StartseiteMagazinLebensartGourmet-Sterne und -Punkte in Pandemie-Zeiten

Gourmet-Sterne und -Punkte in Pandemie-Zeiten

Die Schweizer Gourmet-Szene feiert ihre Feinschmecker-Lokale und Starköche, als gäbe es keine Corona-Pandemie mit Lockdown. Alle hoffen darauf, dass die zahlungskräftige Kundschaft möglichst bald in die Restaurants zurückkehren darf. Bis es soweit ist, betreiben die meisten einen Take Away-Service.

Auf den ersten Blick wirkt es merkwürdig, wenn auf dem Höhepunkt der zweiten Pandemiewelle die beiden grossen Restaurantführer ihre Preisträger präsentieren. Denn eine Gelegenheit, die Kochkünste der ausgezeichneten Köchinnen, Köche und Restaurants mit Nase, Zunge und Gaumen zu testen, gibt es derzeit nicht. Noch immer sind alle Gourmet-Tempel, Restaurants und Fressbeizen schweizweit geschlossen.

Auf den zweiten Blick wird jedoch klar, dass das alljährige Ritual der offenbar unverzichtbaren Werbung und dem Image der ausgezeichneten Köchinnen und Köche dient, das auch in Krisenzeiten gepflegt werden will. So gesehen wirken die von den selbsternannten Gourmet-Experten vergebenen Punkte und Sterne als vorauseilende Marketing-Kampagne für die Post-Lockdown-Monate.

Spitzenköche und -köchinnen

Am 16. November 2020 stellte «Gault Millau» https://www.gaultmillau.ch/  Stefan Heilemann vom «Widder» in Zürich als «Koch des Jahres» vor. Der Chef koche «klassisch sowie asiatische auf höchstem Niveau», hiess es in der Laudatio. Sein kulinarischer Cocktail habe alle begeistert und verdiene 18 Punkte. Zur «Köchin des Jahres» kürte «Gault Millau» Michèle Meier, die im neu renovierten Restaurant Lucide im KKL Luzern die Küchenmannschaft anleitet. «Für ihre Leidenschaft und Intuition» erhielt sie 16 Punkte. Gleichzeitig mit den beiden Spitzenköchen zeichnete der «Guide» zehn weitere «Entdeckungen» aus.

Anfang Februar vergab der «Guide Michelin Schweiz» https://guide.michelin.com/ch/de (2021 nur Online) seine Award-Sterne. «Trotz der schwierigen Monate bestätigt die diesjährige Restaurantauswahl den Facettenreichtum der Schweizer Gastronomieszene,» hiess es in der Medienmitteilung. Zu Beginn des Pandemiejahres 2021 zeichnete Michelin 24 Häuser mit zwei Sternen aus, so viele wie noch nie zuvor. Das Maximum von drei Sternen erhielten die Restaurants «Cheval Blanc by Peter Knogl» in Basel, «Le Restaurant de l’Hôtel de Ville» in Crissier und «Schloss Schauenstein» in Fürstenau.

Immer mehr Menschen wollen Lebensmittel nicht nur konsumieren, sondern mit all ihren Sinnen erleben. «Ein kulinarisches Erlebnis» ist denn auch einer der häufigsten Slogans der neuen Sterne-Köchinnen und -Köche. Ausgewogenheit und Vielfalt liegen ebenfalls im Trend. Laut dem «Deutschen Food-Report 2021» dominieren derzeit «Soft Health», «Snackification», «Gourmet-Gardening» und vor allem «Local Food». Während sie früher exotische Früchte spannend fanden, sehnen sich die Feinschmecker heute nach Lebensmitteln aus der Region, die mit einem internationalen Flair serviert werden.

Aufsteiger aus Adelboden

Die Zahl der Ein-Stern-Lokale stieg bei «Michelin» auf 95. Einer der 16 Aufsteiger in dieser Kategorie ist der Chefkoch des Restaurants «Alpenblick» in Adelboden, Björn Inniger. Für den 34-Jährigen ist ein Bubentraum in Erfüllung gegangen: «Die Auszeichnung ist etwas vom Grössten, was ein Koch erreichen kann», beschreibt er seinen Stolz. Vom «Gault Millaud» wird der «Alpenblick» bereits seit einiger Zeit mit 16 Punkten bewertet. Dass der «Michelin»-Stern gerade jetzt kam, war für den 34-Jährigen doch eher eine Überraschung, da er in der Corona-Krise auf andere Fragen fokussiert.

Björn Inniger vor dem Eingang des «Alpenblick»-Restaurants.

