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Villa, Park und WG verwalten

Jonas (74) ist verheiratet und wohnt im Gärtnerhaus einer Villa, die von einer Gross-WG bewohnt wird, mitten in der Stadt. Das Haus ist ebenerdig und besteht hauptsächlich aus einem Raum. Jonas hat keine Kinder:

Meine Frau findet, es wäre ein hübsches Ferienhäuschen, aber zum Wohnen für zwei Personen mit Hund ist es eigentlich zu klein. Trotzdem gefällt es uns sehr. Das Gärtnerhaus ist klein, kompakt und perfekt. Ich wohne seit 30 Jahren hier. In einem Jahr läuft der Mietvertrag aus. Aber das beunruhigt mich nicht, ich lebe nun seit 20 Jahren mit befristeten Mietverträgen. Bisher wurden sie immer wieder verlängert. Das denkmalgeschützte Häuschen gehört zu einer grossen Villa und liegt in einem wunderbaren Gartenpark. Heute leben im Haupthaus zwei Wohngemeinschaften mit fünf beziehungsweise sechs Personen.

Der gepflegte Aussenraum ergänzt das kleine Gartenhaus.

Die Leute in der oberen WG sind jünger, in der unteren WG sind die Bewohnerinnen und Bewohner zwischen 26 und 76 Jahre alt. Die beiden WGs pflegen sehr unterschiedliche Wohnstile, was immer wieder zu Unstimmigkeiten führt. Ich bin seit vielen Jahren der Verwalter der Liegenschaft, die heute der Stadt gehört. Die WG-Bewohner sind meine Untermieter und ich schaue, dass alles gut funktioniert. Wenn es eine «Chäsete» zwischen den WGs oder zwischen den Bewohnern gibt, halte ich mich wenn möglich zurück. Mir ist es wichtig, dass sie ihre Konflikte selber lösen. Ich habe zu allen, oder fast allen, ein gutes persönliches Verhältnis. Viele wohnen beinahe so lange hier wie ich. Seit ich vor sechs Jahren aus dem Berufsleben ausgestiegen bin, verwalte ich nur noch die Liegenschaft. In der Villa habe ich dafür ein Büro, in dem ich auch übernachten kann. Seit einiger Zeit wohnt dort ein Neffe meiner Frau, der für ein Jahr bei uns zu Besuch ist, um Deutsch zu lernen und zu arbeiten. Mit ihm hat sich auch unser Alltag verändert.

Wenn man mit einem jungen Menschen zusammenlebt, bringt das schon Veränderung in den Alltag. Zum Beispiel sitzen wir jetzt regelmässig gemeinsam am Tisch. Meine Frau hat bei unserer Heirat vor 17 Jahren den Lead in der Küche übernommen, auch wenn die Grösse, beziehungsweise die Kleinheit für sie als professionelle Köchin eine Herausforderung darstellt. Sie ist halbtags berufstätig und übernimmt häufig Catering Aufträge. Dafür hat sie zusätzlich einen Raum im Keller eingerichtet. Dort gibt es auch eine Werkstatt, wo ich kleinere Reparaturen für die Liegenschaft ausführen kann. Die Aufgabe hier ist perfekt für mich. Wir sind verantwortlich für die Liegenschaft und können dafür im Gärtnerhaus wohnen. Ich bin in der Nähe der Wohngemeinschaften aber dennoch nicht mittendrin. Es gefällt mir sehr, mit unterschiedlichen Leuten im Austausch zu sein. Ein stabiles Netzwerk und verlässliche Beziehungen sind mir wichtig. Ich habe keine Berührungsängste, gehe offen auf die Menschen zu und versuche, ihren Blickwinkel zu verstehen. Ich glaube, ich kann sagen, dass ich ein guter Vermittler bin.

Erinnerungsstücke aus einem erfüllten Leben.

Diese Freude an den Menschen hat mich auch in meiner beruflichen Arbeit immer geleitet. Ich hatte zwar ein Flugbrevet, eine Lastwagenprüfung, eine Taxilizenz und ein kleines Baugeschäft, aber eigentlich war ich immer ein Gastgeber und ein neugieriger Mensch. Deshalb war ich auch viel auf Reisen und an verschiedenen Gastro-Innovationen beteiligt.

Eigentlich geht es mir gut, aber ich spüre das Älterwerden. Ich muss mir mehr Zeit nehmen für mich und möchte bewusst im Hier und Jetzt leben. Innerlich bereite ich mich darauf vor, dass eines Tages alles zu Ende geht. Darum geniesse ich jeden Tag, als ob es der letzte wäre. Und auch wenn mein Mietvertrag befristet ist, habe ich keine Angst vor der Zukunft. Eine meiner grössten Stärken ist meine Flexibilität. Ich weiss, dass ich wenig brauche und mich überall anpassen kann. Und das gibt mir ein gutes Gefühl.


Bisherige Beiträge der Serie «Wohngeschichten»:

Ade Familienwohnung
Schicksalsgemeinschaft mit Bruder
Leben im Zügelchaos
Wann ist der richtige Zeitpunkt?
Trotz Erblindung zu Hause
Ich wollte mich noch mehr verkleinern
Morgenkaffee in der Lobby
Mit dem Schneckenhaus unterwegs


Zur Kolumne: Weil mich Wohngeschichten schon immer fasziniert haben, rede ich mit Menschen im letzten Lebensdrittel über das Thema Wohnen. Welche Bedeutung hat die Wohnung für eine Person? In welcher Lebensphase sucht man sich eine neue Wohnung? Was ist den Leuten wichtig? Ich freue mich jedesmal auf die Begegnung mit den spannenden Menschen und ihren Wohngeschichten.

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1 Kommentar

  1. Hallo, nach dem Tod meines Mannes wird mir unser Haus zu gross und es ist auch sehr arbeitsintensiv – so beschäftigen wir uns mit dem Nachrutschen der nächsten Generation – gemeinsam oder anderweitig. Wäre auch eine Möglichkeit in einem anderen Umfeld = WG, etc. möglich ? Oder auch in einer neu zu gründenden Gemeinschaft – in einer geräumigen Umgebung ? Warum nicht einen Kontakt machen ?

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