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Tiefgründige Jugenderinnerungen

An der Universität Zürich vergaben das Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) der Universität Zürich sowie die Autobiographie-Internet-Plattform meet-my-life.net den 3. Schweizer Autobiographie-Award. Als Preisträgerin wurde in der grossen Aula Blazenka Kostolna (1949) mit ihrer Autobiographie «Die gebrochene Lebenslinie» ausgezeichnet.

In ihren packend geschriebenen und tiefgründigen Jugenderinnerungen blickt die Preisträgerin Blazenka Kostolna zurück auf die Nachkriegsjahre in der (damals kommunistischen) Slowakei – bis hin zu ihrer Flucht im «Prager Frühling». Hautnah geschildert erlebt man die Invasion von «einer Million» Panzer aus den «Bruderstaaten» im Frühjahr 1968.

Haupt-Preisträgerin Blazenka Kostolna

Die in Zürich lebende Mutter eines 42jährigen Sohnes und zweifache Grossmutter verblüfft übrigens nicht nur durch ihren tiefgründigen Text, sondern ebenso durch ihr künstlerisches Werk in Bildern und Fotographien: zu sehen auf www.blazenka-art.ch. Die literarische Qualität dieser Lebensgeschichte überzeugte die Jury. In ihrer Laudatio führte Prof. Christine Lötscher dazu aus:

«Die Jury war gleich gepackt und hingerissen von der Sinnlichkeit und Kraft dieses Erzählens, von den vibrierenden, teils drastischen Bildern, die Blazenka Kostolna heraufbeschwört. […] Das Aussergewöhnliche an dieser Autobiografie ist die Spannung zwischen Lust und Schmerz – der Lust am Erzählen, am Fabulieren, daran, sich dem Prozess des Schreibens hinzugeben und sich seinem Fluss zu überlassen. Blazenka Kostolna fabuliert aber nicht nur. Das Zuspitzen und Übertreiben wird erst durch den Rahmen möglich, den sie den erzählten Episoden gibt. Denn die Szenen oder Bilder, die aus der Erinnerung auftauchen, wechseln sich ab mit Reflexionen über die Erinnerung und den Schreibprozess, über Vergänglichkeit und Schuld und die Möglichkeit des Verzeihens. Wie ein roter Faden zieht sich die Frage, ob man sein Leben überhaupt erzählen kann und welche Hilfskonstruktionen es dafür braucht, durch den Text.»

Zu lesen ist sowohl die vollständige Laudatio wie auch die ganze Autobiographie von Blazenka Kostolna auf der Website von www.meet-my-life.net. Wie Erich Bohli, der Gründer von meet-my-life.net, in seiner Ansprache ausführte, wurden auf ihrer Swisscom-Cloudplattform bisher über 525’000 Seitenaufrufe registriert und Zehntausende haben in den veröffentlichen Lebensgeschichten der inzwischen rund 300 Autoren/-innen gelesen. «Etwas, das mit konventionellem Buchdruck nicht zu erreichen gewesen wäre.»

Drei weitere Preisträger ex-aequo

Zur Wahl für den Award gestanden hatten rund 70 der auf meet-my-life.net öffentlich lesbaren Biographien. Da gleich mehrere der Texte aus dem üblichen Rahmen hervorstachen, hat sich die Jury auch dieses Jahr entschlossen, drei weitere Texte ex-aequo mit je einem zweiten Preis auszuzeichnen. Diese Preise gingen an:

Rudolf Schüpbach (1946), wohnhaft in Zürich für seine eindrückliche, subtile Schilderung eines späten «coming out».

Rahel Rolli (1966) aus Schaffhausen oszilliert auf experimentelle Weise zwischen heute – gestern und morgen.

Bruno Zahnd (1919) für die unter die Haut gehende Lebensgeschichte als Berner Verdingbuben, die er selbst noch im Alter von 70 – 80 Jahren aufgeschrieben hatte und von seinem Sohn auf meet-my-life.net veröffentlicht wurde.

In ihrer Laudatio erläuterte Prof. Christine Lötscher die gegenüber dem Vorjahr unveränderte Leitlinie für die diesjährige Vergabe der vier Auszeichnungen:
«Eine herausragende Autobiographie/Lebensgeschichte muss auf eine sprachlich eigensinnige und gleichzeitig mutige Art und Weise die Vergangenheit des Autobiographen/der Autobiographin als Text in all ihrer Fülle wieder lebendig zu machen vermögen. Dabei ist keineswegs literarische Perfektion gefragt, sondern was interessiert, ist die subjektive Sicht des Autobiographen, und wie sich der Ich-Erzähler über ein Ich beugt, das er oder sie einst war oder glaubt, gewesen zu sein.»

Die Preisträger des diesjährigen Schweizer Autobiographie-Awards (von rechts): Blazenka Kostolna, Rudolf Schüpach, Rahel Rolli und Bernhard Wüthrich, der den Preis für die Familie von Bruno Zahnd (posthum) in Empfang nahm. 

Die Veranstalter der Preisverleihung wollen mit diesem jährlich wiederkehrenden Anlass allen auf meet-my-life.net registrierten derzeit rund 300 Autorinnen und Autoren Tribut zollen. Die dank des Swisscom Cloud-Hostings auf meet-my-life.net publizierten Autobiographien zeugen von immensem Engagement und auch Mut, sich einem breiten Publikum zu öffnen. Sie sollen auf breiter Basis noch viele andere dazu anspornen, den eigenen Nachkommen einmal nicht nur Sach- und Geldwerte zu hinterlassen, sondern als mindestens so wertvolles immaterielles Kulturgut ihre Lebens- und Familiengeschichte – und damit auch ihre Erfahrungen und Wertvorstellungen.

Preisverleihung  der Aula der Universität Zürich: Dem an die Laudationen anschliessenden Talkgast, Bundesrat Moritz Leuenberger (Bildmitte zweiter von rechts), gefällt’s. In der Reihe hinter Moritz Leuenberger der Schweizer Filmemacher Fredi Murer.

***

Die Vision der (nichtkommerziellen) wissenschaftsbasierten Autobiographie-Plattform meet-my-life.net ist es, möglichst viele Menschen «aus dem Volk» zu veranlassen, ihre Lebenserinnerungen aufzuschreiben und sowohl als Familiengeschichte wie auch der Allgemeinheit und der wissenschaftlichen Forschung zu hinterlassen. Inzwischen machen annähernd 300 Personen (+ 25 % zum Vorjahr) mit teilweise beeindruckend mutigen Texten davon Gebrauch.

Die Finesse der Schreibseite besteht darin, dass die Autorinnen und Autoren die Wahl haben, sich mittels des von den Initianten konzipierten Inhaltsvorschlags durch fast 500 gezielte Fragen in 40 Kapiteln/Unterkapiteln durch ihr Leben führen zu lassen oder eine eigene Inhaltsstruktur zu erstellen. Auch bereits Geschriebenes und auf der eigenen Festplatte vor sich hin Schlummerndes kann importiert und damit einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht werden. Die Betreiber betonen, dass weder perfekte Orthografie noch literarische Höhenflüge vonnöten sind, um seine Lebensgeschichte auf meet-my-life.net zu schreiben und auf Wunsch zu publizieren.

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