StartseiteMagazinWissenSeltene Erden schürfen aus Elektroschrott

Seltene Erden schürfen aus Elektroschrott

ETH-Forschende entwickeln ein von der Natur inspiriertes Verfahren, das Europium aus alten Leuchtstofflampen zurückzugewinnt. Der Ansatz könnte zum lang erhofften Recycling von Seltenerdmetallen führen.

So selten, wie ihr Name suggeriert, sind seltene Erden zwar nicht. Für die moderne Wirtschaft sind sie aber unabdingbar. Denn diese 17 Metalle sind essenzielle Rohstoffe für die Digitalisierung und die Energiewende: Sie stecken in Smartphones, Computern, Bildschirmen und Batterien – ohne sie läuft kein Elektromotor und dreht sich kein Windrad. Weil Europa fast vollständig auf Importe aus China angewiesen ist, gelten diese Rohstoffe als kritisch.

Kritisch sind seltene Erden aber auch wegen ihrer Gewinnung. In natürlichen Erzen kommen sie stets gemischt vor – doch da sich diese Elemente chemisch sehr ähnlich sind, lassen sie sich nur schwer voneinander trennen. Das macht die Förderung und Reinigung der Metalle teuer, aufwändig und für die Umwelt enorm schädlich.

Leuchtmittel in einer Kiste auf dem Entsorgungs- und Recyclinghof einer Gemeinde. Foto: Tom by Pixabay

«Trotzdem werden seltene Erden in Europa noch kaum wiederverwertet», sagt Victor Mougel, Professor am Laboratorium für Anorganische Chemie der ETH Zürich. Eine Team von Forschenden unter Mougels Leitung will das ändern. «Es braucht dringend nachhaltige und unkomplizierte Methoden zur Trennung und Rückgewinnung dieser strategischen Rohstoffe aus unterschiedlichen Quellen», fordert der Chemiker.

In einer kürzlich im Fachjournal Nature publizierten Studie präsentiert das Team eine überraschend einfache Methode, mit der sich das Seltenerdmetall Europium effizient aus komplexen Gemischen von anderen seltenen Erden abtrennen und wiederverwerten lässt.

Von der Natur inspiriert

Marie Perrin, Doktorandin in Mougels Gruppe und Erstautorin der Studie, erklärt: «Bestehende Trennverfahren beruhen auf Hunderten von sogenannten Flüssig-Flüssig-Extraktionsschritten und sind ineffizient, und das Recycling von Europium war bislang wenig praktikabel.» In ihrer Studie zeigten sie nun, dass ein einfaches anorganisches Reagens diese Trennung erheblich verbessern kann. «Damit gewinnen wir Europium in wenigen einfachen Schritten – und das in Mengen, die mindestens 50mal höher sind als mit bisherigen Trennmethoden», so Perrin.

Der Schlüssel zu dieser Technik liegt in kleinen anorganischen Molekülen mit vier Schwefelatomen, die um ein Wolfram- oder Molybdänatom herum angeordnet sind: Tetrathiometallate. Die Forschenden liessen sich dabei von der Welt der Proteine inspirieren. Tetrathiometallate kommen oft als Bindungsstelle für Metalle in natürlichen Enzymen vor und dienen als Wirkstoff gegen Krebs und Störungen des Kupferstoffwechsels.

Erstmals werden Tetrathiometallate nun auch für die Trennung von Seltenerdmetallen eingesetzt. Dabei kommen seine einzigartigen Redox-Eigenschaften zum Tragen, die Europium in seinen ungewöhnlichen zweiwertigen Zustand reduzieren und so die Trennung von den anderen dreiwertigen Seltenerdmetallen vereinfachen.

Recycling von Europium aus Leuchtstofflampen im Schnelldurchlauf. (Video: Marie Perrin / ETH Zürich)

«Das Prinzip ist dabei so effizient und robust, dass wir es direkt auf verbrauchte Leuchtstofflampen anwenden können, ohne dass die sonst üblichen Vorbehandlungsschritte erforderlich sind», hält Mougel fest.

Urbane Minen für Europium

Elektronikschrott stellt eine wichtige, aber bislang wenig genutzte Quelle für Seltenerdmetalle dar. «Würde diese Quelle erschlossen, dann könnten die Lampenabfälle, welche die Schweiz derzeit ins Ausland schickt, um sie in Deponien zu entsorgen, stattdessen hier in der Schweiz recycelt werden», meint Mougel. So könnten Lampenabfälle als urbane Minen für Europium dienen und die Schweiz unabhängiger von Importen machen.

«Unser Recycling-Ansatz ist deutlich umweltfreundlicher als alle herkömmlichen Methoden zur Gewinnung von Seltenerdmetallen aus Mineralerzen.» Victor Mougel

In der Vergangenheit wurde Europium hauptsächlich als Leuchtstoff in Leuchtstofflampen und Flachbildschirmen verwendet, was zu hohen Marktpreisen führte. Da Leuchtstofflampen nun sukzessive aus dem Verkehr gezogen werden, ist die Nachfrage gesunken, so dass die bisherigen Recyclingmethoden für Europium wirtschaftlich nicht mehr rentabel sind. Effizientere Trennstrategien sind wünschenswert und könnten helfen, die Unmengen an günstigen Leuchtstofflampenabfällen zu verwerten, deren Gehalt an Seltenerdmetallen etwa 17-mal höher ist als in natürlichen Erzen.

Die Nachfrage senken

Umso dringlicher erscheint es, seltene Metalle am Lebensende von Produkten zurückzugewinnen und im Kreis zu führen – doch die Rückgewinnungsrate von Seltenerdelementen liegt in der EU weiterhin unter einem Prozent.

Im Prinzip ist jedes Trennverfahren für seltene Erden sowohl bei der Förderung aus Erzen als auch bei der Rückgewinnung aus Abfällen einsetzbar. Die Forschenden konzentrieren sich mit ihrer Methode aber bewusst auf das Recycling der Rohstoffe, weil dies ökologisch und ökonomisch viel sinnvoller sei. «Unser Recycling-Ansatz ist deutlich umweltfreundlicher als alle herkömmlichen Methoden zur Gewinnung von Seltenerdmetallen aus Mineralerzen», sagt Mougel.

Die Forschenden haben ihre Technologie patentiert und sind daran ein Start-up namens Reecover zu gründen, um sie künftig zu vermarkten. Derzeit arbeiten sie daran, das Trennverfahren für weitere Seltenerdmetalle wie etwa Neodym und Dysprosium, die in Magneten vorkommen, anzupassen. Wenn das gelingt, will Marie Perrin nach ihrem Doktorat das Start-up aufbauen und das Recycling seltener Erden in der Praxis etablieren.

Titelbild: In der linken Hand der Rohstoff «Leuchtstofflampe», in der rechten das gelbe Reagenz, das seltene Erden trennen kann: ETH-Doktorandin Marie Perrin präsentiert den neuen Recycling-Ansatz. (Bild: Fabio Masero / ETH Zürich)

Von Michael Keller, ETH

Hier geht es zum Artikel in der Wissenschaftszeitschrift Nature

 

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