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Generationengerechtigkeit in Gefahr

Die vorgeschlagenen Massnahmen der Volksinitiative «Vorsorge JA – aber fair» sind nicht fair und verstossen gegen Treu und Glauben.

Die unlängst gestartete Volksinitiative «Vorsorge JA – aber fair» (nachfolgend kurz Initiative genannt) von Josef Bachmann verspricht Generationengerechtigkeit in der beruflichen Vorsorge. Zentrale Punkte für die Erzielung von Generationengerechtigkeit sind gemäss Initiative die Forderungen, dass bereits laufende Altersrenten gekürzt werden können und dass das AHV Rentenalter regelmässig angepasst (erhöht) werden kann.

«Systemfremde Umverteilung»?

Die Initianten sehen offenbar aktuell die Generationengerechtigkeit vor allem aufgrund der aktuellen «systemfremden Umverteilung» nicht mehr gewährleistet. Dazu werden die Rentenbezüger in der beruflichen Vorsorge als ungerechte Profiteure zulasten der aktiven Versicherten (Erwerbstätige) dargestellt. Der Initiant Bachmann schreibt z.B. «Rentnern nicht etwas wegnehmen, sondern weniger «verschenken», was ihnen nicht zusteht.»

Bei der von den Initianten kritisierten «systemfremden Umverteilung» geht es aktuell jährlich um einen Betrag von ca. 7 Milliarden Franken, was ungefähr den jährlichen Kosten für die Vermögensverwaltung und die Administration der beruflichen Vorsorge, also den Einnahmen von Banken, Versicherungen und Vorsorgemanagern entspricht. Dieses Geld (Umverteilung) erhalten nicht etwa die einzelnen Rentnerinnen und Rentner, keiner bekommt einen Franken mehr Rente. Das Geld (Umverteilung) wird zur Verzinsung und auch zur Verstärkung der Reserven der Rentenbezüger verwendet. Von grösseren Reserven aber profitieren dann inskünftig die Banken und Vermögensverwalter mit höheren Gebühren. Kein Franken aber wird vom Altersguthaben eines aktiven Versicherten abgezogen und jeder erhält auf seinem obligatorischen Guthaben den vom Bundesrat festgelegten Mindestzins. Verteilt wird also in erster Linie der Überschuss der Vermögenserträge, auf den niemand individuell Anspruch besitzt.

Die gebetsmühlenhafte Wiederholung der «systemfremden Umverteilung» durch gewisse Fachvertreter und durch die Initianten ist unbegründet und hilft wenig zu einer langfristigen Generationengerechtigkeit. Im Gegenteil werden dadurch eher Unverständnis und Neid zwischen den Generationen gefördert.

In der beruflichen Vorsorge bestanden und bestehen zurecht zahlreiche Solidaritäten resp. Umverteilungen. Zu Beginn des Obligatoriums der beruflichen Vorsorge wurden z.B. Sonderbestimmungen zugunsten der Eintrittsgeneration erlassen. Solidaritäten und Umverteilungen sind nicht «systemfremd».

Erhöhung des Rentenalters

Für den Initianten Bachmann wäre aktuell ein Rentenalter (Referenzrücktrittsalter) von 70 Jahren angebracht. Hier gilt es insbesondere auch die jungen und aktiven Generationen vor diesem zukünftigen hohen Rentenalter (Referenzrücktrittsalter) in der AHV zu schützen. Dabei müssen auch die stark eingeschränkten Chancen auf dem Arbeitsmarkt für erwerbstätige Personen zwischen 55 und 70 Jahre berücksichtigt werden. Die «Lösung» für dieses Problem sehen die Initianten darin, dass die Arbeitnehmenden für den Arbeitgeber attraktiv bleiben. Attraktiv bleibt gemäss Initianten, wer seinen Lohn um 20 % kürzt. Dies zeigt, dass die Initiative auch für junge Generationen nicht fair ist.

Leistungen der Rentnerinnen und Rentner

Die Generation der heutigen Rentenbezüger hat während ihrer Aktivzeit wesentlich zum wirtschaftlichen Aufbau insbesondere auch zur heutigen Infrastruktur beigetragen. Zudem hat diese Generation während ihrer Erwerbstätigkeit solidarisch die damalige ältere Generation massgeblich unterstützt (siehe z.B. die Leistungen für die Eintrittsgeneration bei der beruflichen Vorsorge oder insbesondere auch nach der Einführung (1948) der AHV.

