Die wildlebenden Honigbienen in der Schweiz – gibt es sie noch?

Wussten Sie, dass die Honigbiene als Wildtier bis auf ganz wenige Einzelvölker, die weiterhin in der Natur leben, fast ausgestorben ist? Trotzdem wird sie weder geschützt noch gefördert? Stattdessen wird sie als Nutztier zur Honigproduktion analog zur Viehwirtschaft ausgebeutet: Kastration, künstliche Vermehrung, Leistungszucht, Mast, Medikamentenmissbrauch und als Folge davon Resistenzbildungen.

André Wermelinger, Sie sind Gründer von FREETHEBEES, ein unabhängiger Verein, der als einzige Organisation in der Schweiz die wildlebenden Honigbienen vor dem Aussterben schützt und fördert. Ebenfalls setzt sich FREETHEBEES für eine nachhaltige, ökologisch vertretbare und artgerechte Honigproduktion ein.

Aber beginnen wir am Anfang: Warum sterben Honigbienen in der Natur ?
An erster Stelle muss der Habitatverlust genannt werden. Einerseits fehlt der Honigbiene die Baumhöhle im alten, dicken Baum. Andererseits ist das Nektarangebot insbesondere im ganzen landwirtschaftlich geprägten Mittelland stark eingeschränkt. Erst danach kommen dann die Folgen der chronischen Pestizidbelastung. Der Klimawandel darf an dieser Stelle nicht fürs Sterben verantwortlich gemacht werden, das wird immer wieder mal falsch verknüpft.
Absurd ist die Tatsache, dass wildlebende Honigbienen aus faktisch nicht begründbaren Ängsten vor Seuchen- und Parasitenverbreitung teilweise sogar von übereifrigen Bieneninspektoren und Imkern «präventiv» vernichtet werden!

Nun gibt es ja sehr viele Imker, welche Bienen halten. Sterben diese Bienen auch?
Das ist ein etwas paradoxes Thema. In der Imkerei halten wir Honigbienen in übermässiger Anzahl und Dichte, die es so in der Schweizer Natur vor dem Menschen gar nie gegeben hat. Aber ja, auch der Imkerbiene geht es verhältnismässig schlecht. Anstelle von normalen Verlustraten rund um 10% Winterverlust herum, verlieren wir in der Imkerei je nach Statistik und Periode teilweise mehr als das Doppelte. Als Ursache muss hier an erster Stelle der Imker selbst genannt werden, welcher die Bienen in nicht artgerechten Bienenkisten aufs Intensivste ausbeutet. Wohlverstanden unter dem Begriff der Hobbyimkerei, gibt es doch kaum Berufsimker in der Schweiz! Nicht, dass Sie das falsch verstehen, Imker sind liebenswerte Zeitgenossen, sie tun das nicht wirklich bewusst und praktizieren eigentlich nur, was ihnen seitens der zuständigen Bienenbehörden gelehrt und vermittelt wird.

Warum ist das Aussterben der wildlebenden Honigbiene ein Problem?
Nur wildlebende Honigbienen können sich an ihre Umwelt und an zukünftige Umweltveränderungen wie beispielsweise den Klimawandel anpassen. Honigbienenvölker der Imkerei werden in nicht artgerechten Habitaten gehalten, gefüttert, behandelt, zur Honigproduktion angestachelt und passen sich folglich dem Imker statt der Natur an. Dass das ungünstig ist, müssen wir spätestens jetzt zugeben. Imkerbienen sind nicht mehr ohne Imker überlebensfähig und gehen in der Natur recht schnell wieder ein.
Jetzt gerade haben wir noch eine Möglichkeit, die Bienen in der Natur zu schützen und zu fördern. Wir wissen, dass es weiterhin Völker gibt, die ohne Imker in der Natur überleben können. Aber wie lange steht uns diese Möglichkeit als Gesellschaft noch offen?

Sollte sich nicht der Staat um die aussterbende Honigbiene kümmern?
Dieser Meinung sind wir auch. Aber statt zu handeln, wird die heisse Kartoffel herumgeschoben. Der Imker Dachverband steuert die Imkerei weiterhin nach völlig überholten Zielen wie beispielsweise dem Honigertrag. Das Bundesamt für Landwirtschaft sieht in der Honigbiene nur noch ein Nutztier. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen sieht in jedem freilebenden Bienenvolk – völlig faktenwidrig – eine potentielle Seuchen- und Parasitenschleuder. Und das Bundesamt für Umwelt fragt sich, ob es denn die wildlebende Honigbiene in der Schweiz überhaupt noch gäbe, obwohl wissenschaftlich in umliegenden Ländern bewiesen und obwohl FREETHEBEES bereits weit über 100 wildlebende Honigbienenvölker kennt.

