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Wenn Steine sprechen!

Sicher haben Sie als Kind auch mit Steinen gespielt, am See oder sogar am Meer flache Steine kunstvoll ins und in drei Hüpfern übers Wasser geworfen. Meine Mutter hat sogar im hohen Alter noch Steine gesammelt und sie aufbewahrt in einer grossen Schachtel.

Doch was ist eigentlich das Faszinierende an den Steinen? Ist es ihre Vielfalt? Oder sind es ihre unterschiedlichen Arten, Farben oder Strukturen? Ist es ihr unfassbares Alter (bis zu vier Milliarden Jahre sollen die Ältesten sein) oder ihr Herkommen? Wir wissen, dass sie nicht nur nützlich für den Bau von Häusern oder Brücken sind und waren. Nein – sie regen ganz früh schon auch unsere Phantasie an: Wir alle haben im Kindergarten Steine bemalt, sie dann zu Briefbeschwerern erklärt und nachher an Vater oder Mutter verschenkt.

Erwachsene sammeln Ammonit-Steine. Das sind versteinerte Fossilien oder Schalentiere, die vor unendlich vielen Jahren gelebt haben. Ammonite werden heute sogar beim Händler gekauft.

Und Frauen schmücken gerne ihre Finger, ihre Ohren oder Hälse oder Décolletés mit Bernstein oder anderen teuren Edelsteinen, die sich aus Mineralien bilden. Ich, wiederum, horte einen, wie ich meine, interessanten Stein, den ich vor Jahren im Gepäck von einem Ferienort mit nach Hause getragen habe.

Ein Phänomen ist auch der Unspunnenstein, der 83,5 kg schwer ist, und seit mehr als 100 Jahren jeweils am Unspunnenfest in Interlaken sportlich verwendet wird. 1984, während der Jurakrise, wurde er zu einem politischen Happening: Die Nord-Jurassier (die Béliers) stahlen ihn den Bernern! Was für ein Skandal! Was für eine Schmach!

Die Steine scheinen etwas Besonderes an sich zu haben. Wahrscheinlich haben sie sich deshalb tief in unsere Redeweise und damit in unser kulturelles Denken und Empfinden eingebettet. Das interessiert mich.

Wir sprechen von Bausteinen, von Grabsteinen, aber auch, zwar immer weniger, von Mark- oder Grenzsteinen. Letztere finden wir zwischen Äckern von Bauern; sie markieren die Grenze eines Quartiers oder eines Landes, bei uns auch eines Kantons. Und sie sind sakrosankt. Sie dürfen nicht verschoben werden. Sie stammen aus einer Zeit, als es noch nicht sichere Stadtpläne und Landkarten gab. Und jede Art von Verschiebung zwischen Kantonen erforderte in der Schweiz sogar eine Abstimmung. Gruslige alte Sagen verraten uns, wie heimlich in einer Mondnacht ein Bauer einen Markstein zugunsten seines Landbesitzes versetzt und für immer ein Geächteter bleibt.

Doch nun zu den eigentlichen Redewendungen: Jeder von uns kennt den Ausdruck: mir fällt ein Stein vom Herzen! und meinen damit, dass wir von einer grossen Last befreit wurden, dass wir aufschnaufen dürfen. Und sicher haben Sie auch schon jemandem gesagt, dass Sie ihm bei Gelegenheit auch mal einen Stein in den Garten werfen. Sie meinten damit etwas Positives. Sie wollten Ihrem Vis-à-vis einen Gefallen tun. Etwas ganz anderes ist es, wenn man hofft, dass einem keine Steine in den Weg gelegt werden. Man möchte freie Bahn und nicht unnötig von Hindernissen zurückgehalten werden.

Wir kennen den Ausdruck: Jemand hat ein Herz aus Stein, was kein Kompliment ist. Oder man beklagt sich am Mittagstisch darüber, dass das Brot steinhart ist und man es gar nicht mehr essen kann, was einen daran erinnert, dass viele Menschen auf der Welt gar kein Brot haben. Andere Menschen wiederum sind steinreich oder haben Geld wie Sand am Meer.

In der Bibel* lesen wir: «Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.» Mit anderen Worten könnte man sagen: Niemand ist ohne Fehler, niemand hat nie etwas Falsches gemacht! Wir sind alle unvollkommene Geschöpfe. In der Bibel rettet Jesus mit diesem Satz eine Ehebrecherin, die gesteinigt werden sollte. Ja, wir haben nicht das Recht, über andere den Stab zu brechen.

Wir sagen: Etwas ist in Stein gemeisselt! und meinen damit, dass etwas so ist und bleibt, für ewig. Der Ausdruck bezieht sich auf eine physische Realität: auf die Jahrtausende alten, markanten und für uns rätselhaften Steine, in England und Irland die Stonehenge, auf Korsika oder Sardinien die Menhire, in anderer vielfältiger Form in Ägypten, in Mesopotamien, auf Feldern oder in Höhlen auf allen Kontinenten. Auf diesen Steinen oder Wänden finden wir fremde Schriftzeichen: Hieroglyphen, Zeichen in kyprischer Schrift, in Runen oder in Keilschrift eingravierte Symbole. Als Laien empfinden wir sie als für die Ewigkeit markierte Geheimnisse, auch wenn sie heute von Fachleuten entziffert werden können, mit Ausnahme des phönizischen Alphabets.

Und bevor ich Sie Ihrem eigenen Nachdenken über Steine überlasse, möchte ich noch auf den Ausdruck «Es fällt ihm kein Stein aus der Krone» hinweisen. Das sagt man von jemandem, der sich nicht dazu entscheiden kann, etwas Mutiges zu tun. Es fällt ihm kein Stein aus der Krone meint, dass er eigentlich nichts verlieren kann, wenn er den Schritt macht und handelt. Er oder sie dürfen sich nicht zu gut für eine bestimmte Tat sein. Die wertvollen Edelsteine in der Krone riskieren sie nicht, wenn sie endlich etwas tun.

Unsere, aber eigentlich jede Sprache ist voller solcher Schmuckstücke von Redewendungen. Vielleicht fallen Ihnen zu den Steinen noch ganz andere Sprüche ein. Alle sind sie Teil unserer Kultur – das fasziniert mich.

* Johannes 8,7

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