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Was aus knappen Abstimmungen wird …

ist an der Europaallee in Zürich zu sehen.

Es ist ein ganz elegantes Lokal, das Restaurant „Gustav“ an der Europaallee in Zürich. Es gehört zur gleichnamigen Residenz mit 70 Appartements, gedacht für betuchte Senioren. Das Gebäude gehört den SBB, betrieben wird die Residenz von der Gruppe di Gallo. Di Gallo ist ein Familienunternehmen mit über 40-jähriger Erfahrung in der Führung von Institutionen, das von sich schreibt: „Wir haben uns Kompetenz erworben in der Pflege, Betreuung und Behandlung von Menschen unterschiedlichen Alters.“ Gestartet ist die Gruppe di Gallo im Zürcher Oberland, nun ist sie angekommen im neuen Viertel der Stadt Zürich, westlich anschliessend an den Hauptbahnhof, im Hochpreissegment. Eine 2,5-Zimmer-Wohnung beispielsweise, auf 72,24 m2 ausgestattet, kostet im Monat 5’895 CHF, inkl. wöchentliche Reinigung, 24h-Pflegepersonal auf Abruf, 20 % Reduktion auf das Essen und Trinken im eleganten, grosszügigen, nicht billigen Restaurant.

Da wird man natürlich neugierig. An der Reception wird man freundlich aufgeklärt, man kann das Haus nach einer Voranmeldung besichtigen, das zu 50 % ausgelastet sei, in dem es auch eine Pflegeabteilung mit 12 Einzelzimmern gäbe. Alles fürs Alter eingerichtet. Mindestens einen Monat muss man mieten, „lieber länger, für immer“, wie die durchaus freundliche Dame sagt.

Und wir räsonieren danach am Tisch. Wie wäre es, wenn alles anders gekommen wäre, am HB in Zürich. Ich erzähle der Runde im eleganten Restaurant, wie es war im Jahre 1988, als nach 8-jähriger Planung das Projekt HB Südwest, federführend von Ralph Bänziger entworfen, von den Stimmberechtigten der Stadt Zürich mit 50,7 Prozent ganz knapp angenommen wurde.

Im Au Premier, in einem der Säle im HB, trafen sich die Gewinner. Ich war als Journalist unterwegs, fragte die damalige Stadträtin Emilie Lieberherr, die interessanterweise bei den Befürwortern war, ob denn das riesige Projekt über all den Gleisen und daneben nach diesem knappen Entscheid und dem vorangegangenen heftigen Abstimmungskampf auch tatsächlich gebaut werden würde. „Natürlich“, war die lapidare, wie klare Antwort der streitbaren und beinahe herrisch wirkenden Politikerin in diesem Moment. Ich: „Sind Sie ganz sicher?“ Sie: „Klar, das letzte Wort hat das Volk, und das sagte, wenn auch knapp, Ja.“ Ich zog nachdenklich von dannen.

HB Südwest starb. Es folgte 1990 das Projekt Eurogate Zürich, etwas kleiner, der HB sollte stehen bleiben. 1999 sollte der Baubeginn erfolgen, 2015, so rechnete man damals, sollte Eurogate stehen. Und jetzt, 2016, 36 Jahre nach dem Start von HB Südwest entsteht, was langsam einem neuen Quartier gleicht, hochrepräsentative Häuser, Hochhäuser gar, reihen sich aneinander. Es entsteht ein Campus; die Pädagogische Hochschule zog an die Europaallee, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften lässt sich mit Teilen nieder, viele Geschäfte versuchen Fuss zu fassen, Restaurations- an Restaurationsbetrieben öffnen, werben um die Kundschaft. Und eben jetzt: Gustav.

Ja, was wäre, wenn HB Südwest gebaut, wenn der Volkswille durchgesetzt worden wäre. Das Viertel wäre möglicherweise schon angegraut, der Beton könnte schon bröckeln. Das Monster HB Südwest hätte uns gar erdrückt. Das Projekt wäre aus architektonischen Ideen entstanden, die heute kaum Bestand hätten. Erinnern wir uns doch kurz an die 80er Jahre. Die damalige Wirtschaftsflaute hätte dem gigantischen Projekt wohl schweren Schaden zugefügt. Gut Ding will tatsächlich Weile haben.

Und es trifft sich gut, dass wir uns zurzeit Gedanken darüber machen, was vorgekehrt werden müsste, wenn so knappe demokratische Entscheide zustande kommen, wie eben in Kolumbien, wo 50,2 Prozent den Friedensvertrag mit der Farc ablehnten, wo in Grossbritannien dem Brexit nur mit 51,9 Prozent zugestimmt, die Masseneinwanderungs-Initiative bei uns nur mit 50,3 Prozent angenommen worden ist, das neue Radio- und Fernsehgesetz nur grad 50,1 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte.

Der emeritierte Wirtschaftsprofessor Bruno S. Frey hat in der vergangenen Woche in der NZZ dargelegt, wie nach solch knappen Entscheiden ein Konsensfindungsprozess stattfinden könnte. Die Mehrheit hätte etwas verstärkt ihre Ansichten einzubringen, die starke Minderheit müsste mit etwas weniger Gewicht ihre Vorstellungen im Konsensverfahren darlegen. Gemeinsam wäre ein von allen akzeptbarer Konsens zu entwickeln. In Kolumbien beispielsweise müssten die Farc-Rebellen etwas härter bestraft werden, vorerst von der aktiven Politik ausgeschlossen werden können.

Bei uns kam in den Beratungen des Nationalrates über den Verfassungsartikel „Steuerung der Masseneinwanderung“ ein „Inländervorrang Light“ zustande, Im Ständerat wird er wohl etwas verstärkt werden. Das Konsensverfahren ist also angelaufen. Und siehe da: Wir haben das eigentlich schon ganz gut institutionalisiert, was Frey fordert. Nur sind wir uns dessen nicht so bewusst. Wenn künftig auch die Initianten daran mitwirkten würden, wäre viel gewonnen. Noch zögern sie. Aber es ist noch nicht aller Tage Abend. Oder andersrum: Kommt Zeit, kommt Rat, wie am HB , angesprochen und besprochen in der Altersresidenz „Gustav“ an der Europaallee in Zürich.

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