst und dann dekoriert.

Im Laufe dieses Jahrhunderts der Erfindungen wurden neue Materialien entwickelt, Kunststoffe, die auch in der Hutindustrie beliebt wurden. Den Freiämter Hutmanufakturen gelang diese Umstellung. Erst der Wandel in der Mode, der eigentlich einen Wandel der Gesellschaftsnormen bedeutete, führte zum Ende der Herstellung von Strohhüten im Freiamt. Denn mit dem sich wandelnden Selbstverständnis der Frauen ging auch ihr Bedürfnis einher, sich von alten Konventionen zu befreien, Hüte aller Art kamen aus der Mode. Schliesslich verzichteten auch die Männer weitgehend auf Hüte, seien sie aus Stroh oder Filz.

Nähmaschine

Das Strohmuseum besteht zwar schon seit 1976, zog aber erst vor wenigen Jahren in die ehemalige Villa des Strohfabrikanten Isler. 1860 hatte sich Friedrich August Isler die Villa mit dem hübschen Park erbaut – auch dies ein Charakteristikum seiner Zeit. Grössere oder kleinere Industriepatriarchen bauten sich in der Nähe oder direkt neben ihrer Fabrik eine repräsentative Villa.

Das Museum ist mit allen Mitteln der modernen Kommunikation eingerichtet. Neben vielen Beispielen des Geschicks der Strohflechterinnen – zu sehen u. a. in einem Paternoster zwischen den drei Etagen – können wir die Entwicklung der Strohverarbeitung im Laufe der Geschichte studieren, vom feinsten geflochtenen Strohhalm bis zu Kunstwerke wie Zierdecken oder einem Messgewand mit Strohdekorationen. Vieles kann berührt werden, und wer Lust hat, kann sich selbst an Stroharbeiten versuchen. Im denkmalgeschützten Badezimmer der Villa ist eine Hutanprobe-Station eingerichtet. Für einen Besuch von Grosseltern und Enkeln ist das Museum sehr geeignet.

Jeweils am ersten Sonntag eines Monats findet eine öffentliche Führung statt.

Strohmuseum im Park

alle Fotos: mp

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