Dank multikulti statt reinrassig
Wie haben wir mitgefiebert. 45 Minuten bangten wir. Nach 96 Minuten frohlockten wir. Die Schweiz schlug in einem intensiven, gar hochstehenden Fussball-Spiel die Nationalmannschaft von Serbien 2:1. In der 52. Minute feuerte Granit Xhaka, der nach dem Brasilien-Spiel vielgeschmähte Mittelfeld-Stratege, einen Gewaltschuss auf das Tor der Serben ab. Der Ball zappelte in der rechten Torecke, der Torhüter hatte schlicht keine Chance. In der 90. Minute kurvte Xherdan Shaqiri, mit einem genialen Pass von Mario Gavranovic auf die Reise geschickt, ab der Mittellinie auf das Tor der Serben zu, verfolgt von einem Verteidiger, der Shaqiri zu stoppen versuchte, dabei erfolglos blieb. Zu flink, zu behend wollte Shaqiri nur eines: den Erfolg.
Denn Shaqiri düpierte den Torhüter der Serben genauso genial, um in der Reporter-Sprache zu bleiben, lenkte den Ball an ihm leichtfüssig vorbei ins Tor, wiederum ganz genial: 2:1. Noch waren bange 6 Minuten zu überstehen, denn der Schiedsrichter wollte den Serben wohl noch eine Chance einräumen, verlängerte er doch die angekündigte Nachspielzeit um weitere 2 Minuten. Nach 96 Minuten Spielzeit kam der erlösende Pfiff des Unparteiischen. Die Schweiz im Glück.
Damit hätte die Geschichte dieses Weltmeisterschaft-Spiels zu Ende sein, es hätte nun nur noch eines folgen können: das Feiern Land auf und ab. Dass dem nicht so war, ist wiederum den grossen Spielern, den Leitfiguren Xhaka und Shaqiri in unserer Nationalmannschaft zuzuschreiben. Beide, mit kosovo-albanischen Wurzeln, machten aus ihrem Herzen keine Mördergrube, sie kreuzten nach ihren Toren ihre Hände zum albanischen Doppeladler und signalisierten dem Publikum, dass sie neben dem Schweizerpass auch eine Herkunft haben, die sie weder verschmähen noch von sich zu weisen brauchen. Sie reagierten so auch auf die vielen Schmähungen der serbischen Fans, die sie Verräter schimpften. Und sie lieferten so den Stoff, mit dem die Medien nun die grossen Geschichten schreiben. Und der Tenor ist beinahe einhellig.
Der Blick schrieb: „Xhaka und Shaqiri sind geniale Dummköpfe.“ Das hätten sie nicht tun dürfen. Das war naiv. Fussball ist nicht mit Politik zu mischen. Dazu ist nur eines festzuhalten: Das ist nun wirklich auch naiv. Im Gegensatz zum aufkeimenden politischen Nationalismus ist es doch ein Trost, dass die Mannschaften an der Fussball-WM so aufgestellt sind, dass sie möglichst erfolgreich agieren können, eben mit den Besten, die ein Land aufzubieten hat, unbesehen ihrer Herkunft. Multikulti statt reinrassig. Und es ist schlicht eine Realität, dass viele der Schweizer Nationalmannschaft ausländische Wurzeln haben, dass sie auch geprägt sind von ihren Familien, ihrer Herkunft.
Als ich vor Jahren in Tirana mal eine Gymnasium-Klasse besuchte, hatten die Schülerinnen und Schüler eine zentrale Frage: „Kennen Sie Valon Behrami, was halten sie von ihm?“ Schon damals verehrten die albanischen Jugendlichen den heutigen Abwehrchef der Schweiz. Nicht verwunderlich also, dass auch Shaqiri und Xhaka grosse Bedeutung in ihrem Herkunftsland haben und dies auch zum Ausdruck bringen. Sind wir nicht auch stolz auf unsere Auswanderer, die in den USA vor Jahrzehnten Städte gründeten und diese mit Schweizer Herkunftsnamen bezeichneten, wie Luzerne, City of Switzerland oder gar Luzerne County mit über 320`000 Einwohnern.
Und es ist ja die Schweiz, die ihren Familien während und nach den Kriegs-Wirren auf dem Balkan eine sichere Heimat bot. Es ist ja die Schweiz, in der sie zur Schule gingen, das Fussballspielen erlernten, in der sie zu dem wurden, was sie heute sind: Weltstars im Fussball. Sie entschieden sich für die Schweiz, sie nahmen die neue Staatsbürgerschaft an, lasssen sich eingliedern in unsere Nationalmannschaft, legen nur Ruhm und Ehre für die Schweiz ein, liessen uns am Freitagabend bangen und frohlocken. Selbst Ivan Rakitić, der brillante Mittelfeldstratege, der mit Kroatien den zweimaligen Weltmeister Argentinien in die Wüste schickte, erfreut jeweils unser Herz. Ist er doch im aargauischen Möhlin geboren, hat er doch beim FC Basel das Handwerk gelernt und lässt er doch mit seinem Deutschschweizer Dialekt heimatliche Gefühle für die Schweiz aufkommen. Er hat sich für sein Herkunftsland entschieden. Dennoch gehört er ein wenig zu uns.
Das kann und soll auch nicht alle erfreuen. Für Roger Köppel ist die Nationalmannschaft beispielsweise nur eine „bewährte, erfahrene Veteranengruppe von Auslandsöldnern mit Schwerpunkt Balkan, angereichert durch ein paar eingeschweizerte Afrikaner“, wie er in der „Weltwoche“ schreibt. Aber: Was macht denn die Schweiz aus? Selbst die Familie Blocher ist mal eingewandert und macht heute mit die Schweiz aus, prägt sie ohne Selbstzweifel gar ganz selbstbewusst mit. Gut so.
So wird die Schweizer Nati hoffentlich auch das letzte Gruppenspiel auf dem gleichen Niveau durchziehen, weiter im Wettbewerb bleiben, uns weiterhin bangen und frohlocken lassen. Die Truppe hat verstanden: Mit herzhaftem Engagement ist sicher vieles, wenn auch nicht gar alles zu erreichen. Mit der Schweiz für die Schweiz, auch wenn die Wurzeln der Herkunft ganz andere sind.