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Museen – künftig nicht mehr museal?

Welche Überlegungen hinter Museumsbauten von heute bis übermorgen stehen, zeigt das Musée d’art et d’histoire in Genf

Schon vor 11 Jahren zeigte das Art Centre Basel eine Ausstellung mit dem Titel «Museen des 21. Jahrhunderts – Konzepte Projekte, Bauten». Dieselbe Institution ist auch namhaft beteiligt an der gegenwärtigen Schau in Genf. Projekte und Bauten spielen auch hier eine Rolle. Vor allem jedoch geht es um den gedanklichen und vielleicht sogar ideologischen Hintergrund der Museumsthematik von heute und in Zukunft. «Neue Museen – Visionen, Erwartungen, Herausforderungen» (Original: «Musées du XXIe siècle – Visions, ambitions, défis»), das sind Titel und Thema in Genf.

Ausgangspunkt für philosophische, kunstwissenschaftliche und soziologische Überlegungen und zum Teil auch Ideologien zu diesem Thema liegen in der Ära der «Umwertung aller Werte», gipfelnd in den sozialkritischen Phasen der 68er und neu wiederum der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie gehen mindestens teilweise einher auch mit den kunsthistorischen Grundgedanken und Strömungen, die im Kontext der bemerkenswerten Doppel-Ausstellung im Berner Kunstmuseum und im Zentrum Paul Klee stehen («Die Revolution ist tot – Es lebe die Revolution»).

Ging es in der erwähnten Ausstellung von 2006 vorwiegend um das Materielle und Faktische im Zusammenhang mit dem Museumsbau, so geht es zurzeit im MAH in Genf weit mehr um gedankliche Hintergründe. Welche Visionen liegen dem heutigen Begriff «Museum» zugrunde? Ganz bestimmt nicht mehr der Terminus «museal». In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg (und vermutlich schon vorher, doch da war nicht mehr mancher von uns dabei) stellten die Museen eine Art von Schatzkammern dar, Horte von erworbenem, ererbtem und geschenktem Gut, seien es nun verstaubte Gebrauchsgegenstände der Zeitgeschichte, historische und archäologische Kostbarkeiten und Funde oder Kunstwerke aus Geschichte und Gegenwart. Sie zeigten stolz und sorgfältig die Schätze aus ihren wohlbehüteten Sammlungen.

Plateforme10, mudac et Musée de l’Élysée, Lausanne. Aires Mateus e Associados © Aires Mateus

Heute bestimmt der Begriff des «offenen Museums» sowohl die Tätigkeit der Verantwortlichen in den Museen als auch das Verhalten des Publikums. Beides ist aus sozialkritischer Entwicklung und auch aus der Wandlung im Philosophieren und Schaffen der Künstler hervorgegangen. Das lässt sich so vielseitig wie spannend den Beiträgen und Essais des Ausstellungskatalogs (französisch und englisch verfügbar) entnehmen.

Diese Ausstellung fordert zur Beschäftigung mit dem Thema von heutigen und künftigen Entwicklungen in der Bedeutung von Museen auf. Solche Ansätze führen folgerichtig zu Auswirkungen auf die Gestaltung der Innen- und Aussenräume und der ins urbane Umfeld sich einfügenden Architektur im Ganzen. Als Beispiel steht der Erweiterungsbau des Kunstmuseums Basel. Aus dieser Sicht interessieren die Neubauten im geplanten neuen kulturellen Viertel «Plateforme 10» in der Nähe des Bahnhofs Lausanne: das «mudac» (Musée de design es d’arts appliqués contemporains) und das «Musée de l’Elysée» (Musée cantonal de la photographie), ein gemeinsamer Bau, wird erstellt 2017-2021 und eröffnet 2021. Das «mcb-a» (Musée cantonal des Beaux-Arts) wird 2016-2019 gebaut und soll 2019 eröffnet werden. (Siehe Bilder.)

Plateforme 10, Lausanne, Musée cantonal des Beaux-Arts. © Barozzi / Veiga.

