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Die Frau an der Migros-Kasse

Immer wieder, wenn ich an der Kasse in der Migros, in der Schlange vor der Coop-Kassiererin warte, sinne ich darüber nach: Wie kommt die Frau mit ihrem Lohn von etwa 4’000 Franken brutto zu Rande? Ist sie aufgehoben in einer Familie, die zusammen das verdient, was es zum Leben braucht? Ist sie Alleinerzieherin? Muss sie jeden Franken zweimal umdrehen, bevor sie ihn ausgibt. An der Kasse geht es ganz schnell, mit flinken Händen zieht sie die Waren über die digitale Preiserfassung, jeder Preis wird lautlos vom Zahlsystem addiert. Als die Summe auf dem kleinen Bildschirm aufscheint, kommt es zum obligaten, ganz kurzen, ganz routinierten Dialog: «Zahlen Sie mit Karte?», «Ja». «Haben sie eine Coop-Karte?», «Nein». Das ist tatsächlich das Einzige, was wir miteinander austauschen. Ich tippe den Code ein, ziehe die Kreditkarte aus dem Gerät heraus, packe ein und verschwinde.

Manchmal hänge ich dem Dialog nach, wenn ich in unmittelbarer Umgebung der Migros-Filiale im Zürcher Seefeld an einem sanierten Haus vorbeigehe, in dem für eine 3½-Zimmer-Wohnung ohne Nebenkosten 3’250 Franken zu zahlen sind. Fast so viel, wie die Frau an der Kasse im Monat netto verdient. Gerne hätte ich mich mit ihr darüber ausgetauscht. Vielleicht das nächste Mal. Denn ich frage mich auch immer wieder, warum fallen die Einkommen so unterschiedlich aus, warum öffnet sich die Schere zwischen den höchsten und den niedrigsten Löhnen so weit? Die obersten Migros-Manager beispielsweise verdienen um eine Million herum und die meisten meinen, das sei doch zu wenig, vor allem dann, wenn sie ihre Bezüge in «ihren Clubs» mit denen der obersten Bankmanagern vergleichen, die mehrere Millionen im Jahr beziehen, mit denen sie sich im jeweils gleichen Club treffen und über gerechte Löhne sich auszutauschen pflegen. Und sich dabei still nach ihrem eigenen Marktwert fragen.

Und wenn ich auf dem Heimweg weiter darüber nachdenke, frage ich mich, warum lassen sich so viele in den prekären Einkommensverhältnissen so weit abhängen? Warum sind die untersten Angestellten in den Einkaufscentern so schlecht bezahlt? Warum sind die Pflegenden in den Spitälern, in den Heimen, in den sozialen Institutionen am unteren Ende der Lohnskalen zu finden? Die Chefärzte so weit oben? Warum entsteht nicht ein revolutionäres Potential? Die Antwort ist so einfach wie kompliziert. Einmal ist die Verantwortung ungleich verteilt, welche im Interesse des Unternehmens, der Klinik beispielsweise, zwischen oben und unten naturgemäss wahrgenommen werden muss. Der unterschiedliche Ausbildungsstand ist meistens bedeutend. Doch rechtfertigt dies die immensen Unterschiede? Ja, sagte das Schweizer Stimmvolk am 24. November 2013 indirekt. Es lehnte die eidgenössische Volksinitiative «1:12 – Für gerechte Löhne» mit 65 % Nein-Stimmen ab. Das Volksbegehren der Jungsozialisten forderte, dass niemand mehr als zwölfmal so viel verdienen darf wie die am schlechtesten bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im selben Unternehmen.

Der Souverän wollte damals nichts ändern. Das Resultat war eindeutig genug, brachte den Volkswillen deutlich zum Ausdruck. Die so schlecht Bezahlten dagegen haben meist gar nicht die Kraft, sich zu wehren, haben als Ausländerinnen und Ausländer kein Stimmrecht, sind schlecht organisiert. Und die Frauen haben in ihren Familien oft noch ganz andere Verpflichtungen, als sich politisch zu engagieren.

