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Gedanken auf dem Heimweg!

«Wunderbar widersprüchlich», so heisst eine Ausstellung im Landesmuseum Zürich. Sie dauert noch bis am 24. April – und stellt einen vor Fragen, denen man kaum ausweichen kann. Jedenfalls erging es mir so.

Es geht um die Schweiz; um Betrachtungen von unbestritten tollen Werten wie Neutralität, humanitäre Traditionen, um Spitzenqualitäten, die bei uns produziert werden, um Perfektion und mehr. Aber da sind auch, wie es heisst, die «gierigen Banken», die sozialen Kontrollen, das permanente Wissen darum, dass es besser ist, nicht aufzufallen.

Es geht einerseits um Fakten, und andererseits auch um Klischees, um Bilder, die wir gerne von uns haben. Und es geht um Dinge, die uns stören, mit denen wir nicht zurechtkommen oder solchen, die wir nicht moralisch finden, auch wenn sie längst zur Geschichte gehören oder wieder gut gemacht wurden. In den vergangenen 100 Jahren haben wir sie immer wieder auch an Landesausstellungen präsentiert: all die Widersprüchlichkeiten.

Erwähnt werden Werte, Dinge, auf die wir stolz sind; vielleicht sind es auch Selbstverliebtheiten. Und auf der anderen Seite erinnert man uns an die Fichenaffäre (1989) oder die Abstimmungen über das Frauenstimmrecht 1918 und 1959, die beide Male die alte Männer-Ordnung bestätigten und die Frauen lange stehen liessen.

Und da gibt es Meinungen über uns Schweizerinnen und Schweizer, nach denen wir langweilig, unfreundlich, ja gar geizig sind. Auch taucht die Frage auf, ob wir ein demokratischer Musterstaat sind oder aber der Hort der Habgierigen.

Nichts wird bösartig aufgelistet. Die Ausstellung rüttelt einfach auf: He, Besucher! He, Besucherin, denk’ nach!

Und so bin ich zwischen den Schaukästen weiter geschlendert und habe auch eine Reihe humorvoller Feststellungen gefunden. So die Tatsache, dass wir uns als Land und Leute doch manchmal überschätzen. Zu dieser Frage gibt es eine köstliche Karikatur, die schon einige Jahre alt ist: Trump sitzt im Oval Office im Weissen Haus und erwartet Besuch vom Schweizerischen Bundespräsidenten Ueli Maurer. Dieser schreitet mit riesigen Schritten und viel zu grossen Schuhen auf das Pult des amerikanischen Präsidenten zu, wo für den Schweizer ein Kinderstüheli wartet. Die Schweiz im Verhältnis zu den USA! Die Schweiz als Kindersesseli.

Sind wir ein solidarisches Land oder eher ein Land, das egoistisch nur an sich denkt? Anerkennend wird die NEAT erwähnt, die wir eigentlich auch für Europa gebaut haben: übrigens pünktlich fertiggestellt und auch die Finanzen blieben im vom Volk abgestimmten Rahmen. Ein weiteres Paradebeispiel von Solidarität ist auch die AHV. Und auf der anderen Seite werden wir erinnert an die Waffenexporte, das ehemalige Bankgeheimnis, das Raubgold oder aber die nachrichtenlosen Vermögen.

Die Stabilität des Landes erhält hingegen viel Lob! Die Leistungen von Henri Dunant und Roger Federer werden explizit erwähnt. Ein Bravo erhält auch die Ingenieurskunst und zahlreiche Erfindungen von Schweizern. Man denke an den Eiffelturm oder an die Kunst, Brücken zu bauen überall auf der Welt.

Zu Vorzeigefiguren aus der Literatur wurden das «Heidi», der freiheitsliebende Wilhelm Tell und natürlich seit 1941 auch: Globi. Globi als Biobauer, Globi im Freiwilligen- Einsatz, Globi und die Demokratie. Alles hervorragende Geschichten mit erzieherischem Wert. Aber die Welt? Sie sieht halt leider nicht immer so heiter aus.

Auf dem Heimweg habe ich mich gefragt, was uns all die Widersprüche sagen wollen? Was bedeuten sie für uns? Wie geht der Mensch mit Widersprüchen um? Und vor allem: Ist der Mensch nicht auch selber voller Widersprüche?

