Kann mit digitalen Mitteln die soziale Zusammengehörigkeit gefördert und Einsamkeit im Alter reduziert werden? In einem Workshop an der Fachtagung «connect! – Kommunale Initiativen für weniger Einsamkeit im Alter» wurde dieser Frage nachgegangen.
Viele Ältere kommen mittlerweile mit Internet und der Digitalisierung in unserem Alltag bestens zurecht, andere tun sich noch schwer: speziell die hochaltrigen, bildungsfernen und sozioökonomisch benachteiligten Personengruppen.
Digitalisierung kann im Hinblick auf die Einsamkeit im Alter als Risikofaktor gesehen werden. In der digitalen Welt tauchen neben interessanten Nachrichten auch Fake-News auf, es gibt manipulative Versuche im Netz, Trickbetrug mit Emails, Online-Verbrechen, Datenklau, Datenmissbrauch usw. Wenn ältere Menschen versuchen, schmerzliche Erfahrungen mit übermässigem Konsum von digitalen Medien zu stillen, kann die Digitalisierung ihre Einsamkeit verstärken.
Gewisse Ältere fühlen sich durch die Digitalisierung ausgegrenzt. Man spricht von einer digitalen Kluft oder Spaltung in der Gesellschaft. Gleichzeitig gibt es viele andere, welche die digitalen Medien nutzen, um Kontakt zu pflegen. Mit einem guten Gebrauch von digitalen Mitteln kann der Zugang zu bedürfnisgerechten Angeboten und zu andern Menschen erleichtert und Einsamkeit bekämpft werden. Digitaler Austausch findet im engeren Familien- oder Freundeskreis statt oder mit irgendwelchen Leuten überall auf diesem Globus. Man trifft sich zu einem gemeinsamen Thema mit Videokonferenzen, Webinaren, Online- Seminaren usw. Es können virtuelle Selbsthilfe- und Unterstützungsgruppen gebildet werden, sei es in Bereichen der Gesundheit, der Bildung oder um politische Anliegen oder Freizeitaktivitäten voranzutreiben. So kann bei Einsamkeit im Alter die Digitalisierung als Teil der Lösung verstanden werden.
Die digitale Verbindung sollte, wenn immer möglich, ergänzt werden mit realen Begegnungen oder mit der Arbeit an gemeinsamen Projekten vor Ort. Diese sogenannt hybriden Angebote erzielen mehr Wirkung und erreichen die Betroffenen besser. Gerade auf kommunaler und regionaler Ebene ist es wichtig, dass man sich auch ausserhalb des digitalen Netzes wirklich begegnet beim gemeinsamen Wirken, Probleme lösen und geniessen.
Das Team des Programms «connect!» hat gemeinsam mit einer Gruppe von Fachleuten ein Faktenblatt erarbeitet mit dem Titel «Digitale Ansätze, Einsamkeit im Alter vorbeugen und reduzieren, soziale Zusammengehörigkeit fördern». Die Workshop-Leiterin, Claudia Kessler, war Hauptautorin des Faktenblatts. Seniorweb stellte ihr zwei Fragen:
Dr. med. Claudia Kessler ist Fachärztin für Prävention und Public Health und seit Beginn Mitglied des Programmteams «connect!» (Foto zvg.)
Frau Kessler, es ist wissenschaftlich erwiesen, dass mit digitalen Mitteln die Kommunikation mit Einsamkeits-Betroffenen und der Zugang zu hilfreichen Angeboten und Dienstleistungen für ältere Menschen gefördert werden kann. Wo sehen Sie auf kommunaler Ebene in den nächsten Jahren Handlungsbedarf?
Claudia Kessler: Auf der kommunalen Ebene gibt es vielerorts bereits eine grosse Palette von Angeboten für ältere Menschen, welche Begegnungen und die soziale Teilhabe fördern. Es gilt, diese vermehrt auch für das Thema Einsamkeit und für vulnerable Personengruppen zu öffnen. Oft handelt es sich um beziehungsgeleitete Angebote, die auch auf der kommunalen Ebene gut mit digitalen Angeboten verknüpft werden können. Letztere werden heute eher auf der nationalen Ebene erforscht und entwickelt. In vielen Kommunen gibt es bereits digitale Angebotsübersichten, die es älteren Menschen erleichtern können, für sie passende Angebote in Wohnortsnähe zu finden.
Was plant das nationale Programm «connect!» zum Thema «digitale Ansätze» zu unternehmen?
Vorerst möchten wir gemeinsam mit interessierten Akteurinnen und Akteuren bestehende digitale und hybride Ansätze identifizieren und auf das Thema Einsamkeit im Alter anpassen. Die Ansätze sollen inklusiver werden – also auch Bevölkerungsgruppen erreichen, die verletzlich oder digital «abgehängt» sind. Wir möchten auch geeignete digitale Plattformen und Kanäle identifizieren, um unsere Zielgruppen zu erreichen. Viele digitale Angebote erreichen auch digital affine ältere Menschen noch zu wenig. Dabei möchten wir nicht nur mit Expertinnen und Experten aus dem Bereich Digitalisierung zusammenarbeiten. Wir werden auch Fachpersonen aus der Praxis und insbesondere auch Vertretungen der verschiedenen Zielgruppen einbinden. In späteren Phasen hoffen wir, mit den Anbietern und Expertenteams auch neue Angebote schaffen zu können. Dafür müssen wir jedoch erst die nötigen Mittel beschaffen. Aber auf alle Fälle halten wir von «connect!» die Digitalisierung für eine Chance, die wir für die Programmziele nutzen möchten.
Zum Titelbild: Claudia Kessler leitete den Workshop «Digitale Ansätze» an der Tagung «connect! – Kommunale Initiativen für weniger Einsamkeit im Alter» vom 20. Februar 2025 in Bern. (Foto bs)
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Webseite mit weiteren Informationen zum Programm «connect!»