StartseiteMagazinGesellschaftWie geht es den Menschen über 80 in der Schweiz?

Wie geht es den Menschen über 80 in der Schweiz?

Die VASOS (Vereinigung aktiver Senior:innen- und Selbsthilfeorganisationen der Schweiz) hat eine Umfrage bei über 80-Jährigen gemacht und kommt zu aufschlussreichen Ergebnissen, Folgerungen und Forderungen.

Der von der Soziologin Anna Borkowsky in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Hochaltrigkeit der VASOS im Jahre 2022 veröffentlichte wissenschaftliche Bericht wertet eine Online-Befragung von 1134 Personen über 80 aus.

Ergebnis der Umfrage

In der Kurzfassung des Berichts werden die Ergebnisse wie folgt zusammengefasst: «Die Auswertung der Antworten der Umfrage – die keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt – zeigt, dass es den von uns erreichten Personen im Allgemeinen gut geht, die meisten mit ihrem Leben zufrieden sind und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Dennoch gibt es auch unter ihnen Menschen, die in prekären oder sehr eingeschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse leben, die Hilfestellungen benötigen oder die stärker an der Gesellschaft teilhaben möchten.» (Kurzfassung S. 45)

Mangelnde Repräsentativität?

Es ist nachvollziehbar, dass die Umfrageergebnisse nicht repräsentativ sind, da die Umfrage online erfolgte, so dass digital unkundige Personen nicht teilnehmen konnten, wenn sie nicht von ihrem Umfeld, etwa von Enkelinnen oder Enkeln unterstützt wurden. Aber das Projekt wurde bewusst als intergenerationelles Projekt lanciert, indem beim Versand der Umfragebögen junge Angehörige ermuntert wurden, allenfalls beim Ausfüllen beizustehen. Auch wenn die Zahlen durch die Erhebungsform der Daten nicht im strengen Sinne repräsentativ sind, ist der Bericht dennoch aussagekräftig. Insbesondere wird das Vorurteil, über 80-Jährige seien vor allem hilfsbedürftig, eindrücklich korrigiert.

Die Arbeitsgruppe Hochaltrigkeit: Anna Borkowsky, Liselotte Lüscher, Max Krieg, Susanne Born, Rita Heinzelmann, Marianne de Mestral (Foto VASOS)

Was wurde erfragt?

Erfragt wurden Alter, Geschlecht, Haushaltgrösse, Wohnumgebung, die wirtschaftliche Situation, Bildungshintergrund, Gesundheitszustand, Selbständigkeit im Alltag, psychische Befindlichkeit, soziale Kontakte, kulturelle und gesellschaftliche Aktivitäten, Freiwilligenarbeit und Freizeitaktivitäten und Formen der erlebten Altersdiskriminierung. Damit konnte ein anschauliches Bild der Befindlichkeit von Personen über 80 erstellt werden ( Siehe Link zum Bericht und zur Kurzfassung unten).

Obwohl es den befragten Personen über 80 im Allgemeinen gut geht, sie zufrieden sind und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, erhebt die VASOS am Schluss des Berichts zwölf Folgerungen und Forderungen. Dazu vier Fragen zu vier Forderungen an die Projektleiterin Liselotte Lüscher.

Seniorweb: VASOS fordert, dass Betreuung und Pflege als Service Public zur Grundversorgung gehört, die für alle finanzierbar ist. Was ist zu tun, dass auch Arme Betreuungsleistungen einfordern können, so dass sie ein würdiges Leben führen können?

Liselotte Lüscher: Es genügt nicht, dass Ältere bloss medizinische Leistungen über die Krankenkasse abrechnen lassen können. Zu einem würdigen Leben von beeinträchtigten Personen gehören auch den Alltag erleichternde nicht medizinische Unterstützungsleistungen. Zwei Dinge sind nötig: Erstens braucht es vor Ort Netzwerke von Angehörigen und Zugehörigen, von Professionellen aus dem medizinischen und sozialen Bereich und eine gute Koordination unter den Betreuenden und Pflegenden. Zweitens muss die Betreuungsarbeit für alle finanzierbar sein. Da braucht es unabhängig der Wohnform eine staatliche Mitfinanzierung für Bedürftige.