Vorab ist zu sagen, dass es ja eigentlich grossartig ist, dass eine solche Ausstellung gemacht wird. Nicht jedes Land erträgt Kritik und rafft sich damit auf zu einer gewissen Selbstkritik. Und das ist die Ausstellung: eine Art Zugeständnis dafür, dass wir dazu stehen, dass es Widersprüche gibt in unserem Land, über die wir auch bereit sind nachzudenken. Diese Haltung verrät eine gewisse innere Grösse.

Und eigentlich, so sinniere ich weiter, ist der Mensch ein Lebewesen, das in sich viele Widersprüche trägt. Er hat einen Körper, der gehegt und gepflegt werden muss. Und er hat einen Verstand, der die Wahl hat, frei Entscheidungen zu treffen, die aber sehr oft auch im Widerspruch sind mit dem, was der Körper will, geschweige, was die Seele sich wünscht.

Widersprüchlich sind oft auch die Bedürfnisse des Menschen: Einerseits möchte er immer mehr und mehr, ja eigentlich alles haben; er weiss jedoch zutiefst, dass alles zu haben unmöglich ist. Und er ahnt auch, dass alles haben nicht der Sinn des Lebens sein kann. Doch der Mensch braucht Sinn im Leben. Sinn entsteht aber erst durch sein Streben, seine Wünsche, durch sein Begehren oder sein Suchen.  Die Vollkommenheit hingegen, sie ist für den Menschen unerreichbar.

Ist der Mensch also selbst eine Art Paradoxon? Vielleicht! Aber er hat einen Ausweg: Die breite Palette von oft widersprüchlichen Werten, das gleichzeitige Nebeneinander von Fakten und Hindernissen, aber auch das in jedem Menschen innewohnende Wissen darum, dass das Leben endlich ist, zwingen ihn immer wieder zu Entscheidungen. Er entscheidet letztlich frei – aber er entscheidet. Und zwar meistens so, dass er zu sich sagen kann: Doch, das macht Sinn. Und genau das sind die Momente, die den Widerspruch in uns für einen Augenblick aufheben.

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2 Kommentare

  1. Sie haben mich gluschtig auf diese Ausstellung gemacht. Die Schweiz ist wahrlich voller Widersprüche. Sie ist eigentlich ein Paradies en minature: die Vielfalt der Natur, der Kulturen, der Politik und die Sicht der Menschen auf das Leben.

    Aber heutzutage frage ich mich, was hält die Schweiz trotz grossen Widersprüchlichkeiten noch zusammen? Wie heissen die Werte, die sie künftig gegen aussen und innen verteidigen will? Wo wird die Schweiz in der Zukunft ihren Platz in der Welt haben?

    Widersprüche muss man aushalten können, auch bei sich selbst. Die Zeit der Pandemie hat uns anschaulich gezeigt, dass die Schweizerinnen und Schweizer sich zum Teil schwertun, andere Meinungen zu akzeptieren und sie haben in einem bisher nicht gekannten Mass anders Denkende mit ihren Äusserungen verletzt und gedemütigt. Mir scheint, im Internetzeitalter kommt eine Seite des Menschen zum Vorschein, die zwar vielleicht immer da war, aber im direkten Kontakt nie so offen und verletzend gezeigt worden wäre.

    Aber es gibt auch die andere Seite der Wut und Agressivität. Viele Schweizer und Schweizerinnen zeigten Empathie und Verständnis und haben Millionen Franken für die Ukrainischen Flüchtlinge gespendet und bieten Unterkünfte und liebevolle Betreuung für die vom Kriegsgeschehen in ihrer Heimat gezeichneten Menschen.

    Auch ein Widerspruch? Ein Leben ohne Widersprüche gibt es nicht. Wir alle müssen nur lernen, damit besser umzugehen, sie auch als Chance für ein gerechteres Miteinander zu begreifen.

  2. Ich bin gerne Schweizerin und lebe gerne hier. Ich möchte mir aber nicht Dinge vorwerfen lassen, die vor meiner Geburt (1945) passiert sind. Meine liebsten Freunde sind Ausländer, die aus ihrem Land weggehen mussten. Das gibt den Blick frei für das Gute bei uns.

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