StartseiteMagazinGesellschaftAltersvorsorge 2020 – eine Auslegeordnung

Altersvorsorge 2020 – eine Auslegeordnung

Seniorweb–Interview mit Ständerat Konrad Graber, Präsident der Kommission für Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Ständerates, zur Altersreform 2020.

Am 24. September findet die Volksabstimmung über die Altersvorsorge 2020 statt. Mit der Reform sollen die Renten gesichert und die Altersvorsorge an die gesellschaftliche Entwicklung angepasst werden. Die Redaktion Seniorweb behandelt die Vorlage kontradiktorisch. Den Anfang macht ein Interview mit Ständerat Konrad Graber. Das Gespräch führte Judith Stamm.

Judith Stamm: Herr Graber, in Ihrer Eigenschaft als Kommissionspräsident SGK waren Sie massgebend an den Beratungen der „Altersvorsorge 2020“ beteiligt. Die ganze Vorlage ist reichlich kompliziert. Wieso wurden die Reformen von AHV und Beruflicher Vorsorge miteinander verbunden? Wäre schrittweises Vorgehen nicht besser gewesen?

Konrad Graber: Zunächst will ich doch festhalten, dass der Reformbedarf von keiner Seite bestritten wurde. Es herrschte Einigkeit darüber, dass es für beide, AHV und Berufliche Vorsorge, in Zukunft zusätzliche Finanzen braucht. Die geburtenstarken Jahrgänge (1955 – 1964) kommen ins Pensionsalter. Die Lebenserwartung der Menschen steigt an sich erfreulicherweise ständig an (Demographie). Und die Rendite der angelegten Gelder entsprach in den vergangenen Jahren nicht den Erwartungen. Seit Mai 2004 sind sämtliche Revisionsbestrebungen gescheitert. Eine AHV-Revision erlitt vor dem Volk Schiffbruch. Der Vorschlag für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten von AHV und IV fand dabei keine Gnade. 2010 wurde eine entsprechende Vorlage bereits im Parlament versenkt. Dasselbe passierte 2010 mit dem Vorschlag für eine Anpassung des Umwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge in einer weiteren Volksabstimmung. Daraus hat der Bundesrat den Schluss gezogen, dass er eine Revision mit einer Gesamtschau der Altersvorsorge unterbreiten will. So können die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger klar erkennen, welche Fragen anstehen, wie die Antworten darauf aussehen, und wie sich die vorgeschlagenen Massnahmen auf das Gesamte der Altersvorsorge auswirken.

Wie funktioniert heute die Altersvorsorge?

In der Schweiz beruht die Altersvorsorge bekanntlich auf dem Dreisäulenprinzip: der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), der Beruflichen Vorsorge (BVG) und der sogenannten „Dritten Säule“ (steuerbegünstigtes Sparen). Die Vorlage, über die wir abstimmen, befasst sich mit AHV und BVG, und den Konsequenzen der Änderungen in weiteren Gesetzen. Die AHV, welche 1948 die ersten Renten auszahlte, wird durch verschiedene Einnahmen finanziert. Am wichtigsten sind die Beiträge der versicherten Arbeitnehmer und ihrer Arbeitgeber. Sie machen ungefähr drei Viertel der Ausgaben aus. Der Bund trägt 19,55 % der AHV-Ausgaben. Dazu verwendet er Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, aus der Alkohol- und Tabaksteuer, der Spielbankenabgabe sowie allgemeine Mittel. Alle diese Einnahmen gehen direkt an die Rentenberechtigten. Darum nennen wir das System Umlageverfahren. Zur Absicherung von Schwankungen besteht ein AHV-Ausgleichsfonds.

Judith Stamm im Gespräch mit Ständerat Konrad Graber. (Fotos: Josef Ritler)

Und wie steht es mit der zweiten Säule, der beruflichen Vorsorge?

