StartseiteMagazinKulturHeimspiel eines nomadisierenden Kunstwerkers

Heimspiel eines nomadisierenden Kunstwerkers

Das Bündner Kunstmuseum zeigt eine repräsentative Werkauswahl Not Vitals von den Anfängen in Sent bis heute

Ein lässig eleganter Herr mit Strohhut bewegt sich sehr interessiert in der Überblicksausstellung NOT VITAL univers privat im Bündner Kunstmuseum: Der berühmte Künstler mit Engadiner Wurzeln schaut sich erstmals an, was das Kuratorenteam Stephan Kunz und Lynn Kost mit seiner Carte Blanche – sie hätten freie Wahl bei seinen Werken – veranstaltet haben.

Not Vital in der Churer Ausstellung bei dem Esel-Objekt

Schon als Schüler wusste Not, dass er Künstler sein wollte. Die Eintönigkeit des Jahreslaufs in der Enge des Bergtals, das Leiden an der Kantonsschule in Chur, wo er die Wochentage weit weg von den geschätzten Eltern verbringen musste, motivierten ihn, fortzugehen. Sein Glück war, dass der Berner Kunsthistoriker Max Huggler in seinem Ferienhaus dem 14jährigen einen ersten intensiven Kontakt mit Werken von Kirchner, Klee oder Kurt Schwitters gewährte. Not Vital hielt sich jedoch nicht damit auf, die Techniken zu lernen, bekannte Malstile zu kopieren oder eine Kunstausbildung ins Auge zu fassen.

Er bringt sich bei, was er braucht, beginnt zu realisieren, was sich ihm anbietet, beispielsweise das alte Stück Regenrohr vom Elternhaus weiss zu bemalen, an eine Wand zu lehnen: eine Art Ur-Stab – erstmals in Chur zu sehen. Oder er stellt sich auf den Gipfel, wo sich die Grenzen Italiens, Österreichs und der Schweiz treffen, breitet die Arme aus und nennt das Foto davon Treriksröset (Dreiländereck schwedisch). Ready made, Konzeptkunst, Performance – Not Vital ist von Anfang an bei den aktuellen Kunstrichtungen dabei, einfach so, unangestrengt und voller Tatendurst. Und bald bricht er auf aus der Enge, der Beginn seines Daseins als Nomade, wie er sich selbst bezeichnet.

Not Vital: Treriksröset. Dreiländereck, 1970 © Not Vital

Die Auswanderer aus den armen Landschaften Graubündens wurden randulins Schwalben genannt, denn sie kamen regelmässig heim. Not Vital lebte und lebt in Paris, Rom, New York, Agadez, Rio de Janeiro, Peking und im Unterengadin. Wo er hinkam, suchte er ein Atelier, baute auch Häuser, zum Beispiel jenes Gebäude in Agadez, das allein der Betrachtung des Sonnenuntergangs dient. Ein globalisierter randulin der Postmoderne, der überall zuhause ist, sofern er auch heim kann.

Not Vital: Le sei sorelle, 1988.© Not Vital

Erst vor kurzem kaufte er das Schloss Tarasp, Wahrzeichen des Unterengadins, wo ein Kulturort entstehen soll, schon länger gibt es den Parkin Not dal mot, der mit Not Vitals Installationen an die Bubenspiele in dem Areal vor vielen Jahrzehnten anknüpft. Not Vital hat das Spielen nie verlernt, er findet im alten Handwerk, in Traditionen, in Fundstücken sein Ausgangsmaterial und seine Inspiration und erfindet seine eigene Welt. Manchen Puristen ist sein Werk zu widersprüchlich, sie denken, der probiert zuviel Verschiedenes aus. Den beherrschenden Schweizer Galerien ist er zu disparat und passt nicht in ihr Kunstkonzept.

Die Ausstellung verweist nun auf das Konsequente, das dem Schaffen Vitals eigen ist, die Besucher erfahren, wie letztlich alle Facetten seines künstlerischen Schaffens zusammenpassen, den gleichen Urgrund haben, angefangen von den Versuchen in den 60er Jahren bis zur vom Künstler mit Schneebällen aus feuchtem Gips beworfenen 35-Meter-Wand im grossen Ausstellungsraum: Kunst machen heisst arbeiten, aber auch Spass haben. Es sei eine repräsentative Auswahl entstanden, die – so Stephan Kunz – einen spezifischen Blick aufs Werk ermöglicht.

