StartseiteMagazinKulturRätsel der menschlichen Existenz oder die Sphinx im Museum

Rätsel der menschlichen Existenz oder die Sphinx im Museum

Das Haus Konstruktiv zeigt doppelbödige Installationen von Marguerite Humeau und den variablen Mäander von Julije Knifer.

Den grossen Raum hinter dem Foyer bewohnt ein hybrides Wesen, eine Sphinx mit Geierflügeln von sechs Meter Spannweite, gefährlichen Krallen und einem riesigen Löwenkopf, ein Mythos der Menschheit. Schöpferin des Mischwesens mit Stahlskelett und künstlicher Menschenhaut ist Marguerite Humeau (*1986), Gewinnerin des Zurich Art Prize 2017. Sie stiess bei ihrer archäologischen Suche in der Geschichte des Menschen auf die Figur eines Löwenmanns, geschaffen vor 35 000 Jahren. Er diente als Schutz und Sicherheit vor wilden Tieren, war jedoch auch Ausdruck der Gefahr, von wilden Tieren gefressen zu werden. Diese Ambivalenz findet sich ebenfalls bei der griechischen Sphinx, diesem Tiermenschen, der über Leben und Tod entscheiden kann; und sie zieht sich durch die Geschichte der Menschheit bis in die aktuelle Zeit. Humeau sieht ihren Sphinx Otto als reales Monster beim Security Check am Flughafen – Sicherheit für den Passagier, der zugleich total vereinnahmt, durchleuchtet, gefressen wird.

marguerite humeauMarguerite Humeau, Gewinnerin des Zurich Art Prize 2017. Courtesy die Künstlerin, Foto: Noortje Knulst

Die Jury wählte Marguerite Humeau als Preisträgerin aus, „weil ihre Arbeiten eine eigenständige, von wissenschaftlicher Neugier und Exaktheit geprägte Position formulieren und Parallelen zur wissenschaftlichen Basis der konstruktiv-konkreten Kunst aufweisen,“ wie das Museum schreibt. Die Sphinx-Skulptur mit ihrer Ambivalenz aus Schutz und Drohung ist Teil der Ausstellung Riddles (Final Beats), welche wiederum zu einem grösseren Komplex in Humeaus Schaffen zählt. Ihre Rätsel der Menschheit sucht Humeau bei prähistorischen Artefakten, Gesellschaftsanalysen und in der schwarzer Magie. Sphinx Otto hat die Menschheit aufgesogen – die Haut über dem Stahlskelett besteht unter anderem aus Fiberglas, bedeckt mit einer Schicht „antimenschlichen“ giftigen Pigmenten, hergestellt aus Pflanzen nach Rezepturen der schwarzen Magie.

Humeau Monument of HumankindDie Installation «Monument für die Menschheit» von Marguerite Humeau

In einem zweiten Raum – mit roter Farbe aus Äthiopien ausgemalt – ist das Monument of Humankind errichtet. Ein Triptychon, Reminiszenz an Otto Dix‘ Der Krieg, steht zentral im Raum. Der dreiteilige Paravent ist mit einem Camouflage-Stoff bezogen, den die US-Armee als Schutz vor Drohnen entwickelte. Grosse Kissen – wie blutbefleckt und laut der Künstlerin mit Knochenstaub gefüllt – sind zugleich Einladung, sich zu setzen und Mahnmal gegen das weltweite Blutvergiessen. Wiederum, wie mit der Sphinx, wird die Doppelbödigkeit zeitgenössischer Überwachungssysteme, hier mit Drohnen, einerseits Spielzeug andererseits tödliche Gefahr mit hoher Zielgenauigkeit, in einer künstlerischen Aussage festgehalten. Museumsdirektorin Sabine Schaschl ist sehr angetan von der Preisträgerin, die mit ihren Forschungen in die Tiefen der Menschheitsgeschichte und ihrer exakten Umsetzung konstruktiven Gestaltungsprinzipien nahe kommt und eine deutliche politische Aussage macht.