Die berufliche Vorsorge ist seit 1985 in Kraft. Hier kommt das Kapitaldeckungsverfahren zum Zuge. Jeder Arbeitnehmer spart sich ein Alterskapital an, bei dem sich der Arbeitgeber mindestens mit demselben Beitrag beteiligt. Wer weniger als Fr. 21`150.—verdient, zahlt keine Beiträge, erhält aber auch keine Rente. Bis zu einem Lohn von Fr. 84`600.—ist die Versicherung obligatorisch. Hier müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gleichen Teilen Beiträge leisten. Bei Erreichen des Pensionsalters wird der Betrag der Renten aufgrund eines gesetzlich vorgeschriebenen Umwandlungssatzes, der heute 6,8 % beträgt, festgelegt. Wer mehr verdient, kann sich auch im überobligatorischen Bereich versichern, in welchem der Spielraum grösser ist.

Was sind die wichtigsten Punkte der Revision?

Wichtig ist die Frage des Rentenalters, welches auch ein auslösender Punkt für das Zustandekommen des Referendums gegen das „Gesetz über die Reform der Altersvorsorge 2020“ war. In Zukunft sprechen wir hier von Referenzalter. Männer und Frauen sollen ab dem selben Alter Leistungen erhalten, mit 65 Jahren. Frauen und ihre Arbeitgeber werden in Zukunft aber auch ein Jahr länger Lohnbeiträge bezahlen. Dasselbe Rentenalter für Mann und Frau bestand schon bei der Einführung der AHV im Jahre 1948. Wird die Vorlage angenommen, so wird das Referenzalter für die Frauen im Verlaufe von vier Jahren auf 65 Jahre erhöht, für die AHV und für die Berufliche Vorsorge.

Gleichzeitig wird die Flexibilisierung des Rentenbezugs in der Phase zwischen dem Alter von 62 und 70 Jahren gegenüber den aktuellen Möglichkeiten erleichtert. Damit kommt die Vorlage den heutigen gesellschaftlichen Bedürfnissen entgegen. Diese Wahlmöglichkeit des einzelnen beurteile ich als die geeignetere Lösung als eine allfällige Erhöhung des AHV-Alters. Bei Vorbezug der Rente sind die Abzüge tiefer als heute. Beim Hinausschieben des Rentenbezugs sind auch die Erhöhungen der Rente niedriger als heute. Im Gegensatz zu heute sind die Beiträge nach dem Alter von 65 Jahren aber rentenbildend. Auch die Möglichkeit der Flexibilisierung gilt für beide Säulen.

Die Untergrenze des Koordinationsabzuges wird gesenkt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen ab einem tieferen Lohnniveau als heute Beiträge in die Pensionskasse einzahlen. Dadurch bekommen mehr Betroffene als heute mit tiefen Löhnen später eine Rente aus der Pensionskasse und sind nicht auf die AHV allein angewiesen. Es geht hier vor allem um Teilzeitarbeitende, von denen die Mehrzahl Frauen sind. Der Name Koordinationsabzug rührt daher, dass sich seine Berechnung auf den AHV-versicherten Lohn bezieht.

Ins Auge springt natürlich der AHV-Zuschlag von Fr. 70.–, der vorgeschlagen wird.

Ja, es war in den Beratungen ganz wichtig, das Rentenniveau zu erhalten. Neurentnerinnen und Neurentnern wird ein AHV-Zuschlag von Fr. 70.—monatlich bezahlt. Auch die Ehepaarrente wird von 150% auf 155% einer doppelten Maximalrente erhöht. Diese Verbesserungen in der AHV stehen in Zusammenhang mit der Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule. Da wird ja eine Senkung von heute 6,8% auf 6% vorgeschlagen. Und zwar soll das im Zeitraum von 2019 bis 2022 in vier Schritten von jeweils 0,2 Prozentpunkten geschehen. Das ergibt niedrigere Renten im obligatorischen Bereich.

