StartseiteMagazinKulturTextilkunst auf höchstem Niveau

Textilkunst auf höchstem Niveau

«Freund und Feind» nennt die Abegg-Stiftung ihre diesjährige Schau von Stoffen mit Tiermotiven aus dem Spätmittelalter. Dazu gibt es eine Überraschung.

Feinste Stickereien in Gold- und Grüntönen, auch in anderen pastelligen Farben auf einer Fläche von mehr als zwei Metern Breite und zweieinhalb Metern Höhe; die Betrachterin ist allein schon von der Kunstfertigkeit und dem Fleiss der unbekannten Stickerinnen begeistert. Wer sich für mittelalterliche Kunst interessiert, kennt gemalte und geschnitzte Altarbilder – ein Werk, das aus Seide, Leinen, Metallfäden sowie Pailletten und Perlen reliefartig gestaltet ist, scheint einzigartig. Das aus Nordspanien stammende Altarbild, von dem die Rede ist, hängt für kurze Zeit im Museum der Abegg-Stiftung in Riggisberg BE. Es gehört dem Art Institute in Chicago und darf nach der kürzlich abgeschlossenen Restauration bis Mitte November dem hiesigen Publikum gezeigt werden.

Das Gefolge der Heiligen Drei Könige.  Detail des gestickten Altarbilds mit Predella; Spanien, um 1468; Stickerei mit Seiden-, Leinen- und Metallfäden sowie Pailletten und Perlen, 254 x 213 cm. The Art Institute of Chicago, gift of Mrs. Chauncey McCormick and Mrs. Richard Ely Danielson, 1927.1779a-b

Die Stickerei zeigt Szenen aus dem Leben Christi, die von Architekturelementen in Reliefstickerei gerahmt sind. Die äusserst feine, qualitätsvolle Stickerei ist sozusagen die luxuriöse Variante eines gemalten oder geschnitzten Altarbilds. Das Bild entstand um 1468 im Auftrag von Pedro de Montoya, dem damaligen Bischof der Ortschaft El Burgo de Osma.

Nicht von ungefähr hatte das Chicagoer Institut die Abegg-Stiftung mit der Restauration betraut, gilt diese doch international seit langem als erste Adresse für die Restaurierung von Textilien. Der gute Ruf geht auf Mechthild Flury-Lemberg zurück. Mit der Gründung von Stiftung und Museum hatten Werner und Margaret Abegg weitsichtig nicht nur an Sammlung und Ausstellungen gedacht, sondern auch daran, die kostbaren Stoffe in gutem Zustand zu erhalten. Mechthild Flury-Lemberg war damals – Ende der 1950erJahre – als junge Konservatorin ans Berner Historische Museum gekommen, von wo Werner Abegg sie an seine Stiftung engagierte. Auf ihre Bedenken, dass sie allein auf Dauer diese Aufgabe nicht bewältigen könne, schlug ihr Werner Abegg vor, sie solle doch Leute dafür ausbilden. Das tat sie erfolgreich, und seit 1997 ist das Riggisberger Atelier Teil der Berner Fachhochschule der Künste.

Seidengewebe mit Pelikanen. Italien, 14. Jahrhundert. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 152.  In der christlichen Symbolik ist der Pelikan ein Beispiel für das Opfer und die Hingabe – und somit ein Symbol für Christus. Man glaubte, dass der Pelikan sich mit spitzem Schnabel in die eigene Brust pickt, um mit seinem Blut die Nestlinge zu nähren.

Pionierin der Textilrestauration

In einem leider nicht mehr zugänglichen Interview erzählt Mechthild Flury-Lemberg, wie sie am Anfang damit begann, die Textilien sorgfältig von Hand in mildem Seifenwasser zu waschen. Im Laufe ihres Arbeitslebens hat sie viele berühmte Stoffe und Gewänder untersucht. Sie erwähnt die ärmliche sackfarbene Kutte von Franz von Assisi, die sie besonders angerührt habe. Auf dem Gewand fand sie 32 braune Flicken und vermutete, dass die heilige Klara diese nach seinem Tod eingenäht habe, damit die Kirchenoberen den Mantel als «ordentliche» Reliquie akzeptierten. Die Untersuchung des Turiner Grabtuches 2002 gab viel zu reden, denn Flury-Lemberg stellte fest, dass entgegen der gängigen Meinung der eigentliche Stoff durchaus aus dem 1. Jahrhundert nach Chr. stamme.