Warum müssen wir uns der Honigbienenfrage gerade jetzt stellen?
Wie bereits erwähnt, kann sich nur die wildlebende Honigbiene an ihre Umwelt und an Umweltveränderungen anpassen. Gibt es nur noch imkerlich gehaltene Bienen, ist die komplette natürliche Evolution unterbrochen. Wir haben also mehr als 30 Millionen Jahre hocherfolgreiche Bienenevolution unterbrochen, die wir schleunigst wieder einschalten sollten, um schlimmere Nebeneffekte zu vermeiden. Noch ist das möglich– aber wie lange noch, wissen wir nicht so genau. Eines Tages wird es zu spät sein.

Welche Lösungsansätze hat FREETHEBEES?
FREETHEBEES ist eine der ganz wenigen Honigbienenorganisationen Europas frei von Imkerinteressen. Das erlaubt uns eine unabhängige, fachübergreifende und objektive Sichtweise auf die aktuelle Bienensituation. Unsere Lösungsansätze berücksichtigen ökonomische und ökologische Bedürfnisse unserer Zeit, sind verblüffend einfach, wie auch politisch mehrheitsfähig:

1. Die Honigbiene muss zurück in die Natur
Durch Schutz und Förderung wildlebender Honigbienenvölker stellen wir sicher, dass die Art weiterhin der natürlichen Selektion ausgesetzt ist. Langfristig sollen so robuste und gesunde Kleinpopulationen entstehen, die sich an wechselnde Umweltbedingungen anpassen können.

2. Nachhaltigere Bewirtschaftung der Honigbiene
Wir entwickeln die monokulturartige Honigimkerei schrittweise in eine diversifizierte, nachhaltige, artgerechte und verantwortungsbewusste Bienenhaltung. Damit sichern wir gemäss den Bedürfnissen unserer Zeit die Bestäubungsleistung und die Honigproduktion. Mittelfristig stabilisieren wir so die Bienengesundheit.

3. Mehr Natur und Lebensräume für die Bienen
Wir zeigen auf, wo autonomes Überleben für die Honigbiene nicht mehr möglich ist und initiieren zusammen mit Partnerorganisationen konkrete Massnahmen zur Verbesserung ihres Lebensraumes. In erster Linie profitiert die Honigbiene von einer reicheren Blütenvielfalt und von zusätzlichen Baumhöhlen, die Ihr als Habitat dienen. Aber natürlich auch von einer Verminderung der Umweltgifte.

Und wie setzt FREETHEBEES dies um?
Wir machen Grundlagenarbeit und schaffen Transparenz. Unsere vielfältigen Projekte dienen der direkten Verbesserung der Bienensituation und der Bewusstseinserweiterung:

Citizen Science
Swiss BeeMapping kartiert und überwacht bereits weit mehr als 100 Honigbienenvölker in der freien Natur, mit dem Ziel, wissenschaftliche Daten zur Besiedlung, dem Verhalten und dem Überleben dieser Völker zu gewinnen.

Baumhöhlen
Mit dem Schaffen von 335 Baumhöhlen bringen wir der Honigbiene und vielen anderen baumhöhlenbewohnenden Arten und Artengemeinschaften ihr natürliches Habitat zurück.

Anzeigehunde
Mittels der Ausbildung von Anzeigehunden unterstützen wir das Veterinärwesen im früheren, präziseren und kostengünstigeren Erkennen von Brutkrankheiten bei Bienenvölkern.

Umweltbildung
Mit dem Projekt «INAMAKA», schulen und sensibilisieren wir Jugendliche zum Thema Honigbiene. Zwei junge Umweltingeneurinnen leiten dieses Projekt.

Kurse und Events
Mit vielfältigen Kursen auf höchstem Niveau bilden wir Imker, Naturfreunde und Experten unterschiedlicher ökologischer Fachgebiete aus.

Internationale Bienenkonferenz
Die einmal im Monat stattfindende zweistündige Online-Konferenz «Bienen ohne Grenzen» fördert Wissen, Bewusstsein und Verständnis für Honigbienen und andere Bestäuber. Hochkarätige Referenten teilen ihr Fachwissen und beantworten Fragen.