Wie ist es jetzt nach der Pandemie? Die Börse boomt, die Immobilienpreise steigen überraschend stark an, die Wirtschaft blüht auf. Werden die Lehren aus der Krise nun gezogen, werden nun die Pflegenden besser bezahlt oder müssen sie vom Applaus von den Balkonen zehren? Und bald kehren wir vollends zur Normalität zurück. Die Krise ist fürs erste ausgestanden, wenn nicht neue Mutanten des Virus uns wieder hinter die Masken zwingen werden.

Und nach der Corona-Krise wird wieder das grosse Thema ins Zentrum der Politik rücken, das von ihr verdrängt worden war: die Klimakrise. Sie wird anstelle der Pandemie das politische Handeln prägen. Und wieder wird eine Frage im Zentrum stehen: Wen werden die Kosten, welche die drastischen Massnahmen, die eine griffige Klimapolitik auslösen werden, am stärksten belasten? Zweifellos die Menschen mit den kleinsten, den kleinen Einkommen und gar die, welche dem unteren Mittelstand angehören. Hohe Benzinpreise, teure Wohnungen, überteuerte Immobilien, stark gestiegene Preise für Reisen. Flüge werden sich nur noch die Menschen leisten können, die mindestens zwei bis dreimal so viel oder eben noch viel mehr verdienen als die Frau an der Migros-Kasse.

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7 Kommentare

  1. Die Antwort ist schnell gegeben! Solange wir für unsere Nahrungsmittel nur noch einen Bruchteil unseres Einkommen zu bezahlen bereit sind; das BD für Ferien u Sport höher liegt, als jenes für unsere Nahrung eines Jahres, wird das wohl nie ändern! Dann soll es noch « billiger » gehen, wenn wir bei den Discounter im Ausland einkaufen!
    Die Margen im DH lassen viel höhere Löhnen gar nicht zu, bei diesen Tiefspreisen! Fazit: der Kunde bestimmt die Höhe der Löhne weitgehend; u könnte dies ändern! Aber vielen Dank an die vielen Angestellten im DH, die ihre Arbeit nicht nur sehr gut; sondern grössten teils sehr zufrieden tun! Das ist bei vielen Top-Verdiener doch eher selten!

  2. Wieder ein Gejammer auf höchster Ebene in der wohlstandsverwöhnten Schweiz mit praktisch den höchsten Reallöhnen weltweit! Das sind meist auch die gleichen, die einem EU-Beitritt zustimmen und vollkommen ausblenden, dass die Schweiz ein Hochlohnland ist, das sich als EU-Mitlgied so nicht halten könnte. Der Durchschnittslohn in Deutschland beträgt € 2’380, ergo nicht mal 70% vom Lohn, den eine Kassiererin bei uns in einem Supermarket verdient. Übrigens verdient eine Migros Kassiererin ca. das dreifache von dem was eine deutsche Kollegin verdient! In deutschen Grosstädten:München, Hamburg usw. sind die Mieten mittlerweile praktisch auf Schweizer Niveau oder sogar noch höher.

    • Jaja…. kein Vergleich möglich. Deutschland im Lohn Steuern schon bezahlt. Im Lohn ganze Krankenkasse bezahlt nicht nur ein Teil. Mietpreise, Strom und so weiter Preislich nicht vergleichbar!!!! Somit ob Deutschland oder Schweiz wer die Tiefsten Löhne hat hat im Gleichstand verlohren. Da ist kein Jammern. Nur 90% der Deutschen haben von Schweizer System keine Ahnung und reden Schrott.

      • Ich bin Schweizer und Oekonom und weiss von was ich rede. Wir vergleichen hier Bruttolöhne. Und wer Anstand hat, meldet sich mit richtigem vollem Namen an, dann wird der Tonfall sofort gemässigter… Der «Gehalt» ihres Post käme wohl auch unter vollem Namen nicht über die «Schrottschwelle» hinaus…..

  3. Ich wäre froh wenn da nemand gibt wo viel Geld hat und möchte Jemandem helfen wâre sehe dankbar uns zu helfen.😊

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