Betrifft die Reform uns, die wir schon im Rentenalter sind, auch? Wir bekommen ja die Fr. 70.—AHV-Zuschlag nicht!

Das wäre auch nicht gerecht. Die Fr. 70.—AHV-Zuschlag sind ausdrücklich als Kompensation für die Herabsetzung des Umwandlungssatzes im BVG gedacht. Das betrifft alle Rentner ab dem Zeitpunkt, ab dem die Revision in Kraft gesetzt wird. Die BVG-Renten, die jetzt ausbezahlt werden, basieren ja auf einem höheren Umwandlungssatz. Früher betrug er 7,2%, aktuell sind es 6,8%. Zudem werden die AHV-Renten gesichert und weiterhin der Teuerung und Lohnentwicklung angepasst. Der AHV-Zuschlag wird zudem durch die aktive Generation mit 0,3 Lohnprozent (Arbeitnehmer und Arbeitgeber je 0,15 %) finanziert.

Aber die Erhöhung der Mehrwertsteuer betrifft alle!

Das ist so. Die vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung betrifft alle, also auch die Personen, die schon im Rentenalter sind. Aber alle profitieren auch von einem weiterhin stabilen Rentensystem. Ab 2018 sollen die 0,3% Prozentpunkte, denen wir befristet für die Sanierung der IV zugestimmt haben, der AHV zugutekommen. Ab 2021 soll dann die Mehrwertsteuer von heute 8,0 Prozent auf 8,3 Prozent angehoben worden. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV beträgt also in Zukunft 0,6 Mehrwertsteuerprozent.

Ist diese Übernahme des befristeten Mehrwertsteuerbeitrages an die IV ab 2018 für die AHV der Grund dafür, dass die Revision, falls sie vom Volk angenommen wird, bereits am 1.1.18 in Kraft tritt?

Das ist so. Wobei für einzelne andere Neuerungen auch unterschiedliche, häufig gestaffelte Daten, für das Inkrafttreten festgelegt sind. Wenn die Vorlage abgelehnt wird, fallen die 0,3 Prozentpunkte für die IV auf Ende 2017 weg und es würde ab 1.1.18 ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz gelten. Das hätte natürlich verschiedenste Anpassungen im Mehrwertsteuersystem zur Folge. Die administrativen Kosten für diese Umstellung würden schätzungsweise Kosten von Fr. 300 Millionen verursachen.

Es wird ja viel über diese Vorlage gesprochen und geschrieben. Es fällt mir auf, dass Ideen wieder neu aufgebracht werden, die bereits in den Kommissionen und in den beiden Räten auf dem Tisch des Hauses lagen.

Die Diskussionen in den Beratungen waren sehr ausführlich und gingen in die Tiefe. Wir erhielten auch von allen zuständigen Stellen des Bundes ausführliche Dokumentationen zu einzelnen Fragen. Dem Volk wird jetzt vorgelegt, was in den beiden Räten Mehrheiten fand. Wie die Einigungskonferenzen am Schluss der Beratungen zeigten, wurden hüben und drüben Kompromisse gemacht. Es ist eine „Vorlage des Möglichen“, über die wir abstimmen. Es handelt sich um einen typisch eidgenössischen Kompromiss, hinter dem ich aber stehen kann. Die Vorlage schafft auch eine gesunde Basis für die Zukunft, auf die kommende Revisionen bauen können. Das solche auch bei Annahme der Vorlage unumgänglich sein werden, ist ebenfalls allgemeiner Konsens.

Herr Ständerat Graber, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Am 24. September findet die Volksabstimmung über die Altersvorsorge 2020 statt. Mit der Reform sollen die Renten gesichert und die Altersvorsorge an die gesellschaftliche Entwicklung angepasst werden. Die Redaktion Seniorweb behandelt die Vorlage kontradiktorisch. Den Anfang macht ein Interview mit Ständerat Konrad Graber. Das Gespräch führte Judith Stamm. (Red.)

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