StartseiteMagazinKulturFundstücke voller Humor und Tiefsinn

Fundstücke voller Humor und Tiefsinn

Nicolas Bouvier, Fundstücke eines Bilderjägers, das sind funkelnde Texte zu Bildern, die der Genfer Schriftsteller im Laufe seines Lebens gesammelt hat.

Eines trüben Tages fährt der Autor nach Burgdorf und sieht im Regen einen Anhalter stehen. Nachdem er an ihm vorbeigefahren ist, packt ihn das Mitleid, er dreht um und lädt den Mann ein mitzufahren. Die beiden verstehen sich gut, der Fremde erzählt von seinem Leben und seinen Reisen. Beim Abschied weist Bouvier darauf hin, dass man heute beim Autostopp vorsichtig sein sollte. «Ich steige nicht in jedes Auto», antwortet der Fremde und bringt den Autor damit in eine unsichtbare Verlegenheit. Hatte er sich doch selbst für den gehalten, der über die Mitnahme entschieden hatte. In Burgdorf fotografiert Nicolas Bouvier anschliessend den Fundus des engen Schlossmuseums – eine wahrhaft ethnografische Arbeit zur ländlichen Schweiz, nachdem er zuvor mit einem offenen Europäer, wenn nicht Weltbürger gereist war.

Solche Wendungen von feiner Ironie nehmen viele seiner kurzen Essays. Bouvier beherrscht die Kunst, sich selbst zurückzunehmen, ebenso wie das Geschick, auf wenigen Seiten sein breites Wissen aufzufächern, ohne auch nur die Spur von Langatmigkeit aufkommen zu lassen.

Nicolas Bouvier (1929 – 1998)

Seit Jahrzehnten kennen wir Nicolas Bouvier als Reiseschriftsteller par excellence. Sein erstes Buch, «Die Erfahrung der Welt» («L’usage du monde»), schrieb der Genfer nach seiner Reise im Fiat Topolino durch den Balkan, die Türkei, den Iran, Afghanistan bis nach Indien. Darauf folgten Bücher über weitere Reisen, besonders nach Sri Lanka und Japan. Es waren keine Reisebeschreibungen im üblichen Sinn, sondern vornehmlich die inneren Erfahrungen, die einer aufzeichnet, der durch die Reiseerfahrungen in der Fremde verändert oder gar erschüttert wird. Wer dieser Bücher liest, reist unweigerlich auch ein wenig in sein eigenes Inneres.

«Fundstücke eines Bilderjägers» wurde aus dem Nachlass des früh verstorbenen Autors zusammengestellt und schon 2001 bzw. 2003 veröffentlicht, aber erst 2017 auf Deutsch übersetzt. Es beruht auf Bouviers Arbeit mit Bildern. Schon seit seiner Jugend hatte er sich auch der Darstellung in Bildern gewidmet, nicht umsonst war der Maler Thierry Vernet sein Reisebegleiter auf dieser ersten Reise. Bouvier selbst hatte immer viel fotografiert. Die Sammlung dieser Fotos liegt im Musée de l’Elysée in Lausanne und wurde dort auch schon ausgestellt. Seinen Blick für die Aussage eines Bildes hat Bouvier also lange geschult. Im vorliegenden Band folgt jedem Bild – alle aus seinem Fundus, aber aus unterschiedlichsten Quellen – eine Betrachtung, die weit über eine Beschreibung hinausgeht. Diese Kurzessays hatte Bouvier regelmässig für das Genfer Magazin «Le temps stratégique» geschrieben.

Zum japanischen Bild eines schwarzen Dreimasters, an dem die Kamine der Dampfmaschinen zu erkennen sind, erzählt der Autor die wechselvolle Geschichte der Seefahrer bei ihren Versuchen, die Abschottung Japans aufzubrechen. Bouvier beschreibt, wie die Japaner vom unerwartet schnellen Schiff der Amerikaner überrumpelt wurden und welche Panik daraus entstand. Kommodore Perry, klug genug, nichts zu zerstören, hinterlässt nur einen «Freundschaftsvertrag» in drohendem Ton. Als Perry mit grösserer Flotte im folgenden Jahr wieder erscheint, ist der Widerstand Japans gebrochen. Die Japaner veranstalten Feste und Theaterabende – die amerikanischen Matrosen «machen die Stadt unsicher und ziehen durch die Bordelle». Hier fügt Bouvier ein zweites Bild ein, das einen langnasigen, ziemlich erschöpften Soldaten mit Bart, Schnauz und langen Haaren zeigt. Es ist Teil des erwähnten Rollbildes, dessen Witz Bouvier in zwei Worten notiert.

Wir lesen von Eselshaut und Schattenspielen, die in Asien vielerorts sehr gepflegt wurden. Das Bild einer Krähe lässt den Autor über das Ansehen bzw. den schlechten Ruf der Krähe philosophieren. Anhand einer Miniatur aus dem Manesse-Kodex, die einen Lehrer und seinen schreibenden Schüler zeigt, denkt Bouvier über political correctness nach – vor mehr als zwanzig Jahren geschrieben und doch absolut aktuell: Für die Weitergabe von Wissen brauche es das Vertrauen des Jüngeren in den erfahrenen Lehrer, was sich im Bild an der Sitzhöhe zeige. Voller Ironie erzählt Bouvier, wie er mit dieser Ansicht bei einem Kongress ausgebuht wurde.

Die Bilder stammen aus verschiedenen Zeitaltern und Kulturen, jedesmal weiss der Autor Wissenswertes darüber zu berichten. Ja, als Lesende fühlen wir uns angeregt, einem angeschnittenen Thema weiter nachzuforschen. Nicht nur Reisefreudigen ist dieses Buch wärmstens zu empfehlen, sondern auch denjenigen, die lieber in ihrer Stube bleiben, etwas Kurzweiliges lesen und dabei ihre Erkenntnisse über die Welt erweitern möchten.

 

 

Nicolas Bouvier, Fundstücke eines Bilderjägers.
aus dem Französischen von Hilde und Rolf Fieguth

Lenos Verlag 2017; 169 Seiten
ISBN 978 3 85787 477 2

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