Annette (80) hat drei Kinder und drei Enkelkinder. Sie liebt Bücher und war früher Buchhändlerin und Bibliothekarin. Sie wohnt in einer grosszügigen Wohnung in Bern:
Es war ein spannendes Projekt. Mein Mann und ich hatten geplant, das gemeinsam zu realisieren, aber weil er früh verstorben ist, ging das leider nicht. Am Schluss seines Lebens war er müde und wir gingen nur noch in unser Haus nach Frankreich oder blieben zu Hause am Thunersee. Ein grosser Umbau und ein Umzug in die Stadt wären zu viel für ihn gewesen. Aber irgendwann wollte ich das Projekt dennoch umsetzen – so machte ich es halt alleine. Ich fand einen guten Architekten, der mich unterstützt hat. Mir machte es grosse Freude zu überlegen, wie aus dem alten Dachgeschoss im zentral gelegenen Haus in Bern eine schöne, komfortable Wohnung entstehen könnte. Wichtig war mir ein Lift. Das war ja auch einer der Gründe, weshalb ich aus dem Haus ausziehen wollte. Dort hatte es überall Treppen, nicht einmal zur Eingangstüre kam man ohne Stufen. Nun führt der Lift direkt in die Wohnung. Die Lust am Gestalten hatte ich schon immer. Heute würde ich wohl einen Beruf daraus machen, aber damals ging man davon aus, dass es ausreicht, wenn junge Mädchen einen guten Mann finden.
Das Einrichten und Gestalten war inspirierend.
Ich hatte zum Glück einen sehr interessanten Mann. Er war Arzt und ich habe für ihn die geschäftlichen Dinge erledigt und war auch für die Finanzen zuständig. Er spielte Jazz auf dem Klavier, er las und schrieb gerne und er malte, zeichnete und skizzierte. Wir hatten oft Gäste und das habe ich auch hier vor. Im Dachgeschoss kann ich die Sofas wegrollen, wenn es mal Platz brauchen sollte für musikalische oder literarische Darbietungen. Die Sofas habe ich in Frankreich gefunden – sie sind flexibel platzierbar und passen gut in den Raum mit den Balken und den Dachschrägen.
Ein paar Möbel habe ich neu gekauft und wenige alte Möbel habe ich mitgenommen. Es waren nicht die Möbel, die den Umzug aufwändig gemacht haben, sondern all die anderen Dinge. Erinnerungen von Reisen, Dokumente von unseren Vorfahren, Geschirr, Fotos, Bilder, Bücher.
Der Zügelunternehmer brachte 80 Kisten und ich habe fast alle gebraucht. Natürlich konnte ich nicht alles mitnehmen. Es gab viel zu überlegen, auch zusammen mit meinen Kindern, die mich beim Zügeln unterstützt haben. Mir war es wichtig, die Dinge nicht einfach zu entsorgen, sondern sie nach Möglichkeit sinnvoll zu platzieren. Das blaue Kreuz war dankbar für die vielen Spielsachen, die sie übernehmen konnten. Aber ich hatte trotzdem eine Mulde vor dem Haus.
Mir fiel eine Last von den Schultern, als die Dinge schliesslich geordnet in den Kisten verstaut waren. Nun geht es ans Auspacken. Ich bin zwar schon ein halbes Jahr hier, aber mit dem Einräumen bin ich noch nicht fertig. Die Kisten mit Dokumenten, Fotos und Erinnerungen muss ich bei Gelegenheit durchschauen und ordnen, hier fehlen mir noch Vorhänge, beim Eingang fehlt ein Gestell und so weiter. Es ist noch nicht ganz fertig. Aber ich halte das gut aus. Eigentlich mag ich es, wenn die Dinge nicht ganz fertig sind, wenn es noch etwas zu gestalten gibt. Ich schaue lieber in die Zukunft als in die Vergangenheit.
Noch sind nicht alle Bücher eingeräumt.
Darum bin ich auch sehr froh, dass ich diesen Schritt gemacht und mich vom alten Ort gelöst habe. Ich würde das auf jeden Fall wieder machen. Aber ich muss auch sagen, es braucht Zeit, um am neuen Ort heimisch zu werden. Auch wenn hier alles wunderschön ist, so ist es doch manchmal ein bisschen fremd. Wie in einem schönen Hotel. Das Gefühl, hier zu Hause zu sein, kommt nicht gleichzeitig mit den Zügelkisten am neuen Ort an. Das braucht länger. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ich hier Bekannte habe. Mit meiner Wohnsituation schaue ich aber getrost in die Zukunft. Der Lift und die schwellenfreie Wohnung bieten eine gute Grundlage, um noch lange selbständig zu bleiben. Ich habe eine Hilfe im Haushalt, wie schon am alten Ort. Gesundheitlich geht es mir gut, auch wenn es beim Aufstehen hier und dort etwas harzt. Ich muss keine Medikamente nehmen und darüber bin ich froh. Wenn ich etwas hätte, möchte ich keine aufwändige Behandlung. Lieber gut leben und eines Tages tot umfallen.
Bisherige Beiträge der Serie «Wohngeschichten»:
Ade Familienwohnung
Schicksalsgemeinschaft mit Bruder
Leben im Zügelchaos
Wann ist der richtige Zeitpunkt?
Trotz Erblindung zu Hause
Ich wollte mich noch mehr verkleinern
Morgenkaffee in der Lobby
Mit dem Schneckenhaus unterwegs
Villa, Park und WG verwalten
Zur Kolumne: Weil mich Wohngeschichten schon immer fasziniert haben, rede ich mit Menschen im letzten Lebensdrittel über das Thema Wohnen. Welche Bedeutung hat die Wohnung für eine Person? In welcher Lebensphase sucht man sich eine neue Wohnung? Was ist den Leuten wichtig? Ich freue mich jedesmal auf die Begegnung mit den spannenden Menschen und ihren Wohngeschichten.