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Pfingsten

Da ich nicht Theologie studiert habe, kann ich über Pfingsten denken und schreiben, was ich will. Ich muss auf keine Tradition und keine Lehrmeinung Rücksicht nehmen.

Pfingsten ist für mich das unfassbarste Fest des Kirchenjahres. Wer kann schon erklären, was mit «Pfingsten» gemeint ist? Sicher wäre aber niemand verlegen, wenn ich fragen würde, was denn «Pfingstverkehr» bedeute? «Stau, Stau, Stau» wäre die Antwort in den letzten Jahren gewesen. 2020 dürfte sich das Autofahren auf unseren Strassen vermutlich etwas angenehmer gestalten.

Wikipedia entnehme ich folgendes: «Pfingsten ist ein christliches Fest, an dem die Gläubigen die Sendung des Heiligen Geistes zu den Jüngern Jesu und seine bleibende Gegenwart in der Kirche feiern.»

Es hat mich schon immer fasziniert, wie in der Apostelgeschichte des Neuen Testamentes dieses Ereignis beschrieben wird: «Plötzlich entstand ein Brausen vom Himmel her, als führe ein gewaltiger Sturm daher, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sassen. Zungen wie von Feuer erschienen ihnen, verteilten sich und liessen sich einzeln auf jeden von ihnen nieder. Da wurden alle voll des Heiligen Geistes und begannen, in anderen Sprachen zu reden, in Lauten, wie sie der Geist ihnen eingab». Und die Umstehenden fragten sich erstaunt, warum jeder von ihnen, sei er Parther, Meder, Elamiter oder aus einer anderen Gegend, diese Galiläer in seiner eigenen Sprache reden höre. Es gab auch solche, die meinten: «Die sind voll süssen Weines». Aber Petrus stellte klar, dass es sich hier nicht um Betrunkene handle, es sei ja erst die dritte Tagesstunde. Es sei eine Prophezeiung, die sich hier verwirkliche.

Als ich den Text dieser Pfingstrede von Petrus kurz überflog, fiel mir etwas auf. Drei Mal sprach er das offenbar zahlreiche Publikum an. Und da heisst es dann: «Ihr jüdischen Männer und alle Bewohner Jerusalems!» Oder: «Ihr Männer von Israel, hört meine Worte.» Oder «Ihr Männer, meine Brüder, lasst mich freimütig zu euch reden.» Soll ich daraus schliessen, dass wirklich nur Männer herumstanden oder dass Frauen einfach nicht zählten?

Mehr beschäftigt mich etwas anderes. Ist Pfingsten irgendwie das «Gegenstück» des Ereignisses, das im Alten Testament in der Genesis als «Turmbau zu Babel» beschrieben wird?

Da heisst es nämlich, dass die Menschen damals noch eine «einzige, allen gemeinsame Sprache gehabt hätten». Sie wollten einen Turm bauen, «der bis an den Himmel reicht». Und dieser Bau würde sie in aller Welt berühmt machen. Aber Gott machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Er sagte sich: «Wohin wird das noch führen? Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Wenn sie diesen Bau vollenden, wird ihnen nichts mehr unmöglich sein. Sie werden alles ausführen, was ihnen in den Sinn kommt. Ans Werk. Wir steigen hinab und verwirren ihre Sprache, damit keiner mehr den anderen versteht». Sie mussten ihre Pläne aufgeben und wurden über die ganze Erde zerstreut.

Ob Pfingsten etwas mit dem Turmbau zu Babel zu tun hat, kann ich nicht beantworten. Aber, einmal wurde die Sprache verwirrt, dann wurde die Sprachverwirrung wieder aufgehoben. Es ist reizvoll über einen allfälligen Zusammenhang nachzudenken.

Und nachdenken können wir auch darüber, wie sehr christliche Feiertage unseren Jahresablauf prägen. Dabei sind es nicht nur Feste wie etwa Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Auffahrt, Pfingsten, Maria Himmelfahrt, Buss- und Bettag. Nein, es sind noch viele regionale und lokale Gedenktage, die uns zu freien Tagen verhelfen.

Eine reformierte Kollegin hat mich einmal darauf aufmerksam gemacht, dass wir im Kanton Luzern vermutlich die meisten kirchlichen Feiertage in der ganzen Schweiz hätten. Deshalb habe sie sich beruflich nach Luzern orientiert!

Wir stehen in der Schweiz aktuell in der Corona-Krise auf dem behutsamen Weg «zurück zur Normalität». Wir nehmen aktuell Neuigkeiten zur Kenntnis wie «Space X-Flug zur ISS» oder «Konkurrenzkampf im All». Wir feiern Pfingsten, das unfassbarste Fest des Kirchenjahres. Eine gewisse Überforderung ist programmiert!