Imkerschulung
Durch regelmässige Imkerschulungen bringen wir mehr Artgerechtigkeit und nachhaltigere Produktionsbedingungen in die Honigimkerei.

Kooperationen
Zusammen mit den Behörden und Verantwortungsträgern schaffen wir neue Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die Anerkennung der Honigbiene als Wildtier.

In Planung ist eine ganze Reihe an weiteren wissenschaftlichen Projekten auf Basis der oben genannten Forschungsinfrastruktur, der 335 Baumhöhlen und der aktuell 108 wildlebend Bienenvölkern.

Sämtliche Projekte werden mit privaten Mitteln finanziert. Es versteht sich von selbst, dass so vielfältige und grosse Projekte nicht mehr rein ehrenamtlich umgesetzt werden können.

Hier finden Sie weitere Projekte

Bild: Maurice Sinclair

Gibt es spezielle Kurse und Events für Senioren?
FREETHEBEES bietet zahlreiche Kurse und Events in deutscher und französischer Sprache an, die auch für Seniorinnen und Senioren geeignet sind. Zum Beispiel die monatlich stattfindende Online-Bienenkonferenz «Bienen ohne Grenzen», der Tageskurs «Wildlebende Honigbienen finden», unsere Zeidlerkurse oder auch die Einführungs- und Weiterbildungskurse für Imker. Interessant sind sicher auch unsere geplanten Kurse für Naturfreunde und Gartenbesitzer: wie kann man Honigbienen ein Habitat im eigenen Garten bieten und was kann man grundsätzlich für die Bienen tun?

FREETHEBEES hat auch eine Online-Community, welche sich einmal im Monat austauscht. Hier können Sie Ihre Fragen und Themen einbringen. Die Community wird von einem unserer Experten moderiert und kann über unsere Webseite genauso wie die Kurse gebucht werden.

Hier finden Sie alle unsere Kurse und Events

Was können wir selber tun, um den Bienen zu helfen?
Als Gartenbesitzer kann man auf Pestizide verzichten und nachhaltig erzeugte Produkte kaufen. Und dann zählt jede Blume, die ausserhalb der Haupttracht im Wonnemonat Mai blüht. Honigbienenvölker können sich nur richtig entwickeln, wenn sie über die ganze Bienensaison von März bis September möglichst immer Pollen und Nektar finden. Mit Hilfe unseres Trachtpflanzenkalender lassen sich sehr spezifisch Pflanzen mit dem grösstmöglichen Nutzen ausbringen.

Überaus wichtig ist auch, dass die Honigbiene ihr ursprüngliches Habitat, die Baumhöhle wieder bekommt. Auf der FREETHEBEES Website können Sie Baumhöhlenimitate bestellen, die sogenannten SwissTrees, https://freethebees.ch/shop/. Diese dienen nicht nur den Honigbienen als Habitat, sondern auch gleich allen anderen Tierarten, die auf Baumhöhlen angewiesen sind.

Wie kann man FREETHEBEES unterstützen?
FREETHEBEES ist eine Non-Profit-Organisation und finanziert sich ausschliesslich aus privaten Zuwendungen. Bis wir unsere Vision von einer Schweiz mit einer resilienten und gesunden, wildlebenden Honigbienenpopulation und einem verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit der Biene in der Imkerei erreicht haben werden, gibt es noch viel zu tun! Dabei sind wir sind dringend auf die tatkräftige Unterstützung von Gönnerinnen und Gönnern angewiesen. Die Gesellschaft gibt uns die Kraft, welche wir mit Fachwissen und Motivation in Wirkung zugunsten von Bienen, Umwelt und Natur umsetzen.

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Ehrenamtliche Tätigkeiten
Sie möchten gerne selber anpacken und unsere Mission unterstützen? Wir freuen uns über Menschen, die Informationen über die Bienen und FREETHEBEES verbreiten, unsere Flyer und Broschüren verteilen oder selbst kreativ und aktiv werden. Vielleicht inspiriert Sie Vera Bleuer, die ein eigenes Projekt zur Unterstützung der Bienen gestartet hat.

Wenn Sie gerne mithelfen möchten, schreiben Sie uns: bee@freethebees.ch

Legate
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Mehr Infos hier: https://freethebees.ch/legate-und-erbschaften/

Bulletin Nr. 22

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