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An der Leitschnur der USA

Noch sitzen sie daheim, beugen sich in ihren Studierstuben – oder wo auch immer in diesen Ostertagen – über dicke Papierstösse oder blicken unablässig in ihren Laptop, um sich klar darüber zu werden, was die Sondersession der eidgenössischen Räten nächste Woche noch bringen wird. Die National- und Ständerätinnen und -räte brüten dabei darüber, weshalb die Sondersession überhaupt noch stattfinden soll, nachdem die Fülle von Vorstössen, die zum grossen Bankendeal UBS/CS gar im ersten Zorn eingereicht wurden, markant an Schärfe verloren haben, als milde Postulate zwar überwiesen, aber kaum eine Wirkung erzielen werden. Und die Frage, ob das Parlament eine parlamentarische Untersuchungskommission PUK einsetzen will, steht noch nicht einmal zur Debatte, weil die ständerätliche Kommission noch nicht weiss, ob sie eine PUK überhaupt will.

Viele werden dennoch ihre Interventionen, ihre Begründungen zu den Vorstössen oder ihre Gegenargumente tippen, gar an einer grossen Rede feilen, dabei merken, mit welch komplexer Materie sie sich zu befassen haben. Sie werden Berater konsultieren, sachverständigen Rat einholen, mit ihren Partei-Sekretariaten reden, sich mit Kolleginnen und Kollegen absprechen, denn eines wollen die Damen und Herren keinesfalls riskieren: sich öffentlich blamieren. Der Wahlherbst kündigt sich an, steht so bereits vor der Tür.

Sie werden aber auch gewahr werden, dass sie leidlich wenig zu entscheiden haben. Das meiste hat der Bundesrat über Notrecht bereits entschieden und die Eidgenossenschaft, also uns alle, vertraglich verpflichtet. Ganze Fraktionen, beispielsweise die Sozialdemokraten und allenfalls die SVP, wollen die Verpflichtungskredite für eine Ausfallgarantie des Bundes an die SNB, die Verlustabsicherung an die UBS AG sowie die Ausfallgarantie des Bundes ablehnen. Die SP will einfach mal ein Zeichen, obwohl ein Nein ohne Folgen bleibt. Die SVP will auf Geheiss von Christoph Blocher mehr: mit einem Ja ein Versprechen des Bundesrates einhandeln, dass er die UBS verzwergen wird. Welche Anmassung und welche Folgen das mit sich bringen würde: eine Verunsicherung an den internationalen  Finanzmärkten, was die Schweiz, genauer der Bundesrat mit der Hilfe der Nationalbank und nicht zuletzt mit der Spitze der UBS, eben mit der Fusion verhindert hat.

Das Parlament macht für alle nachvollziehbar, damit öffentlich, dass es in diesem Bankendeal keine grosse Rolle spielt, dass seine von den Medien liebevolle und facettenreich verstärkte Aufgeregtheit der letzten Tage ein nutzloses Aufbäumen war. Immerhin: die vorberatenden Kommissionen, vorab die des Ständerates, zog selbst die Handbremse. Und in der nationalrätlichen Kommission war es Jaqueline Badran (SP), welche Thomas Aeschi, den Fraktionschef des SVP, stoppte, der mit seinem parlamentarischen Vorstoss den Bundesrat zwingen wollte, die UBSplus rechtlich klein zu machen, sie letztlich zu zerschlagen, auf Geheiss Blochers, der nun nach der erfolglosen Aktion im Parlament den Bundesrat ausserparlamentarisch zum erwähnten Versprechen zwingen will. Und im Tagesanzeiger quasi einen Verbündeten findet, der seine uneingeschränkte Position in die Öffentlichkeit verkündet. Nicht verwunderlich, dass wir von aussen betrachtet zurzeit ein seltsames Bild abgeben, in der Bankenkrise, im Ukraine-Krieg.

