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Lesen, lesen, lesen…

Leser seien süchtige Menschen, meinte einst Peter Bichsel. Wenn Sie es noch nicht sind, so lesen Sie „Am Hang“ von Markus Werner, sein Vermächtnis. War lesen je spannender und schöner?

Am 3. Juli ist er in Schaffhausen, erst 71jährig, verstorben. Er war kein Vielschreiber, gerade mal sieben Romane sind vom ehemaligen Mittelschullehrer zwischen 1984 und 2004 erschienen. Aber was für eine Sprache! Ich behaupte, dass seit Robert Walser kein Schweizer Schriftsteller mehr ein derart bestechendes, feinsinniges, graziles und genussreiches Deutsch geschrieben hat wie Markus Werner. Dem Konjunktiv haftet in der deutschen Sprache ja gerne das etwas Gespreizte, Künstliche, Geschwurbelte an. Nicht bei Markus Werner. Seine Dialoge sind eine Offenbarung. Ich habe mich danach gesehnt, dass noch weitere Texte folgen würden, doch es wurde immer ruhiger um ihn, einsamer auch aufgrund seiner Krankheit. Am 25. Juni wurde ihm noch der Preis der Stiftung Pro Litteris für sein Gesamtwerk verliehen. Darin hielt Martin Ebel in seiner Preisrede u.a. fest: „Diese Romane machen uns nicht tauglicher für die Welt. Aber feinnerviger, scharfsinniger,  hellhöriger, geschmachssicherer. Mit einem Wort: reicher.“

Der Schriftsteller Markus Werner bei sich daheim in Schaffhausen

«Am Hang“ ist auch recht erfolgreich verfilmt worden, doch Markus Werner muss man lesen. Wann haben Sie nach der Lektüre einer letzten Romanzeile das Bedürfnis verspürt, gleich wieder von vorn zu beginnen? Die lieb gewonnenen Figuren nicht loszulassen? Ich habe den Roman dreimal gelesen und nun nach seinem Tod auch noch das Hörbuch verschlungen, das Hanspeter Müller-Drossaart nochmals zum Erlebnis machte.

„Alles dreht sich. Und alles dreht sich um ihn.“

Es ist gewiss ein Wagnis, zwei Herren auf eine Hotelterrasse ins Tessin zu setzen, zwei Antipoden, die sich über ihre Lebensentwürfe austauschen. Loos, der eine, ältere, Altphilologe von Beruf, ganz Moralist, den der Verlust seiner Frau überaus schmerzt und der die Ehe als ideale Lebensgemeinschaft durch alle Böden verteidigt. Clarin, der bedeutend jüngere, Jurist und Scheidungsanwalt, den amouröse Abenteuer locken und in die seelische Vereinsamung führen und der von der Ehe rein gar nichts hält. Wie leichtfüssig und geistreich Markus Werner das doppelbödige Spiel in Szene setzt, wie sich seelische Abgründe mit einer verstörenden Gelassenheit paaren, das zeigt den unnachahmlichen Meister, der gar nichts von pädagogischem Fingerzeig hält, dem Leser aber die ganze Bandbreite vom traditionell wehmütig-heilen Weltbild bis zur entlarvenden Selbstlüge in die seelische Sackgasse offenbart.

Werner kann aber auch ganz schön bissig werden, wenn er als ehemaliger Lehrer das  Lohnwirksame Qualifikationssystem (LQS) – schon als Wortschöpfung ein Alptraum –  „auf Geheiss der Wirtschaft und ihrer hündischen Vollstrecker“ als Barbarei bezeichnet, „diese Engstirnlinge, diese Schicksal spielenden und Lebensläufe dirigierenden Richter, die nun debil vor sich hindämmerten.“  Handkehrum dann dieser wunderbare Satz: „Ich will keinen Himmel, der an der Fensterscheibe kleben bleibt.“  Ja, Markus Werner blieb nie und nirgends kleben, nein, er zeigte uns den Himmel wie die Hölle auf der Suche nach Wahrhaftigkeit, gepflastert auch mit Irrwegen, Verblendungen und Widersprüchen. Aber auch mit einer unverstellten Menschenliebe, um die sich alles dreht. Joos und Clarin bist du und ich, sind wir alle, auf der Suche nach uns selbst.

 

 

 

 

 

Markus Werner „Am Hang“, S.Fischer Verlag, 2004, ISBN 978-3-10-091066-0

Hörbuch: Lesung mit Hanspeter Müller-Drossaart, 2005, ISBN 3-89813-401-6 (Der Audio Verlag, 4 CDs)

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