Wie erzählen wir uns von der Liebe? In Bochum vor einem Jahr uraufgeführt, gastiert Regisseur Christopher Rüping mit seiner viel beachteten Inszenierung «Das neue Leben. Where do we go from here» nach Dante Alighieri am Zürcher Schauspielhaus.
In seinem Jugendwerk Vita nova schildert Dante Alighieri, dessen Todestag im Jahr 2021 zum 700. Mal jährte, seine Liebe zu Beatrice. Mit neun Jahren treffen sie sich, es ist nur ein Blick. Mit 18 Jahren sehen sie sich wieder. Es ist ein Gruss, weit weg von ihr. Denn sobald er sich ihr nähert, verliert er die Fassung und wird ausgelacht. Er täuscht sogar andere Beziehungen an, um seine wahre Liebe zu vertuschen. Das macht es am Ende nur schlimmer. Als die Pest wütet und Beatrice jung verstirbt, hat er nichts erreicht – ausser einem Stapel glühender Liebesgedichte und Liebeslieder. Dante hat seine Gefühle seiner frühverstorbenen Geliebten nie gestanden. Die Liebe, sie blieb bis in alle Ewigkeit unausgesprochen.
Erkundungsreise durch Dantes Liebeswelt
Was nützt die Liebe in Gedanken? Mit dem Ensemble begibt sich Regisseur Christopher Rüping auf eine Erkundungsreise durch Dantes Liebeswelt und die seiner popkulturellen Erben, von Britney Spears bis Meat Loaf, beleuchtet die Geschichte einer grossen Liebe in all ihren Stimmungslagen. Gross ist diese Liebe nur in Gedanken. Die vier Schauspieler (zwei Frauen, zwei Männer) mühen sich auf der Pfauenbühne redlich ab, das Innenleben des flammend verliebten Dantes darzustellen, dieses zu hinterfragen und mit dem Hier und Jetzt zu konfrontieren.
Der Ritt durch Hölle, Fegefeuer bis ins Paradies in grellem Scheinwerferlicht, die Darstellenden als schattenhafte Zuschauer.
Die Bühne ist karg bestückt und ganz in Schwarz. Das Saallicht bleibt an, die Zuschauenden werden miteinbezogen. Mit vorprogrammierter selbstspielender Klaviermusik werden die musikalischen Liebesbekundungen in Karaoke-Manier melodramatisch vorgetragen, so der Mega-Hit «Baby One More Time» von Britney Spears und «I Will Always Love You» von Whitney Houston.
Ein Ritt durch Hölle, Fegefeuer bis ins Paradies
Alle Dialoge und Monologe kreisen um die Liebe, um die vollkommene Liebe. Wird sie ausgesprochen, wird sie echt und billig. «Ich will nicht, dass es echt wird, ich will, dass es vollkommen bleibt», lautet eine der Antworten. In Dauerschleife wird Beatrices Gruss auf der Strasse abgespielt, fantasievoll ausgemalt. «Vielleicht brauche ich nicht mehr, als zu wissen, dass es sie gibt», lautet hier die ernüchternde Antwort.
Die Obsession wendet sich, als Beatrice 24jährig an der Pest stirbt und Dante schwer erkrankt. Das Saallicht erlischt, die Bühne wird in grelles Scheinwerferlicht getaucht. Aus der Decke wird ein leuchtturmähnliches Gebilde ausgefahren, umrundet die neun Kreise aus Dantes altem Leben, begleitet von dröhnender Elektromusik und herumschleichenden Fabelwesen. Es ist ein Ritt durch Hölle, Fegefeuer bis ins Paradies, wo Dante Beatrice wieder trifft. Diesmal eine gealterte, in Weiss gekleidete Beatrice, die mit Witz und Leichtigkeit tröstende Lebensweisheiten ausspricht, was Dante nicht vermochte.
Wiedersehen mit Beatrice im Paradies (v.l.): Damian Rebgetz, Henni Jörrisen, Viviane De Muynck, Anne Rietmeijer, William Cooper. Fotos: Jörg Brüggemann / Ostkreuz
Die Schauspieler (William Cooper, Viviane De Muynck, Henni Jörrisen, Damian Rebgetz, Anne Rietmeijer) liefern eine reife Schauspielleistung. Sie ringen förmlich um Worte wie Begegnungen, verzehren sich schmerzvoll in Liebeshymnen von Britney Spears bis Meat Loaf. Die Jury des Berliner Theatertreffens 2022 schreibt über diese Inszenierung: «Es geht um die grosse Liebe, den Tod und verpasste Momente. Und darum, wie aus diesen manchmal Kunst entsteht. Ein mutiger, überraschender, schauspielerisch wie musikalisch virtuoser Abend, der uns bei unserer (post-)pandemischen Sehnsucht nach Begegnung und Neuanfang packt, das Herz meint und ans Herz geht.» Trotz gewisser Längen vorab im ersten Teil der Aufführung, Rüpings Inszenierung begeisterte auch das Zürcher Premierenpublikum.
Weitere Spieldaten: 22., 23. Oktober, 22., 23., 24. November