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Ist Träume leben trotzdem möglich?

Wie gehen Menschen damit um, wenn ihre PartnerInnen an Demenz erkranken? Was haben sie noch für Träume? Vier Jahre Gespräche mit drei Frauen von demenzkranken Männern.

Von Marianne Pletscher 

Barbara, Nelly und Josy sind für mich drei der vielen «Heldinnen in Lebensbewältigung», die fast Übermenschliches leisten. Alle drei habe ich bei Dreharbeiten vor und während einer Theaterferienwoche für Demenzbetroffene im Sommer 2011 kennengelernt. Alle drei standen kurz vor dem offiziellen Pensionsalter, wie ihre Männer auch. Sie hatten sich einen ganz kleinen Traum erfüllt: Ferien, in denen sie ihre demenzkranken Männer zwar dabeihatten, aber betreut von freiwilligen HelferInnen; Ferien, in denen sie endlich Zeit für sich selbst hatten, aber auch Zeit, um sich mit anderen Angehörigen auszutauschen.

Barbara traf ich erstmals zu Hause an. Sie schien gefasst, ging sehr liebevoll mit ihrem Mann um, der körperlich noch sehr fit war, sich aber verbal nicht mehr klar äussern konnte. Im Gespräch wurde schnell deutlich, dass sie damit haderte, dass schon Jahre vor der Pensionierung der Traum vom gemeinsamen Lebensabend und den geplanten Reisen zerbrochen war.

Die Zeit vor der klaren Diagnose schilderte sie als extrem schwierig. Eine Zeit lang hatte die Hoffnung bestanden, ihr Mann leide an einem Burn-out oder einer Depression. Dies wäre aufgrund von Mathias’ Arbeitsbelastung in seiner Arztpraxis durchaus möglich gewesen. Mit 63 Jahren, etwa eineinhalb Jahre nach den ersten Symptomen, erhielt Mathias endlich die Diagnose: Alzheimer. Die Zeit der Unklarheit hatte die Hoffnung, es könne wieder besser werden, so stark am Leben erhalten, dass die Diagnose insbesondere für Mathias einen umso härteren Schlag darstellte. Barbara erzählt, dass es in dieser Ausnahmezeit nahezu unmöglich war, einen normalen Alltag zu leben.

Beim nächsten Besuch war sie von einer immensen Trauer erfüllt, die durchbrach, als wir Mathias beim Klavierspiel filmten und sie realisierte, dass schon wieder etwas für immer verloren gegangen war: Auch seine Finger, die sich besser an die Musik erinnert hatten als er selbst, brachten jetzt die Töne durcheinander. Sie erzählte von den vielen negativen Reaktionen ihres überforderten Umfelds, da niemand wusste, wie mit der Situation umzugehen sei. Die Diagnose katapultierte Mathias aus dem bisher gelebten Leben. Während die Kommunikation auf emotionaler Ebene immer noch gut funktionierte, konnte er intellektuell immer weniger mithalten. Er litt sehr darunter, dass er von vielen nicht mehr als vollwertiger Gesprächspartner wahrgenommen wurde. Auch wenn dies nie mit böser Absicht passiert sei, sei es verletzend für Mathias gewesen, diese Schonhaltung der anderen auszuhalten, erzählt Barbara. Für sie selbst stellte die vorzeitige Praxisauflösung, die sie mehr oder weniger allein durchziehen musste, eine zusätzliche Belastung dar.

Sie reflektierte ihre Situation sehr genau und hatte auch schon erste Schritte unternommen, um sich zu entlasten: mit Tagesaufenthalten von Mathias bei seiner älteren Schwester, später in einer Tagesklinik. Und doch blieb die Hauptlast auf ihren Schultern. In dieser schwierigen Situation erlebte sie beim gemeinsamen Wandern, Tanzen oder Velofahren kurze Momente der scheinbaren Normalität, die ihr sehr viel Kraft gaben.

Die Spitex-Fachfrau Josy war das Pflegen gewohnt und ging ebenfalls sehr gefasst mit der schwierigen Situation um, als ich sie und ihren Mann in ihrer Eigentumswohnung auf dem Land besuchte. Allerdings gestand sie, als ihr Mann kurz weg war, dass sie in letzter Zeit an ihre Grenzen komme, sich fast nicht mehr aus dem Haus traue, weil er alles durcheinanderbringe und sich sogar in der Wohnung verirre. Heini, ein ehemaliger Informatiker, schien drei Jahre nach der Alzheimerdiagnose verbal noch recht präsent, konnte aber nicht mehr mit dem Computer umgehen, sein räumliches Denken und sein Ordnungssinn waren verschwunden. Er zeigte jedoch eine erstaunliche Krankheitseinsicht und konnte noch vieles geniessen, vor allem die Spaziergänge mit der jüngsten Enkelin. Heini zeigte sich als grosser Skeptiker, was die kommenden Theaterferien betraf, er wollte keine Veränderungen mehr.

Auf Nelly und ihren Mann Placi, von Beruf ETH-Ingenieur, stiess ich vor der Theaterferienwoche durch eine Fernsehsendung. Placi schilderte darin sehr klar, dass er zwar noch immer Differenzialgleichungen lösen, aber nicht mehr vier Dinge ohne Einkaufszettel besorgen könne. Beide hatten gute Strategien entwickelt, um mit der Krankheit umzugehen. Später erzählte Nelly, dass Placi vermutlich schon wegen kognitiver Ausfälle seine Stelle verloren hatte, doch damals war das nicht klar. Erst auf einer Indienreise merkte sie, dass etwas nicht stimmte, und bestand auf einer Abklärung. Die Diagnose Alzheimer nahm Nelly erst mit Verspätung so richtig wahr, doch dann fühlte sie sich vom Schicksal total betrogen, hatte sie sich doch im Hinblick auf viele gemeinsame Aktivitäten kurz zuvor frühpensionieren lassen. Die Demenz entwickelte sich langsam, und dank der sehr frühen Diagnose blieben den beiden noch einige recht gute Jahre.

Kein Traum, aber wenigstens ein «Träumli» waren die Theaterferien in einem Ferienheim am Ägerisee. Einmal nicht nur über Demenz reden, wieder einmal unbeschwert lachen und vor allem einmal die Verantwortung abgeben! Bei Barbara spürte ich, wie wichtig es für sie war, dass der Fokus für einmal nicht nur auf dem betroffenen Partner lag, sondern auch bei ihr als betreuender Angehörigen. Das «Theateren», wie sie es nannte, löste viele Gedanken und Impulse aus, liess Freude, Trauer, Lachen, Weinen zu. Hinzu kamen die vielen guten Gespräche mit Menschen, die im selben Boot sassen.

Lesen Sie hier den ganzen Beitrag über Barbara, Nelly und Josy von Marianne Pletscher: Ist Träume leben trotzdem möglich

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