StartseiteMagazinKulturAtemlos durch die Zeit

Atemlos durch die Zeit

Sieben Jahre aus dem Leben eines Künstlers: Das Kunsthaus Zürich zeigt rund 160 Exponate aus der nach heutiger Rezeption faszinierendsten Schaffensphase von Ernst Ludwig Kirchner.

1911 zog der junge Maler Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) nach Berlin, wohl in erster Linie, weil er hoffte, in der preussischen Reichshauptstadt die Anerkennung zu finden, die ihm und seinen Freunden aus der Künstlergemeinschaft «Die Brücke» in Dresden versagt geblieben war.

Er kam in eine sich rasant entwickelnde Metropole mit all ihren Errungenschaften und Auswüchsen: Prachtvolle Boulevards mit grossen Kaufhäusern, mondänen Hotels und Cafés und einem Grossbürgertum, das sich zu amüsieren wusste, die neue Mobilität – Autos – genoss und von der ungebremst wachsenden Industrie profitierte. Und daneben bitterste Armut in einem grossen Teil der Bevölkerung, die auf engstem Raum in billigen Mietkasernen vegetierte, sich als billige Arbeitskräfte oder in der Prostitution ausnutzen liessen.

Malstil angepasst

Diese Hektik, diese Atemlosigkeit, diese Diskrepanz zwischen den Bevölkerungsschichten hielt Kirchner in seinen Bildern fest. Er, bereits in Dresden als revolutionärer Künstler apostrophiert, passte seinen Stil der Dynamik der Grossstadt an: Die runden Formen, die klaren Farben, der ganze impressionistische Gestus verschwanden, sein Pinselstrich wurde zackiger. expressiver, energischer vielleicht, hektischer ganz sicher.

Eines der Schlüsselwerke aus den Berliner Jahren von Ernst Ludwig Kirchner: Strasse am Stadtpark Schöneberg 1912/1913. (Milwaukee Art Museum. Alle Bilder zur Verfügung gestellt vom Kunsthaus Zürich)

Es scheint, als versuche Kirchner die Atemlosigkeit des Berliner Stadt- und Nachlebens auf seinen Bildern einzufangen. Strassenzüge, Eisenbahnlinien, Industrieanlagen wechseln ab mit Szenen aus Bordellen, Kabarets und Zirkus. Und immer sind da Bilder von Kokotten, wie damals die Prostituierten genannt wurden.

Bordsteinschwalben

Diese durften auf Geheiss der Obrigkeit auf der Strasse nicht stehenbleiben, um sich anzubieten – und Kirchner hat diese Frauen in Bewegung immer wieder gemalt. Mit spitzen Nasen und ebensolchen Schuhen, mit Kleidern und Pelzen, die sich wie Flügel um ihre Körper schmiegen – er hat den Begriff «Bordsteinschwalbe» treffend umgesetzt. Samt den verstohlenen Blicken der sie umgebenden Männer – besser kann Doppelmoral kaum illustriert werden.

Die Strasse , 1913, und Drei Badende, 1913, von Ernst Ludwig Kirchner.

Das Äquivalent zu den Bildern aus den Berliner Jahren zwischen 1911 und 1917 bilden die Arbeiten, die jeweils im Sommer auf der Ostseeinsel Fehmarn entstanden. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Erna Schilling und Künstlerkollegen lebte er in diesen Sommerwochen ein naturverbundenes, freies Leben.

Ferien auf Fehmarn

Nackt wurde gebadet, nackt durch die Landschaft gestreift und Kirchner malte diese paradiesischen Zustände, die er in Berlin nur in Bordellen und in den eigenen vier Wänden antreffen konnte – und in seinem Atelier auch fotografisch festhielt – immer und immer wieder. Es sind Bilder in gedämpften und doch intensiven Farben, aber zur Ruhe kam der Künstler auch auf der Insel offenbar nicht. Denn sein Pinselstrich, die Schraffuren, mit der er die Umgebung gestaltet, bleiben schroff und den weiblichen Akten und den Küstenlandschaften haftet nichts Weiches, Sinnliches an.

Selbstporträt in seiner Berliner Atelierwohnung. (Kirchner Museum davon/Kunsthaus Zürich)

Der Kriegsausbruch 1914 überraschte Kirchner auf Fehmarn und er brach seinen Urlaub ab und meldete sich als Freiwilliger für einen Kriegseinsatz. An die Front kam er allerdings nie, seine militärische Ausbildung zum Feldartilleristen musste er wegen physischer und psychischer Probleme abbrechen. Was ihm von dieser Zeit blieb, war der Hang zum Alkohol-, Medikamenten- und später Drogenmissbrauch, der ihn von da an zeitlebens mehr oder weniger begleitete.

Entartete Kunst

Aus seinen Bildern und Grafiken aus dieser Zeit spricht das Grauen des Krieges. Die Blätter aus der «Schlemihl-Mappe» sind ebenso zu sehen wie die verstörende Zeichnung «Selbstbildnis im Morphiumrausch». Sein förmlich vibrierender Malstil setzt sich auch in den Holzschnitten fort.

Nach mehreren Sanatoriumsaufenthalten zog Kirchner 1918 in die Schweiz, nach Davos, wurde zum expressionistischen «Maler der Berge», der, auch wenn die Hektik in seinen Bildern langsam verflachte, nichts von seiner Intensität und innerer Unruhe einbüsste. 1938 schied Kirchner, dessen Bilder in Deutschland mittlerweile als «entartet» eingestuft und teilweise verbrannt wurden, in Davos freiwillig aus dem Leben.

Selbstbildnis im Morphiumrausch, 1917. (Brücke-Museum Berlin/Kunsthaus Zürich)

Das Kunsthaus zeigt Kirchners Werk aus den sieben fruchtbaren Berliner Jahren im Kontext mit wenigen früheren und späteren Bildern und schafft so ein umfassendes Porträt einer Künstlerpersönlichkeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg erst wieder «entdeckt» werden musste. Das Kunsthaus selber besitzt aus der Schaffensphase 1911 bis 1917 kein Bild von Kirchner – obwohl der Künstler bereits 1918 zu einer Ausstellung im Kunsthaus kam.

In Zusammenarbeit mit dem Brücke-Museum Berlin ist aber eine Werkschau entstanden, in der als Leihgaben viele der bekannten Schlüsselwerke des Künstlers vertreten sind. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut und erlaubt, auch dank des «Nachbaus» eines Teils des Berliner Ateliers, eine facettenreiche Begegnung mit einem faszinierenden Künstler und dessen in jeder Hinsicht bewegten Leben.

Zur Ausstellung, die bis zum 7. Mai 2017 dauert, sind zahlreiche Begleitveranstaltungen geplant. Informationen sind auf der Website des Kunsthauses zu finden. Begleitet wird «Grossstadtrausch/Naturidyll. Kirchner – die Berliner Jahre» zudem von einem reich bebilderten Katalog mit Texten in Deutsch und Englisch.

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