Am deutlichsten wird Scott Miller, US-Botschafter in der Schweiz. Er sieht unser Land in der schwersten Krise seit 1945. Das Land müsse sich endlich damit beschäftigen, was Neutralität bedeute. Und die Schweiz unternehme zu wenig, um russische Vermögen zu blockieren. In der Sicherheitsarchitektur sei die Nato «gewissermassen ein Donut – und die Schweiz das Loch in der Mitte». Für die NZZ ist das Interview «ein historisches Zeugnis. Ein Schauprozess gegen die Schweiz». Eine Leitschnur, wie die Probleme aus Sicht der USA zu beheben seien. Die Zwangsfusion von UBS und Credit Suisse habe gezeigt, folgert die NZZ, dass die Möglichkeiten der Schweiz, in einer ernsten Lage autonome Entscheide zu fällen, stark eingeschränkt seien. Und wird dann fast zynisch. Auf das Lob eines ausländischen Ministers an Karin Keller-Sutter «Sie haben die Welt gerettet» schreibt die NZZ: «Vielleicht hätte der Minister hinzufügen können: nach unserer Anleitung».

Und der deutsche Kommentator Jan Fleischhauer hält uns einen irritierenden Spiegel vor, wenn er in der Einleitung zu seiner Kolumne im schwarzen Kanal auf Focus schreibt: «Die Schweiz bildet sich viel auf ihre Rechtschaffenheit ein. Es braucht nicht die Credit Suisse, um Zweifel zu bekommen. Schon das Verhalten zur Ukraine hat gezeigt, dass die Moral (der Schweiz) nur bis zum nächsten Geldautomaten reicht.» Punkt.

In der Sondersession werden unsere Ratsfrauen und -Männer ihre wohlvorbereiteten Reden ab Blatt vorlesen, kaum zu rhetorischen Höhenflügen ansetzen, immer wieder unterstreichen, dass sich der Fall Credit Suisse nie mehr, aber auch gar nie wieder wiederholen darf, dass die UBSplus zu zähmen sei, wie auch immer.

Zu wünschen wäre ihnen, dass sie die Gelegenheit nützen, sich ehrlich machen und zu den offenen Fragen Stellung beziehen würden: Wie unabhängig sind wir von den USA tatsächlich noch, wie weit sind wir wirtschaftlich, gesellschaftlich, aber auch politisch bereits eingebunden in der EU, wie gefangenen sind wir im globalen Wettbewerb? Ist es nicht so, dass wir geradezu eine ganz starke UBSplus brauchen, um weiterhin weltweit mithalten zu können? Ist es nicht so, dass wir uns ohne Nato im Ernstfall nicht selbst verteidigen könne? Ist es nicht so, dass wir durch die Beschaffung von 36 F35 Tran-Kampfjets aus den USA, bei Mailand fabriziert, bereits beginnen, das «Loch in der Mitte» zu schließen?

Ja, wir haben uns ehrlich zu machen in der Frage der Neutralität, in der Frage zum geregelten Verhältnis zur EU, zur Frage der Solidarität mit der Ukraine, letztlich zur Demokratie als Staatsform im sich anbahnenden Konflikt zwischen dem diktatorischen  Staatskapitalismus in China, Putins Russland und den USA, im Schlepptau Europa. Auch die Schweiz wird sich zur neuen Weltordnung, wie sie Putin in seinem Grössenwahn fordert, positionieren müssen.

Denn Putins neue Weltordnung hat es in sich. Die USA haben sich, respektive die Nato hat sich als Schutzmacht Europas aus dem Einflussbereich Russland zurückzuziehen, damit Putin freie Hand hat, um sein Eurasien zu gestalten, das weit mehr als die Ukraine umschliessen soll. Vom Ural bis zum Atlantik reicht sein Traum. Und die Schweiz mitten drin. Will das Parlament zur alten, institutionell garantierten Stärke zurückfinden, hat es sich den grossen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen. Die Zeit ist gegeben.

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3 Kommentare

  1. da ist nichts mehr beizufügen. seit jahren treibt die blocherpartei die schweiz vor sich her, hin zu einer schweiz ag (dixit helmut hubacher).

