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Das Kind, das wir alle gewesen sind

„Immer mehr Kinder brauchen Schutz“ ist keine Schlagzeile aus Kriegsgebieten, nein, das Problem ist hausgemacht und schreit zum Himmel.

„Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) stellen den Schutz von Personen sicher, die nicht in der Lage sind, die für sie notwendige Unterstützung einzuholen. So beispielsweise wenn sie geistig oder psychisch beeinträchtigt oder schwer suchtkrank oder noch minderjährig sind und die Eltern sich nicht um sie kümmern können.“ So weit die Institution über ihren Aufgabenbereich. Nachdem sie in jüngster Zeit mehrfach in die Schusslinie von Kritikern und direkt Betroffenen geriet, ist Sachlichkeit angesagt, denn man schlägt meist den Sack und meint den Esel.

Hier soll nur von den Kinderschutzmassnahmen die Rede sein, die 2016 gegenüber dem Vorjahr um 4,5 Prozent auf 42’767 Problemfälle anstiegen. „Hochstrittige Elternbeziehungen“, mehr Streit unter den Eltern und die gesellschaftliche Entwicklung nennt die NZZ hauptverantwortlich für die Zunahme. Wie bekannt, stellen die Spitäler auch immer mehr misshandelte Kinder fest – und die Dunkelziffer ist gross. Dass nun in jüngster Zeit auch immer mehr minderjährige, heimatlose Asylbewerber nach Hilfe und Schutz verlangen, verschärft die Situation zusätzlich.

Die Schlagzeilen um den erst zwölfjährigen Boris, dessen Betreuung rund um die Uhr monatlich mit mehreren zehntausend Franken zu Buche schlug, ist zwar ein besonders krasser Fall, aber die Alarmsignale mehren sich. So soll ein achtjähriger Junge im Kanton Bern derart übermüdet und unvorbereitet zur Schule gekommen sein, bis sich herausstellte, dass die getrennt lebenden Eltern drogenabhängig, psychisch krank und mit der Erziehung ihres Kindes überfordert waren. Dass die KESB dann eine allseits akzeptierte Lösung fand, ist keineswegs selbstverständlich.

Der Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus macht glaubhaft geltend, „die KESB sei nicht auf der Suche nach zusätzlichen Fällen. Liege eine Gefährdung vor, werde wenn immer möglich zusammen mit den hilfsbedürftigen Personen nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht.» Der Behörde vorzuwerfen, sie würde ein modernes „Verdingkinderwesen“ betreiben, sei reine Polemik und politische Stimmungsmache, fügt der Tagesanzeiger hinzu. „Gerade bei den Fremdunterbringungen, egal ob einvernehmlich oder behördlich angeordnet, soll eine Rückkehr der Kinder zu den Eltern soweit irgendwie möglich angestrebt werden. Der Staat habe nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern auch aus Kostengründen keinerlei Interesse an dauerhaften Fremdplatzierungen.“

Wer diesen Kontext etwas weiter denkt, darf nicht mehr überrascht sein, wenn ein Drittel der Lehrkräfte in den Volksschulen heutzutage burn-out-gefährdet ist. Zu Hause anrufen ist oft zwecklos, weil Uneinsichtigkeit, abgeschobene Verantwortung oder eine ganz andere Mentalität im Sinne von „nach uns die Sintflut“ ein gesuchtes Miteinander verunmöglicht. Ja, wir haben es weit gebracht mit unserem Wohlstand.

Verwundert es dann, wenn Jugendliche aus dem Ruder laufen, jedes Fusball- oder Eishockeyspiel  für Scharmützel und Randale nutzen oder nach Hamburg wallfahren, um feige vermummt ihr verwegenes Mütchen zu kühlen? Wer die Signale ignoriert, hat längst den Kopf in den Sand gesteckt. Und wer die Kinder und Jugendlichen derart vernachlässigt und sich selbst überlässt, braucht sich über die Konsequenzen nicht zu wundern.

Erinnern Sie sich gerne an Ihre Jugendzeit? Eine Zeit der Geborgenheit und Nestwärme? Von Entbehrungen vielleicht? Eine Zeit gegenseitigen Respekts und der Fürsorge? Verklären wir sie nicht, die ganz andere Zeit. Aber das Kind, das wir alle gewesen sind, sollte die heutigen Zeichen der Zeit nicht einfach achselzuckend zur Kenntnis nehmen, sondern den Kindern eine Stimme geben, damit ihr Aufschrei wieder etwas mehr gehört wird und uns für ihre Anliegen sensibilisiert.

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