Die Rentnerinnen und Rentner haben während ihrer Aktivzeit die reglementarischen Beiträge voll erbracht. Bei ihrer Pensionierung wurde ihr Altersguthaben (Vorsorgekapital) gemäss Umwandlungssatz nach Gesetz und Reglement der Pensionskasse in Altersrenten und anwartschaftliche Hinterlassenenleistungen umgewandelt. Diese Renten sind wohlerworbene Rechte und können nicht durch einseitige Vertragsänderung gekürzt werden.

Das Bundesgericht hat 2017 zurecht eine Kürzung von laufenden Renten in der beruflichen Vorsorge grundsätzlich abgelehnt. Die Rentenkürzungen würden einer Teilenteignung entsprechen. Würde nun die von der Initiative geforderte Möglichkeit der Rentenkürzungen inskünftig erlaubt werden, wäre dies für die Rentnerinnen und Rentner eine krasse Verletzung der Vertrauensbasis und wäre auch gegen Treu und Glauben. Die Reputation resp. die Glaubwürdigkeit der zweiten Säule sowie die Generationengerechtigkeit würden nachhaltig geschädigt.

Kürzung der laufenden Altersrenten gemäss Initiative

«Die Altersrenten müssten um einen Viertel sinken» (NZZ). Wer Kürzungen von Altersrenten um einen Viertel verlangt (auch in moderaten Schritten), handelt sozialpolitisch unverantwortlich und ignoriert damit die finanzielle Lage einer Mehrheit von Rentnerinnen und Rentner mit tiefen bis mittleren Renten. Falls die sogenannte «systemfremde Umverteilung» gemäss Initiative abgebaut werden müsste, könnte dies auf absehbare Zeit zu massiven Rentenkürzungen führen. Mit solchen Kürzungen wäre auch das verfassungsmässige Leistungsziel (60% des letzten Bruttoeinkommens) nicht mehr gewährleistet.

Folgen der Rentenkürzungen für Rentenbezüger mit tiefen Renten

Für Rentenbezüger mit kleinen Renten würde eine Kürzung gemäss Initiative oft einen neuen oder erhöhten Anspruch auf Ergänzungsleistungen oder gar an die Sozialhilfe nachziehen. Die Ersparnisse durch die Rentenkürzungen der Pensionskassen müssten dann durch das Gemeinwesen erbracht werden. Dazu ein Zitat von Initiant Bachmann (TA 19.12.2018): «Nicht die Jungen sollen für die sozial Schwächeren mit ihrem Vorsorgekapital sorgen, sondern die Allgemeinheit».

Von den Rentenkürzungen in der beruflichen Vorsorge besonders stark betroffen wären die Frauen. «So fallen die durchschnittlichen Renten der Frauen in der Schweiz mit rund 19’000 Franken pro Jahr nur halb so hoch aus wie die der Männer mit etwa 36’000 Franken» (NZZ 29.11.2018).

Berufliche Vorsorge als profitables Geschäft für Banken und Berater

Bei der Durchführung der in der Initiative vorgesehenen Massnahmen würden wesentliche Risiken (Schwankungen der Kapitalanlagen und die Langlebigkeit) von den Pensionskassen auf die Versicherten übertragen (Hauptziel der Initiative). Dies würde für die Vorsorgeindustrie (Banken, Versicherungen, Berater, Experten usw.) ebenfalls weniger Risiko bedeuten. Damit könnten noch weitere verbesserte Möglichkeiten für noch profitablere Geschäfte mit den Pensionskassen generiert werden.

Fazit:

Die vorgeschlagenen Massnahmen der Initiative

  •  sind nicht fair
  •  verstossen gegen Treu und Glauben
  •  verletzen rechtsstaatliche Grundsätze (einseitige Vertragsänderung)
  •  können zu einem massiven Abbau der laufenden Renten führen
  • schädigen nachhaltig die Reputation resp. die Glaubwürdigkeit der zweiten Säule sowie die Generationengerechtigkeit

Es besteht eine grosse Gefahr, dass die vorgeschlagenen Massnahmen der Initiative zur Entsolidarisierung und zum Bruch des respektvollen Umgangs der Generationen führen werden.

Jürg Jost, eidg. dipl. Pensionsversicherungs-Experte, lebt und arbeitet in Zürich. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Beratung von Pensionskassen, berät Versicherungen und Pensionskassen in versicherungstechnischen Belangen und erstellt Risikoanalysen. Nach verschiedenen Lehrtätigkeiten an Mittelschulen und höheren technischen Lehranstalten (Abendtechnikum) war er von 1979 bis 2004 in der Generali Gruppe Schweiz in leitender Funktion tätig. Als Mitglied der Geschäftsleitung der Generali Personenversicherungen war er zuständig für das Kollektiv-Leben Geschäft. (Red.)

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