Sorry, der Titel stimmt nicht. Denn Sprengstoff verwendet Roman Signer seit 20 Jahren nicht mehr. Der wurde damals von der St.Galler Polizei konfisziert. Aber Schwarzpulver geht auch, meint der heute 86-jährige Konzeptkünstler, der erstmals im Kunsthaus Zürich ausstellt – «Landschaften».
Eine Landschaft ist nach Signerschen Lesart auch ein 70 Meter langer und 30 Meter breiter, weisser Raum – wie der grosse Ausstellungsraum im Moserbau des Kunsthauses. So richtig ausstellungsmässig präsentiert er sich nicht: Da einige Haufen Kies, jeweils gekrönt von einer Metallplatte, dort ein sich aufbäumendes oder zwischen Seilen hängendes oder in Einzelteile zerlegtes Kajak, ein roter Ball, gefangen nach dem Motto «Das Runde muss ins Eckige», ein «Spielhaus» ohne Fenster, durch dessen Glastüre ein Christbaum zu sehen ist – dazu kommen wir noch – oder ein Planschbecken voller «Flügeli».
Blick in die ziemlich übersichtliche Ausstellung. (b.r.)
Und dazwischen viel Luft, viel Nichts. Oder doch: Ein kreisrunder Handlauf, ein einfaches Metallrohr, an dessen einem Ende eine Pistole montiert ist. Ob wohl eine abgefeuerte Kugel die minimale Biegung bis zum Anfang des Rohrs schaffen würde und so die Pistole von ihrer Rückseite her «erschiessen» könnte? Roman Signer hat das sicher ausprobiert.
Stuhl und Tisch und Stiefel
Denn ihm, dem gebürtigen Appenzeller, traut man alles zu, was «chlöpft oder tätscht» und er schafft es immer wieder, mit Alltagsgegenständen zu verblüffen. Signer ist kein Mann für die grosse Schau, sein subtiler Humor ist nie mehr als ein Schmunzeln, ein Augenzwinkern und manchmal so voller Poesie, dass einem der Atem stockt.
Seine «Skulpturen» können zwar auch Gartenstiefel sein, aus denen Wasser schiesst, eine aufgetürmte Stuhlpyramide, die sich nach und nach selber in die Luft sprengt, Tische, die fliegen, schwimmen oder sonstwie schräg in der Landschaft stehen oder eben Kajaks, die sich auch mal explosionsartig selbst zerlegen oder denen der Boden weggeschmirgelt wird, weil sie samt Passagier von einem Auto über eine Strasse gezogen werden.
Oder ein Christbaum in einer Box, der, mittels Feuerwerk angetrieben, so schnell rotiert, dass die Kugeln auf alle Seiten fliegen. An der Vernissage wird dieser Effekt demonstriert, im weiteren Verlauf der Ausstellung wird sich der Christbaum nur noch zahm um sich selbst drehen.
«Das Runde muss ins Eckige» – Roman Signer zeigt, wie das gehen kann. (b.r.)
Aber Skulpturen sind auch ein Lichtbogen im Tobel, der pure Magie ist, leuchtende Papierschnipsel, die eine Menschenmenge verzaubern, ein farbiger Lichtbogen rund um einen Hochkamin oder eine Reihe weisser Ballone, die die Silhouette des Säntis nachzeichnen. Dass diese Exponate nur als Fotos existieren, versteht sich von selbst. Es sind magische Augenblicke, die nur als fotografische Reproduktionen Bestand haben.
Der heute 86-jährige Künstler Roman Signer. (Kunsthaus/Stefan Rohner)
Roman Signer fand erst in mittlerem Alter zu seiner Kunst, hat sich aber bis heute eine kindliche Neugierde, die Freude, aus Alltagsgegenständen fantastische Objekte zu «basteln», bewahrt. Als Hochbauzeichner zu gestalterischem Schaffen gekommen, wurde er 1972 für ein Austauschprogramm nach Warschau ausgewählt. Dort wurde sein individueller Stil gefördert. Seine Erinnerungen aus den Kriegsjahren, die er als Kind erlebte – in Appenzell war der Krieg durch die Grenzverletzungen durch Flugzeuge oftmals ziemlich nah – und einer trotzdem unbeschwerten Kindheit mit viel Zeit in der freien Natur, am Wasser, sind der Fundus, aus dem Signer bis heute schöpfen kann. Dazu kommt für ihn die Spannung, ob ein Experiment gelingen oder in Rauch und mit Knall krepieren wird – oder beides.
Kunst für einen Augenblick
Kunst, die allein geschaffen wird, um wieder zu verschwinden, zerstört zu werden, gehört zu Roman Signer. Seine Werke sind meist nicht für die Ewigkeit gemacht, auch wenn sie filmisch oder fotografisch dokumentiert werden. Die Unmittelbarkeit fehlt. Deshalb vielleicht hängen in Zürich nur wenige Werkaufnahmen an den Wänden. Seine «Skulpturen» entziehen sich der Zeit, verschwinden. Ob per Kajak oder heute per Drohnenantrieb oder einfach, weil ihr Feuer erlischt oder sich mit einem grossen Knall auflösen. Wobei ihn bei einer Explosion nicht das Geräusch fasziniert, es ist die Energie, die eine Sprengung auslöst, diese Kraft, die grosse Gegenstände in die Luft fliegen oder rotieren lässt.
Wer sich im ziemlich übersichtlich bestückten grossen Saal etwas verloren fühlt, kann die statischen Werke, die in der Realität so gar nicht statisch sind, mittels QR-Codes nachverfolgen. Roman Signer selber erzählt dabei, wie er seine Prozesse entwickelt hat – zum Schmunzeln, Staunen und Geniessen.
Auch ein Christbaum wird zum Objekt. Wild rotierend werden die Kugeln weggeschleudert. (Kunsthaus Zürich, 2010 Roman Signer)
Titelbild: «Bürostuhl» 2006: Roman Signer lässt den Stuhl und sich mittels der Energie der Feuerwerksraketen in seinen Händen rotieren. Wenigstens für ein paar kurze Momente. (Kunsthaus Zürich, Roman Signer)
Die Ausstellung «Landschaften» von Roman Signer mit Werken aus 50 Jahre kreativem Schaffen ist im Kunsthaus Zürich bis zum 17. August zu sehen. Angeboten werden auch ein Katalog und ein Rahmenprogramm. Infos dazu unter www.kunsthaus.ch.