  2. Wann wird die Schweiz endlich akzeptieren, dass das Konzept der bewaffneten Neutralität nicht mehr funktioniert? Wenn wir eine eigenständige Rüstungsindustrie wollen können wir nicht darauf verzichten, den Export von Rüstungsgütern (auch offiziell) zuzulassen. Dann ist die heutige Form der Neutralität obsolet.
    Die andere Lösung wäre eine Neutralität ohne Armee, wir können ja nicht alle Waffen importieren.

  3. Obwohl ich längst kein Fan der amerikanischen Politik und Mentalität mehr bin, gehe ich mit der Aussage von US-Botschafter Scott Miller einig. Die Schweiz steckt in einer veritablen Krise, einer Identitätskrise. Unser Land profitiert ungeniert vom weltweiten Handel aber gleichzeitig hält sie sich nicht an die Grundwerte, die unsere Demokratie begründen und in der Präambel unserer Bundesverfassung festgeschrieben sind. Dieses Fundament gibt eine klare Leitlinie für unser Handeln vor, von der wir in unseren Entscheidungen in Politik, Wirtschaft, Sozialem, Wissenschaft und Forschung und im Umgang mit ausländischen Staaten ausgehen können.
    Dass sich alles immer im Wandel befindet, streitet wohl niemand ab und trotzdem will scheinbar die Mehrheit in unserem Land am Althergebrachten festhalten, scheut offene und ehrliche Debatten zu wichtigen Fragen, lehnt notwendige Veränderungen immer wieder ab. Dieses Unvermögen rächt sich jetzt, nicht nur im Bankenwesen. Wer garantiert uns, dass wir nicht eines Tages von einer autoritären Grossmacht, die sich weder um Menschenrechte oder das Völkerrecht in Europa schert, überrollt werden? Wer garantiert uns weiterhin Solidarität und Hilfe im Falle eines militärischen Angriffs, wenn wir uns mit der EU nicht endlich einigen können? Wir sind nicht einmal in der Lage uns über die Definition unserer Neutralität zu einigen. Der zitierte deutsche Kommentator Jan Fleischhauer hat mit seiner Aussage Recht, die Moral der Schweiz geht bis zum nächsten Geldautomaten. Punkt.

    Es gibt starke Anzeichen dafür, dass das alte Europa weltpolitisch und wirtschaftlich im Vergleich zu früher immer schwächer wird. Die amerikanische Regierung hat klar gemacht, dass sie sich nicht mehr in innereuropäische Angelegenheiten mischen will und somit auch keine Verantwortung mehr für unsere Händel übernehmen wird, was übrigens ihr gutes Recht und vernünftig ist. Europa und die Schweiz werden sich künftig selbst helfen und verteidigen müssen und dazu braucht es Solidarität. Wir sehen zur Zeit überall Rechtspopulismus und Länder in der EU, die den grossspurigen Versprechungen und Lügen Putins und Konsorten glauben und nacheifern. Was sie einzig noch hält, sind die Gelder von der EU.
    Das Riesenland China ist schon lange, dank der westlichen Gier und fehlender kluger Voraussicht, auf dem Vormarsch und schafft gezielt, von Europa bis Afrika, grosse wirtschaftliche Abhängigkeiten, die es politisch nutzen und seine Weltordnung wo immer möglich implizieren wird. Wer heute beim Handelspartner China längerfristig an fairen Handel und Rücksichtnahme auf lokale Gegebenheiten glaubt, ist einfach hoffnungslos naiv.

    Mir ist unbegreiflich, dass schweizer Politiker*innen in dieser angespannten Weltlage und aktuell beim erneuten Bankendebakel, vor allem an Parteipolitik denken. Bestes Beispiel ist die ausserordentliche Parlamentssitzung im Nationalrat der letzten Tage. Trotz herausragender Sachkompetenz und wortgewandter Erklärungen zum Bundesratsentscheid unserer Finanzministerin, war es, allen voran den martialisch und wenig demokratisch auftretenden Wortführern der SVP daran gelegen, auf der politischen Bühne eine Machtdemonstration und eine Parteipositionierung für die kommenden Wahlen vorzuführen. Wie soll uns solches Verhalten grössere Akzeptanz und Goodwill von unseren wichtigen Nachbarn und der EU bringen?

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