Blick in den Ausstellungsraum mit vielen hundert Kugeln aus Glas: Snowballs

Angelehnt an die Mauer der Villa Planta steht ein silber glänzender acht Meter hoher Stab mit Buckeln wie von vor langer Zeit abgebrochenen Ästen, an den Stab von Christophorus, den Schutzpatron der Reisenden erinnernd. Wenn bei klarem Wetter der Wind bläst, zittert der Stab leicht, sichtbar im fast parallelen Schatten auf der Mauer; wenn die Sonne höher steht und der Schatten wie bei einer Sonnenuhr weitergewandert ist, wirft der gleissende Chromstahl-Stab feine Kringel aus Licht auf die Wand: Leading away ist trotz seiner acht Meter fragil und leicht wie ein Bambusrohr im Wind, oder: wie der junge Not Vital bei seiner Flugübung auf dem Dreiländereck.

Not Vital: Dali Stones – Mountain, 2014 © Not Vital

Einige der ikonischen Werke, die Snowballs beispielsweise, sind auch hierzulande bekannt. Jetzt liegen die Kugeln aus Muranoglas wie zufällig hingerollt auf dem Boden eines leeren Raums. Oder The Herd, Kamelköpfe auf Stäben, gefunden einst in Ägypten, erworben als Kadaverteile im Schlachthaus, dann gegossen zu Bronze-Wegbegleitern des Nomaden. Oder die gigantische Pfote Paw Pow von 1984, in einer Ecke lehnend und im fragilen Gleichgewicht auf einer Zehe abgestellt. Ganz heikel sei es gewesen, berichtet Stephan Kunz, das Objekt 11 asens da Sent von 1992 ins Gleichgewicht zu bringen und die elf Eselköpfe am Wegrollen zu hindern. Diese Spannung ist dem Künstler ein wichtiges Moment, lässt ihn auch besser schlafen: Über seinem Bett in New York entfernte er beim Umzug eine schwere Skulptur und stellte fest, sie hing an einem prekär abwärts gekrümmten Nagel.

Not Vital: Chasa i Bogn – Haus und Badewanne, 1970. © Not Vital

Was die Ausstellung zum (erneuten) Wunder in Chur macht, ist der Mut zur Beschränkung: jede Position hat viel Raum, steht oder hängt aber nicht bezugslos herum. So kommuniziert die grosse Trommel, in Ägypten entstanden, mit dem sehr hoch an der Wand gehängten Objekt Eltern (Porträtköpfe von Mutter und Vater auf einer Art Gehörn aus Holz), aber auch mit den bekannten Chasa i bogn aus Zinn von 1970 und den neuesten Werken aus China, Marmortafeln, die Zeichnungen von Bergen sein könnten, eingelassen in Formen, die Engadiner Fenster sein könnten. Vis-à-vis der gemalten Selbstbildnisse als Reisbaueroder mit Alzheimer aus den Jahren 2009 bis 2011 steht noch ein Selbstbildnis: In einer grossen und einer kleinen Schachtel aus Silber versteckt Not seinen Geburtstag, die Maße des größeren Quaders sind 19 und 48 cm, die der kleinen 15 und 2 cm. Dass in dem Konzeptkunst-Stück auch noch Ziegenreste verpackt sind, ergab sich, weil die Handwerker in Afrika sich weigerten, eine silberne Schachtel ohne Funktion, also ohne Inhalt zu bauen. Diese Geschichte ist typisch für Not Vital; der Entstehungsprozess ist Teil der fertigen Arbeit.

Der zur Ausstellung erschienene Katalog ist daher auch Dokumentation von Entstehungs- und Wirkungsgeschichten der Stäbe, Tierskulpturen, Zeichnungen, Fotos, Ready Mades, Bronzen und Holzarbeiten bis hin zum Selfporträt, das 2013 in Peking entstand. Ein imposanter Kopf aus Edelstahl, der mit wenig Bodenhaftung den Raum und alle Besucher spiegelnd fast zu schweben scheint.

Geschichtenerzähler Not Vital mit Kunsthausdirektor Stephan Kunz beim Edelstahl-Kopf

Sowohl das Buch als auch die Präsentation verantworten das Team Stephan Kunz und Lynn Kost (zu hoffen ist, dass diese Zusammenarbeit trotz der nicht nachvollziehbaren Entscheidungen des Kulturdepartements zur Museumsleitung eine Zukunft hat), welche ein ums andere Mal überraschend aufsehenerregende Ausstellungen mit internationaler Ausstrahlung erarbeiten.

bis 19. November 2017
Hier gibt es Informationen über Besuchszeiten und Sonderveranstaltungen
Publikation: Not Vital. univers privat. hg. vom Bündner Kunstmuseum Chur. 49 Franken
Mehr über den Künstler erfahren Sie auf seiner Homepage: http://notvital.com/
Fotos (wenn nichts erwähnt) © Reto Hänny

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