2 Kommentare

  1. Das mit dem sogenannten Pfingstwunder: «Wers’s glaubt wird selig», würde ich sagen. Aber Sie liegen richtig mit der Gegenüberstellung von Pfingstwunder und Turmbau von Babel. So habe ich es wenigstens während meines Bibelstudiums von Exegeten gehört. Für mich persönlich sind solche «Gegenüberstellungen» oder «Erfüllungen» von prophetischen Voraussagen, wie z. B. Jesus als Messias, von Esaias vorausgesagt, nichts weiter als Mythen. Leider wollen Religionen seit jeher Mythen für sich vereinnahmen und dazu nutzen, sich ihre Gläubigen gefügig zu machen, indem sie sie mit «wahren» Wundern ködern, und auf diese Weise verhindern, dass Menschen selber denken dürfen und sollten. Ja, Mythen haben ihre eigene starke Aussagekraft, zum Denken anregend. Religionen aber zerstören sie, indem sie sie als «wahr» hinstellen. Auf diese Weise muss der Mensch nur noch glauben und nicht mehr denken. Und das mit der «Abwesenheit» von Frauen kennen wir doch zur Genüge aus Bibel wie Religionen. Es ist einfach nur noch zum Kotzen.

  2. Ich schreibe seit Beginn der Coronakrise regelmässige Informations- und Gedankenbriefe an die rund 240 Mitglieder unseres Senior/innenvereins, liebe Judith Stamms. Und hier der Inhalt meines letzten Briefes, den ich bevor ich Ihre wertvollen Gedanken las, die mich immer sehr freuen und überzeugen.
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    Mitgliederbrief 10
    zur Corona-Situation
    Liebe Mitglieder von altissimo
    Sowohl die Primarschulkinder als auch meine Studierenden hörten die Geschichte des Turmbaues von Babel mit grossem Interesse und füllten sie mit ihren eigenen Phantasien. Die Geschichte erzählt von einer wirren Zeit, die den Menschen jeden Durchblick verunmöglichte. Man redete aneinander vorbei. Man verstand sich nicht mehr. Man ging sich aus dem Weg. Menschen waren sprach- und orientierungslos. Und die Emotionen gingen hoch.
    Nein – ich vergleiche dieses Bild nicht mit der Coronazeit, die ja keine Antwort auf die Selbstüberheblichkeit und Vermessenheit der Menschen ist. Aber das Bild der sprichwörtlichen babylonischen Verwirrung passt in verschiedener Hinsicht doch recht gut…..

    Die Gegengeschichte zum Turmbau ist die Erzählung von Pfingsten. Ein frischer tröstlicher Wind umwehte die Menschen. Neue Chancen und Möglichkeiten tun sich auf. Trotz vieler Unterschiede verstanden sie sich. Sich hörten sich zu, gingen auf einander ein. Sie schauten für einander. Sie hatten viel gelernt und manches neu verstanden.. Das Leben gewinnt wieder an Farbe, an Fahrt, an Licht…..

    Und auch unser Leben gewinnt wieder an Farbe und wir können mit Freude vorwärts schauen. Jeder dunkle Tunnel – so lange er auch ist – hat einen hellen Ausgang. Auch für uns, die Mitglieder von altissimo. Der erweiterte Vorstand ist daran, sich zu überlegen, was wir bereits im Juni und Juli als Aktivitäten anbieten können – selbstverständlich mit gebührender Vorsicht. Wir werden euch im Laufe der kommenden Woche darüber informieren können.

    Pfingsten erzählt von Gemeinschaft, von Nächstenliebe, vom weltweiten Miteinander, von gegenseitiger Akzeptanz, vom Zusammensein. Und darauf freuen wir uns nach diesen schwierigen Zeiten ganz besonders.

    Wir lernten, Hilfe anzunehmen. Wir freuten uns an der grossen Solidarität, am Mitdenken anderer. Wir übten uns in Geduld als Grundhaltung gegenüber dem Leben. Und bewusst taten wir Dinge, die andern Freude machten. Jemand von uns spielte beispielsweise Alphorn im Garten des Alterszentrums. Wir telefonierten uns und schickten uns Briefe oder E-Mails. Solche Dinge erzählen vom Geist der Pfingsten.

    Und darum dürfen wir mit dem Volksmund sagen: „A de Pfingschte gahts am ringschte“! Wir können neu beginnen – mit der Vorfreude aufs Zusammensein, mit der Pflege der genseitigen Verständigung, mit der unkomplizierten Lebensfreude von Seniorinnen und Senioren, die sich in der Gemeinschaft gut fühlen.

    In diesem Sinne wünschen wir euch allen von ganzem Herzen:
    Frohe Pfingsten.

    Wir freuen uns mit und für euch auf die kommenden Zeiten.
    Für den Vorstand und die Koordinator/innen
    Dorli Meili-Lehner, Präsidentin Niederweningen, 30. Mai 2020

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