Weihnachtszauber? Da werden einige fragend die Stirne runzeln: Dieses Gehetze und Gerenne, diese Jagd nach den richtigen Geschenken und dem dicksten Schinken, dieser Glöckelein-kling-Zuckerguss überall. Dazu die Lichterorgie an Häusern, in Bäumen und Hecken. Und dann noch die Weihnachtsmänner, die die Wände hochkraxeln – wo, bitte, bleibt da der Weihnachtszauber?
Gerade älteren Menschen wird der ganze Rummel oft zu viel. Sie sehnen sich nach der, vielleicht ein bisschen nostalgisch verklärten, Weihnachtsseligkeit ihrer Kindheit und sind auch etwas traurig, dass ihre Welt kleiner – und einsamer – geworden ist.
Licht ins Dunkle – das ist doch schön
Dabei muss die wehmütige Stimmung doch gar nicht sein. Wer sich bewusst macht, dass die Lämpchendekorationen einzig dem Zweck dienen, etwas Licht in die dunkelsten Tage des Jahres zu bringen, dessen Laune muss sich doch von selber bessern. Ja, natürlich, vielerorts soll damit auch der Konsum angekurbelt werden. Aber der Entscheid, wie sehr man sich davon anstecken lässt, der liegt doch bei jedem persönlich. Die Lichter leuchten auch ohne Griff ins Portemonnaie.
Mein Vorweihnachts-Spaziergang führt mich jedes Jahr ins regionale Gartencenter. Nicht in erster Linie zum Advents-Pflichtprogramm, zu der obligaten Weihnachtsausstellung. Zuerst gehe ich, vorbei an einem Meer von Weihnachtssternen in alle Rottönen und den neuerdings auch gelben, crèmefarbenen und sogar reinweissen Euphorbien, zielsicher in den kühleren Teil der Gewächshäuser.
Ein Symbol der Hoffnung
Denn dort stehen sie, die Christrosen. Für mich die rührendsten und poetischsten Weihnachtsboten. Sie müssen nicht hochgezüchtet und vor Kälte geschützt aus wärmeren Ländern importiert oder zumindest in geheizten Treibhäusern herangezogen werden. Christrosen wachsen einfach so im Garten, öffnen ihre zarten Blütenschalen selbst nach kalten Nächten und strecken ihre reinweissen Gesichtchen mit den gelben Staubgefässen in der Mitte auch dem kleinsten Sonnenstrahl entgegen.
Wer kann diesen Blüten widerstehen? Christrosen bringen Licht in die dunkelsten Tage.
Eine Legende sagt, die Christrose entspringe den Tränen eines Hirten, der mit anderen zum neugeborenen Jesuskind in der Krippe eilte. Er hatte aber kein Geschenk dabei und weinte deshalb bitterlich. Und dort, wo seine Tränen auf den Boden fielen, wuchsen Pflanzen mit dunkelgrün glänzendem Laub und reinweissen Blüten. So bekam das Kind in der Krippe die ersten Christrosen geschenkt – und die Pflanze wurde zu einem christlichen Symbol der Hoffnung.
Auch als Orakel wurden sie früher eingesetzt. Bauern stellten nach Weihnachten zwölf Christrosen in ein Glas, je eine Blüte für die Monate des kommenden Jahres. Öfnete sich die «Monatsblüte», war das ein gutes Omen. Und im Mittelalter waren die giftigen Blätter und Wurzeln Ingredienzien von Hexensalben, die je nach Quelle ewige Jugend versprachen, unsichtbar machten – oder als Treibstoff für die Hexenbesen dienten. Die liebliche Christrose als Hexenbesenmotor?
Rein und weiss und doch auf Abwegen?
Das blenden wir doch lieber aus und freuen uns an der Königin der dunklen Nächte, die so hart im Nehmen ist, dass sie ohne weiteres als Willkommensgruss vor der Haustüre im Freien stehen kann. Mit dem Timing ist es allerdings so eine Sache. Meine Christrosen haben in der Regel etwas Verspätung. Deshalb der Gang ins Gartencenter. Denn dort stehen sie Topf an Topf und sind viel mehr als kurzlebige Verlegenheitsgeschenke, die nach den Festtagen entsorgt werden müssen. Christrosen wachsen im Garten weiter, am liebsten etwas im Schatten. Und werden im nächsten Winter zuverlässig wieder blühen – wenn auch vielleicht erst im Januar. Nur vor Schnecken müssen sie etwas geschützt werden.
Mit etwas Gold überstäubt, wird aus einem kleinen Christrosentöpfchen ein zauberhaftes Geschenk. (Fotografiert wurde im Garten-Center Meier, Dürnten)
Vor Jahren hatte ich einen stattlichen Christrosenbusch. Er stand in der Nähe der dunkelroten Lenzrosen, die wie die Christrose selber zur Gattung Nieswurz und der Familie der Hahnenfussgewächse gehören. Lenzrosen blühen etwas später im Jahr und unterscheiden sich durch ihre geneigten Blütenköpfe von den aufrecht wachsenden Christrosen. Und natürlich durch ihre Farbe.
Bis zu dem Jahr, als meine Christrose nicht mehr reinweiss, sondern in zwar hellem, aber deutlichem Purpur blühte. War meine so unschuldig wirkende Christrose etwa auf Abwege geraten? Oder haben die robusten purpurenen Lenzrosen ihre kleine, reinweisse Verwandte einfach … ja, wie sagt man dem wohl in der Botanik?
Zwei Jahre lang blühte das Bastärdchen noch, mit aufrechten Blüten, aber in deutlichem Rosa. Und dann verschwand es einfach. Und die Lenzrosen neigten ihre Purpurglocken noch etwas tiefer ins dunkelgrüne Laub. Als wollten sie sagen: Mein Name ist Hase, ich weiss von nichts. Wobei: Der Hase, der gehört nun aber wirklich nicht in die Weihnachtszeit.