Julije Knifer: Porträtserie 1959-62Julije Knifer malte 90 Selbstporträts – Serie gezeigt als Auftakt der Präsentation

Wie üblich zeigt das Haus Konstruktiv gleichzeitig drei künstlerische Positionen. Eine Entdeckung für Zürich und weit darüber hinaus ist die Arbeit des kroatischen Malers Julije Knifer (1924 bis 2004), der in Paris lebte und bis vor wenigen Jahren als Geheimtip galt. 90 Selbstporträts hat er von 1959 bis 1962 gezeichnet – die Serie steht für seine konzeptuelle Grundhaltung in seinem ganzen späteren abstrakten Werk. Knifer war Mitbegründer der Künstlergruppe Gorgona, die im sozialistischen Jugoslawien die Autonomie der Kunst und den Austausch mit der internationalen Avantgarde suchte. In dieser Gruppe, von der ein paar Fotos eine witzig dadaistische Szene zeigen, entwickelt Knifer sein stringentes Werk, das künftig allein mit dem Motiv des Mäanders auskommt.

julije knifer mäanderMäander von 2002, Courtesy Julije Knifer Estate und Galerija Gregor Podnar, Berlin. © 2017, ProLitteris, Zürich

1960 malt Julije Knifer den ersten Mäander – die seit den alten Griechen geläufige Figur. Für Knifer geht es aber nicht um das Ornament, sondern um radikale Malerei im Geist der Suprematie. Einen Mäander hat er mit einem schwarzen Quadrat kombiniert – eine Reverenz an Malewitsch. Für Knifer ist Kunst existentiell, die ideale Form dafür ist das Mäanderprinzip, angewandt in Zeichnungen, Collagen, Malerei, installativ im Raum und auf Grossformaten. Ein Video zeigt das Hängen eines riesigen Tuchs mit einem Mäander in einer Kiesgrube. Ein Hinweis auf die Unerbittlichkeit in der Grundhaltung gibt das Zitat im Ausstellungstitel: „I have probably already paintes my last paintings, but maybe not the first ones“ („Ich habe wahrscheinlich meine letzten Bilder bereits gemalt, aber vielleicht meine ersten noch nicht.“).

Antimalerei nennt Knifer seine konsequente Haltung gegen alles, was von aussen gefordert werden könnte. Trotz der formalen und stilistischen Beschränkung auf die Mäanderfigur und – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – auf das Schwarzweiss ist das Werk von einer sich immer wieder wandelnden Ausdruckskraft. Die Schau hat Sabine Schaschl mit Ana Knifer kuratiert. Die Tochter des Künstlers ist auch Nachlassverwalterin.

julije knifer blick auf collagenVariationen des Mäander in Malerei und Collagen

Julije Knifer ist der erste Gewinner des von der Grande Dame der französischen konkreten Kunst Aurélie Nemours im Jahr 2000 eingerichteten Preises. Damit begann die internationale Anerkennung des zuvor nur in seiner kroatischen Heimat bekannten Neo-Konstruktivisten. Das Haus Konstruktiv ergreift die Gelegenheit und zeigt als dritte Position Werke der 2005 verstorbenen französischen Künstlerin Aurélie Nemours aus drei Schweizer Privatsammlungen sowie aus eigenen Beständen. Nemours hat ihre Bildsprache aus einfachen geometrischen Formen – Punkt, Quadrat, Rechteck, Kreuz – entwickelt und hält bis zuletzt daran fest. Ihre Kompositionen sind jedoch nicht gerechnet, sondern entstehen intuitiv und lassen ein Stück Leben der Künstlerin erkennen, Kuratorin Schaschl verweist auf den Rhythmus in je einem Bild vor und nach einem Aufenthalt in Haiti.

bis 14. Januar
alles über die Ausstellungen und die Begleitveranstaltungen erfahren Sie hier.
Teaserbild: OTTO, 2017, Courtesy die Künstlerin und C L E A R I N G, New York / Brüssel
Fotos © E. Caflisch

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