Stoff mit Brunnen und Hunden. Italien, 2. Viertel bis 2. Hälfte 14. Jahrhundert. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 195.  Hauptmotiv des blaugrundigen Seidengewebes sind goldglänzende, burgenartig eingefasste Brunnen. Zwei angekettete Hunde bewachen sie. Das Motiv findet sich in zahlreichen Minnegedichten oder auch im «Roman de la Rose», einem im 13. Jahrhundert entstandenen französischen Versepos über die höfische Liebe.

Freund und Feind.
Das Tier in der mittelalterlichen Textilkunst

Wie jedes Jahr widmet das Museum einen Teil seiner Ausstellungsfläche einem bestimmten Thema, in diesem Jahr sind es die Darstellungen von Tieren auf mittelalterlichen Stoffen aus dem eurasischen Raum.

Textilien dieser Art – häufig aus Seide oder Samt – waren selbstverständlich für Adelige hergestellt worden. Entsprechend beziehen sich Formen und Muster auf die hohe Minne, eine Form des Umgangs an Adelshöfen, und auf die höfische Jagd, die im Mittelalter dem König und dem Adel vorbehalten war, kurz auf Werte, die in diesen Kreisen hochgehalten wurden. So entdecken wir Tiere, die gejagt werden wie Hirsche oder Rehe, aber auch die Begleiter der Jäger, Hunde oder Falken. Daneben exotische Tiere wie Löwen, Gazellen, Schlangen, Pfauen oder andere Tiere oder Vögel. Der Adler wird oft auch als Wappentier dargestellt.

Seidengewebe mit Raubkatzen und Vögeln. Italien, 2. Hälfte 14. Jahrhundert. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 459.  Auf den Stoffen sind oft verschiedene Tiere dargestellt, die zu bewegten und märchenhaft anmutenden kleinen Szenen kombiniert werden. Hier scheint eine Raubkatze auf einen dürren Baum zu springen, der sich unter ihrer Last krümmt, während ein riesenhafter Vogel mit ausgebreiteten Schwingen eine Blume pflückt.

Bemerkenswert ist die künstlerische Umsetzung dieser Sujets. Gemäss dem dekorativen Charakter des Stoffes sind Ornament und Tierdarstellung eng miteinander verbunden. Dem laienhaften Blick ist die Herkunft der Stoffe oft schwer erkennbar; ob ein Stück Seide aus Persien oder Italien stammt, kann nur ein Experte entscheiden. – Oder sind die Ähnlichkeiten der Darstellungen so gross, dass wir von kulturübergreifenden Beziehungen sprechen können? Denn es ist eine Tatsache, dass es immer wieder Handelsbeziehungen zwischen Ost und West gab und sich also auch die Seidenweber gegenseitig inspirieren konnten. Eine ästhetische Augenweide sind die kostbaren Stoffe allemal.

Seidengewebe mit Hasen, Raubvögeln und Blattrosetten. Italien, um 1420–1440. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 457.  Vor einst rotem Grund zeigt dieser Stoff prachtvolle Blattrosetten, die in versetzten Reihen angeordnet und über Astwerk miteinander verbunden sind. Dazwischen finden sich paarweise angeordnete Hasen und Raubvögel. Das erzählerische Moment, wie es die Stoffe des 14. Jahrhunderts prägte, tritt hier zugunsten des floralen Dekors in den Hintergrund.

Die Ausstellung ist noch bis 13. November 2016 täglich nachmittags geöffnet.
Das Postauto fährt bis vor den Eingang. (Über die Winterzeit ist das Museum regelmässig geschlossen.)

Am 6. November 2016, 17:30 Uhr, findet ein Konzert statt: Song of Beasts. Musik und Texte des 13. – 15. Jahrhunderts sowie animierte Bilder mittelalterlicher Tiere und Fabelwesen, vorgetragen vom Ensemble Dragma.

Über die Abegg-Stiftung

Alle Fotos: © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg (Foto: Christoph von Viràg)

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