In den Kopf steigen werden ihm die Auszeichnungen nicht. Inniger bleibt auf dem Boden und leitet das Gespräch immer wieder auf das, was ihm wichtig ist: Auf die Frage, ob für ihn die 16 Punkte oder der Stern wichtiger seien, meint er lakonisch: «Für mich ist der Gast wichtig. Ihn zu verwöhnen, glücklich zu machen, ihm ein Gourmet-Erlebnis, ein Wohlgefühl zu vermitteln, ist für mich und mein Team das höchste und wichtigste Ziel.»

«Was macht ein gutes Essen aus?» Inniger, seit Jahren Mitglied der internationalen Vereinigung junger Restaurantbetreiber «Jeunes Restaurateurs» (JRE), muss nicht lange überlegen. «Ein gutes Essen beginnt mit dem Einkauf von qualitativ hochstehenden Saisonprodukten, geht über eine leidenschaftliche Zubereitung und wird durch einen professionellen Service in einem perfekten Ambiente gekrönt,» antwortet er. In den vergangenen Jahren habe er seinen eigenen Stil gesucht und gefunden; einen Stil, bei dem der Wiedererkennungswert ein wichtiges Merkmal ist.

Top-Qualität aus der Fusionsküche

«Das Beste aus der Region, verfeinert und ergänzt durch Top-Produkte aus aller Welt», lautet der Trend, der auch bei anderen Lokalen ins Auge sticht. In der «Fusionsküche» werden lokale Spezialitäten wie Wild, Schwein, Chabis, Randen mit Entenleber oder Salzwasserfisch kombiniert. Eine seiner Spezialitäten ist das Einmachen von Gemüse und Früchten, das er dem Einfrieren vorzieht. Mit eingemachten Sommerprodukten könne er im Herbst und Winter die warme Saison verlängern, ohne dass der Geschmack oder die Konsistenz der Zutaten leide.

Lokale Spezialität, ergänzt mit Geschmack aus der weiten Welt. 

Nachhaltigkeit, Wiederverwertung, ein sparsamer Ressourceneinsatz mit möglichst wenig Abfällen, keine Produkte aus der Massentierhaltung sind für ihn selbstverständliche Grundsätze, die er nicht extra hervorheben muss. Wenn man in seiner Küche etwas rund aussteche, überlege das Team bereits vorher, wie man das Drumherum verarbeite. Bei der Umsetzung dieser Philosophie kommt ihm auch die Aufteilung des Restaurants im «Bistro» (traditionelle Küche) und «Stuba» (Gourmet-Küche) entgegen. So kann es durchaus vorkommen, dass das Fleisch einer Tomate in einem Gourmet-Menu serviert wird, während die Schale und der Saft im «Bistro» in einer traditionellen Suppe auf den Tisch kommen.

Ungewissheit Corona

Was die Zukunft bringt, weiss niemand, auch Björn Inniger nicht. «Nach dem Ende der Corona-Krise weiterfahren wie vorher, die Qualität, den Stil halten und ausbauen, ein guter Ausbildungsbetrieb sein für Köche und Servicepersonal», lauten seine mittelfristigen Ziele. Kurzfristig hält ihn, wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen in der Branche, der Lockdown auf Trab. Derzeit betreibt Inniger einen Take Away-Service mit Menus, die er normalerweise im «Bistro» serviert.

Bestellt werden etwa Rindstatar, Thai-Curry, Mini-Desserts und ein wöchentliches «StubaMenü@Home» in der bewährten «Alpenblick»-Qualität. Seinen Stammgästen auch während der Pandemie ein Erlebnis bieten und sie mit Kulinarischem verwöhnen, ist ihm Ehre und  Verpflichtung zugleich. «Wir wollen kein Gourmet-Tempel sein. Wir sind für alle da, für Fremde und für Einheimische,» betont der Chef der Dorfbeiz mit einem Stern und 16 Punkten zum Schluss des Gesprächs. Sagts und entschwindet in die Küche an den Herd.

Titelbild: Björn Inniger am Kochherd im «Alpenblick». Im Hintergrund Vater Alfred Inniger beim Gemüserüsten. Fotos Peter Schibli

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1 Kommentar

  1. Ismet Damgaci; )an die werte Redaktion).Doppelt ist nicht mein bescheidener Beitrag, sondern die hochgeschâtzte Reaktion Ihrer hochgeehrten Redaktion.(Ich schreibe nichts doppelt, werde wohl mit einem/mehreren anderen verwechselt.)t

    Altern und „alt leben“ sind Phaenomene, die es zu überwinden gilt. Und „Altsein“ hindert den Menschen auch nicht daran, neue Plâne zu schmieden. Denn man geht dann dazu über, sie auch in die Tat um zu setzen.

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