Weitere Aspekte heutiger und künftiger Visionen, Ambitionen und Herausforderungen sind auch solche, die man einerseits mit Selbstdarstellung (Staaten oder privatrechtliche öffentliche Institutionen) bezeichnen könnte, andererseits aber auch spürbar vom Bestreben, das historische Erbe zu bewahren, zum Beispiel von Ureinwohnern oder kolonialisierten und anderweitig unterdrückten Populationen.

Dieses Projekt gehört zu den zahlreichen Ausstellungsobjekten, deren konkrete Planung noch nicht begonnen wurde. Noch besteht es in einer Idee. An diesem Beispiel zeigt sich aber ein weiterer Aspekt heutiger und künftiger Museumsplanung: Im digitalen Zeitalter und in einer Welt, wo Animation und Comics eine fast übermächtige kulturelle Rolle spielen, werden Museumseinrichtungen auch solchen Themen geöffnet.

Das Kurdistan Museum in Erbil steht für die Absicht, ein nicht mehr existierendes Land zu dokumentieren. Daniel Libeskind hat die Planungsarbeit 2009 aufgenommen. Die Realisation ist nicht gesichert, ein Eröffnungszeitpunkt lässt sich kaum ahnen. Doch die Funktion dieses Projekts, auch als kubistisches Dokument in der Ausstellung von Genf, ist unübersehbar. Das Volk der Kurden soll eine Stätte des Gedenkens an seine verlorene Identität erhalten. Sein Erbe soll dokumentiert werden, vorerst heute mit dem Plan, dann in ferner Zukunft vielleicht mit einer Begegnungsstätte, offen für alle, die sich dafür interessieren.

China Comic and Animation Museum, Hanzhou Birdseye, MVRDV Rotterdam. © MVRDV

Kurdistan Museum, Erbil. Studio Libeskind. © Studio Libeskind

Der Begriff «Offenes Museum» hat eine mehrfache Bedeutung. Vorerst enthält er die Erkenntnis, dass der Museumsbesuch nicht allein einer gebildeten Elite vorbehalten sein dürfte. Dann wächst auch die Meinung, dass mit Schranken, Schliessregalen und Fotografierverboten künftig aufgehört werden müsste. Auch die allgemeine Bewegungsfreiheit und Zugänglichkeit der Räume wird innenarchitektonisch schon in bereits eröffneten neuen Museumsbauten realisiert. Ein 2011 geplantes Projekt in China, das «Pingtan Art Museum» steht vor der Realisierung. Es geht ganz neue Wege. Wie eine Insel ins Wasser hinausgebaut, sollen nicht mehr eigentliche Räume, sondern eine Art von Landschaften Orte der Begegnung mit dem Ausstellungsgut sein. Ein besonders eindrückliches Beispiel für zukünftige Wege im Ausdenken und Verwirklichen von Museumsideen! Pingtan Art Museum. MAD Architects. © MAD Architects

Die Hauptgliederung der Ausstellung ist dreiteilig: Erstens bereits eröffnete Neubauten und Umbauten von Museen, zweitens im Bau oder in abgeschlossener Planung befindliche Projekte, und drittens erst als Ideen und Visionen bestehende oder am Beginn der konkreten Planung steckende Vorhaben. Vorweg das: Sofort erkennt man das Bestechende der äusserst informativ gestalteten Ausstellung. Es liegt darin, dass man schon in den Dokumentationen der Architektur sofort zu erkennen glaubt, welche Idee – und manchmal auch, was für Ideologien – hinter einem Museumsprojekt stehen. Die würfelartig aufgebauten analog gestalteten einzelnen Kleinpavillons sind zwar nicht in linearem zeitlichen Ablauf aufgereiht, sondern folgen einem die Abwechslung fördernden und die Einförmigkeit vermeidenden Konzept der Kuratoren (Katharina Beisiegel, Art Centre Basel, und Bertrand Mazeirat, Musée d’art et d’histoire). Die Videoclips von Architekten, die biografischen und das Projekt dokumentierenden Texte, die Reliefs und Fotografien – alles vereint sich zu einer so augenfälligen wie informativen Schau, welche ohne weiteres auch die gedanklichen Hintergründe mindestens ahnen lässt.

Die Ausstellung ist bis 20. August offen

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