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Streitschrift für die Alpen

Weder die Wildnis, noch den Freizeitpark für urbane Erholungssuchende sieht Werner Bätzing als Zukunft des alpinen Lebensraums

Der Bergfrühling ist endlich da. Man sieht’s: der Schnee schwindet, hinterlässt braune Flecken, bald übersät mit Krokusblüten, Wasser tosen zu Tal, Wiesen werden grün. Man riecht’s: die Bauern leeren ihre Miststöcke und Güllenspeicher und bringen ihren Hofdünger, der wegen vieler Tiere im Überfluss anfällt, auf die Wiesen aus, decken die Krokusblüte zu. Man hört’s: Seilbahnen und Skilifte stehen still, Baumaschinen und Kräne fahren auf.

Bergfrühling kurz nach der Schneeschmelze

Die Alpen sind in Gefahr, sagt Werner Bätzing (65). In Gefahr zu verwildern, unbewohnbar und unbewohnt zu werden. Oder auch punktuell übernutzt und als Anhängsel der städtischen Räume zerstört zu werden, wie eine Besichtigung beispielsweise von Davos oder Chamonix deutlich macht.

 Werner Bätzing. Foto Uli Ertle

Am 4. Februar 2015 wurde Werner Bätzing, bis Juli 2014 Professor am Institut für Geographie der Universität Erlangen-Nürnberg FAU, mit dem Deutschen Alpenpreis von der Alpenschutzkommission CIPRA für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Seit Mitte der 1980er Jahre prägt Bätzing als einer der bedeutendsten Alpenforscher die Diskussion um die Entwicklung und den Schutz der Alpen.

Werner Bätzing war Buchhändler und wandert gern. Die sich entvölkernden Talschaften des Piemonts, die zerfallenden Dörfer brachten ihn vor über dreissig Jahren dazu, Geographie zu studieren. Jetzt ist er emeritiert und hat sein Hauptwerk Die Alpen zum dritten Mal vollständig überarbeitet und aktualisiert. Er wandert immer noch, kennt also die Alpen südlich und nördlich der Hauptkette aus der Nähe. Sozusagen als Abfallprodukt oder besser als Fanal hat er Zwischen Wildnis und Freizeitpark. Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen herausgegeben, ein dünnes, leicht zu lesendes Buch, welches seine zentralen Thesen zur Bedeutung und Gefährdung des Alpenraums für die Gesellschaft kurz und klar darstellt.

Das Ziel: die Alpen sollen auch in Zukunft ein lebenswerter Lebensraum bleiben. Die Gefahr: Die Alpen verlieren als Randregion mit schwacher Wirtschaft ihre Bedeutung. Sie verwildern durch Abwanderung. Das Aufgeben ganzer Landstriche wegen zu teurer Infrastruktur wird längst nicht mehr nur in neoliberalen Kreisen diskutiert, an diese Art Sachzwänge glaubt bald eine Mehrheit.

Einige Gegenden werden auch als Erholungs- und Abenteuerspielplatz für die urbane Bevölkerung um- und ausgebaut. In der Berglandwirtschaft sollen zudem ähnliche Normen und Ziele gelten, wie im flachen Land. Das alles zerstört die uralte gewachsene und gehegte Kulturlandschaft Alpen, welche – so wird Werner Bätzing nachweisen – für das Überleben der Gesamtgesellschaft bedeutsam ist. »Werner Bätzing ist der bedeutendste Sprecher jener Bergkultur, von der die Zukunft der Alpen abhängt,« ist auch Bergsteiger Reinhold Messner überzeugt. Die Broschüre Zwischen Wildnis und Freizeitpark ist in drei Teile gegliedert:

1. Zur aktuellen Situation : Die Alpen verwildern
2. Welche Zukunft für die Alpen? Fünf Zeitgeist-Perspektiven
3. Eine unzeitgemässe Perspektive: Die Alpen als dezentraler Lebens- und Wirtschaftsraum

Letztlich sind es Rezepte, die den sprichwörtlichen Satz Geld regiert die Welt kritisieren und kulturelle Werte dagegen stellen. Vermutlich nur Minderheiten wissen noch, dass die Weiden und Matten in den Alpen insofern Menschenwerk sind, als ohne Bewirtschaftung und Beweidung die Verbuschung oder je nach Höhenstufe der Wald sich ausbreitete. Und kaum jemand ist sich der Unberechenbarkeit der alpinen Natur bewusst, der sich die Menschen anpassen müssen.

Skipisten hinterlassen Narben. Grafenmatt beim Feldberg. Foto wikicommons

Nach Bätzing ist der Tourismus keine nachhaltige Lösung, so wenig wie moderne Intensivlandwirtschaft, auch wenn gerade Alpenkantone hierzulande sie für die wirtschaftliche Entwicklung der so genannten Randregionen für unerlässlich halten. Das Ausbeuten der natürlichen Ressourcen funktioniert in den Alpen ebensowenig wie global, aber es ist schneller sichtbar. Es geht in der Streitschrift also darum, die noch vorhandene traditionelle alpine Kultur zu erhalten und zu fördern: „Ich bin überzeugt, dass sich die heutige Wirtschaft und Gesellschaft selbst zerstört. Darum ist es unglaublich wichtig, das regionale Wirtschaften zu stärken. Wenn die globalisierten Strukturen zusammenbrechen, braucht es Auffangbecken, Reservemöglichkeiten, mit denen man wirtschaften und leben kann,“ sagt Bätzing in einem Interview mit der WOZ am 20. November 2014.

Die Alpen zeigen deutlicher, wohin die moderne Entwicklung der arbeitsteiligen globalisierten Gesellschaft führt: „Natur als Material, Wirtschaft als Selbstzweck, menschliches Leben als Inszenierung“ entwickelten schnell eine Tendenz zur Selbstzerstörung, schreibt Bätzing, daher könne man die Alpen auch als ein „Frühwarnsystem für Europa“ verstehen und zu «Orten guten Lebens» gestalten.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Bücherberge im Alpinen Museum findet die Buchvernissage mit einem Panel-Gespräch morgen Abend, 6. Mai 2015, um 19 Uhr in Bern statt.

Angaben zum Buch:
Werner Bätzing: Zwischen Wildnis und Freizeitpark. Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen. rotpunktverlag. Zürich 2015. 11 Franken

 

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