Seniorweb: Altersarmut darf nicht sein. Was soll sofort auf die politische Agenda?

Liselotte Lüscher: Präsidentin der AG Hochaltrigkeit und Projektleiterin (Foto bs)

Man darf sich bei der Altersarmut nicht von statistischen Zahlen beruhigen lassen. 86% der Personen im Rentenalter, die über ein existenzsicherndes Renteneinkommen verfügen, können nicht darüber hinwegtrösten, dass gemäss Altersmonitor der Pro Senectute 2022 fast 300 000 Pensionierte armutsgefährdet, davon 46 000 ausweglos arm sind. Für diese braucht es sofortige Beratung und unkonventionelle direkte Finanzhilfen. Zudem braucht es auf politischer Ebene weiteren Druck, dass Arme und Ausgegrenzte bald der Vergangenheit angehören.

Seniorweb: VASOS fordert, dass sich das Bild über die Hochaltrigen ändert. Sie sollen nicht bloss über ihre Gesundheit definiert werden, sondern wollen aktiv sein, politisch und gesellschaftlich teilnehmen und mitgestalten. Gerade der Bericht zeigt ja, wie Hochaltrige immer noch ihre Kompetenzen für sich und andere einsetzen. Was kann wer tun, um dieses defizitorientierte Altersbild durch ein kompetenzorientiertes zu ergänzen?

Negative Altersbilder sind nicht per Knopfdruck zu korrigieren, das braucht seine Zeit. Unser Bericht, der ein recht positives Bild der über 80-Jährigen zeigt, genügt nicht. Wenn Medien laufend über Alterskrankheiten und deren Kosten berichten und für die Sorge- und Freiwilligenarbeit der Alten keine Zeile übrighaben, muss man sich nicht wundern, dass negative Altersbilder sich verfestigen. Aber auch die Alten selbst, die für sich selber sorgen und für Angehörige und im Freundeskreis immer da sind oder sich für die Gesellschaft als Ganzes einsetzen, sollten vermehrt auf ihre Aktivitäten zum Wohl aller hinweisen.

Seniorweb: VASOS fordert, dass es aufgrund des Alters keine Diskriminierung geben darf. Woran denken Sie dabei?

Eine institutionalisierte Altersschranke bei der Pensionierung wirkt für die einen befreiend, für andere diskriminierend. Hier braucht es eine stärkere Flexibilisierung. Ebenfalls sind Altersschranken, wie es sie immer noch in gewissen Gemeinden und Institutionen für die Mitarbeit in bestimmten Kommissionen gibt, abzuschaffen. Unsere Umfrage zeigt auch, dass Diskriminierungen aufgrund des Alters, des Geschlechts, des Gesundheitszustands, einer Behinderung oder der familiären Situation weit verbreitet sind. Dies geht von mangelnder Wertschätzung, Vernachlässigung, Ausgrenzung über die Verweigerung von Hypothekar- oder Privatkreditvergaben, bis zur Nichtübernahme gewisser Krankheitskosten oder die Verweigerung von Therapien aufgrund des Alters.

Besten Dank für das Gespräch!


Liselotte Lüscher (88) ist Erziehungswissenschaftlerin und Politikerin. Nach ihrer Dissertation an der Uni Bern (1995) arbeitete sie dort als Lehrbeauftragte am Pädagogischen Institut. Von 1993 bis 2008 war sie Mitglied im Berner Stadtrat (Legislative). 2020 veröffentlichte sie unter dem Titel «…sozusagen als Tagebuch» 193 Gedichte, die sie zwischen 1957 und 2019 geschrieben hatte.

Links und Infos:

VASOS: «Menschen über 80, eine von der Gesellschaft vernachlässigte Gruppe!?» unter https://vasos.ch/publikationen_vasos/80plus/

Altersmonitor der Pro Senectute: Altersarmut in der Schweiz 2022. Teilbericht 1 hier: Altersarmut in der Schweiz

Titelbild: Präsentation des Berichts «Menschen über 80, eine von der Gesellschaft vernachlässigte Gruppe!?» (Foto VASOS) 

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1 Kommentar

  1. Danke, ich lese ihre Kommentare immer sehr gern und mit grossen Interesse.
    Ich bin mir nicht sicher ob meine Anmeldung in Ordnung war.

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