StartseiteMagazinGesellschaftBesuch beim ökosozialen Hans Steiger (80) im Eggli

Besuch beim ökosozialen Hans Steiger (80) im Eggli

Hans Steiger war von 1983 – 1991 als Sozialdemokrat im Zürcher Kantonsrat und von 1991-1995 im Nationalrat. Später trat er aus der SP aus. Wie geht es ihm in seinem achtzigsten Lebensjahr?

Hans Steiger und ich haben den gleichen Nachnamen, sind aber nicht miteinander verwandt. Auf meine Frage, aus welchem Steigerspross er stamme, meinte er: «Meine Vorfahren sind aus Altstätten (SG). Ich war mal da, weiss aber wenig von meinen Ahnen. Offenbar hatten sie nicht den besten Ruf. Ich bin in Horgen am Zürisee aufgewachsen, wo mein Vater als Fabrikarbeiter gelandet war.»

Hans Steiger machte nach der Volksschule eine Lehre als Buchhändler und lernte dabei Texte von Wolfgang Borchert kennen, für den er bei einer Arbeitskollegin schwärmte. «Eines Tages kam sie mit einem Flugblatt einer Bewegung gegen atomare Aufrüstung auf mich zu und sagte, als Borchertleser würde das zu mir passen.» Hans Steiger erkundigte sich und kurz darauf war er mindestens einmal pro Woche auf dem Sekretariat dieser Bewegung und half dort, Couverts zu füllen und Flugblätter zu verschicken. Nach der Lehre begann er dort zu arbeiten.

Um dem Militärdienst zu entkommen, präsentierte er ein Arztzeugnis, bekam aber den Bescheid, man kenne diesen Arzt, der für dienstunwillige junge Männer die passenden Arztzeugnisse schreibe. Das mache ihn nicht dienstuntauglich. Aber die Arbeit auf dem Sekretariat einer armeekritischen Organisation könnte dafür sprechen, ihn springen zu lassen. Später erfuhr er, was die Ziffer beim Eintrag in seinem Dienstbüchlein bedeutet: Charakterlich nicht geeignet, sich in eine Gemeinschaft einzufügen.

Buchhändler, Journalist und Politiker Hans Steiger im «Eggli». Ringsum Bücher.

Danach sammelte er erste journalistische Erfahrungen und eines Tages kam der Friedensaktivist und spätere SP-Nationalrat Hansjörg Braunschweig auf ihn zu mit der Frage, ob er als Buchhändler die zu ruhige «Pazifistische Bücherstube» des «Schweizerischen Friedensrates» im traditionsreichen Haus an der Zürcher Gartenhofstrasse 7 nicht neu beleben könne. Dank diesem Impuls gründete Hans Steiger «buch 2000», eine genossenschaftlich organisierte Versandbuchhandlung für Literatur zu Friedenspolitik, Dritte Welt, dann auch Ökologie und Sozialismus, welche sich in den 68-Jahren prächtig entwickelte. Zu ihm und seiner Frau stiessen mehrere Mitarbeiter. Da die Räumlichkeiten in Zürich für die Buchhandlung zu eng wurden, zogen sie ins Säuliamt. Hier engagierte er sich in der Auseinandersetzung um den dort geplanten Bau der N4 – und gegen das Waldsterben. Verkehrsblockaden und andere Provokationen machten ihn so bekannt, dass der «Blick» ihn in einem grossen Artikel als «Schweizer Autofeind Nummer eins» porträtierte. 2009 wurde die N4 im Knonaueramt (auch Säuliamt genannt) als A4 dem Verkehr übergeben, für Hans Steiger eine Niederlage, obwohl der Kampf zu einer umweltverträglicheren Linienführung geführt hatte.

1976 trat er als Geschäftsführer von „buch 2000“ zurück, stieg zuerst im Alleingang als Redaktor für den Zürcher Teil beim wieder reaktivierten sozialdemokratischen „Volksrecht“ ein. Der spätere Nationalrat Andi Gross wurde sein engster Mitarbeiter. Er selbst verbrachte 1983-1991 eine als gut empfundene Zeit im Zürcher Kantonsrat, wo er sich in der Raumplanungskommission für ökologische Anliegen einbringen konnte. Kantonal gab es erfolgreiche Abstimmungskämpfe gegen Strassenprojekte.

Die Zeit von 1991 – 1995 als Nationalrat bleibt ihm in weniger guter Erinnerung. Im Zentrum standen Diskussionen um den EWR und die Europafrage.  Wirtschaftswachstum war angesagt, ökologische Themen wurden vernachlässigt. Durchaus passend bemerkte eine Zeitung, er habe sich nach Bern «verirrt», so wie zur gleichen Zeit auch Pfarrer Ernst Sieber, mit dem er während den Sessionen in einer gemeinnützig geführten Herberge übernachtete. Nach der Nationalratszeit trat er aus der SP aus, die damals aus seiner Sicht zur sehr auf Wirtschaftswachstum statt auf Nachhaltigkeit setzte.

Danach arbeitete er als freier Journalist und verliess das Säuliamt 1999, weil es ihn zu sehr geschmerzt hätte, mitansehen zu müssen, wie durch den Autobahnbau die schöne Landschaft verschandelt wurde. Er fand eine Bleibe bei Susi Oser im Eggli, die seine Partnerin wurde, und wo er heute noch wohnt in einem Haus mit Scheune und «36 Türen».

Hans Steiger mit Susi Oser vor einer Scheunenwand, wo jeweils Plakate von linksgrüner Seite platziert werden – in einem Gebiet des Tösstals, wo die grosse Mehrheit SVP wählt.

Von dort aus bleibt er als Rezensent von Büchern beim Volksrecht-Nachfolgeblatt P.S. mit der weiten Welt sowie vielen der alten Gesinnungsfreundinnen und -freunde verbunden. Hier einige Titel seiner letzten Artikel:

Aus P.S.: «Wald, Pilz, Glück&Wünsche»; «Nachabstimmungsstimmung – weiterlesen, -denken, – machen»; «Für bessere Agrarpolitik»; «Eine neue Ecke entdecken?»; «Demokratie unter Zeitdruck»; «Zeit auch zum Pflanzen». Oder in Online-Versionen beim Infosperber: «21. September: Heute ist … wäre eigentlich Weltfriedenstag»; «Rechtsrutsch in Europa: Eine dramatische Dynamik»; «Mehr naturnahe Lebensräume – auch in unseren Städten»; «Vor dem Ende der Verschwendung»; «Wider den neuen Zeitgeist: Wege zu «ewigem Frieden»»; «Biodiversität? – Lebensvielfalt!» Mit den Buchrezensionen möchte Hans Steiger bei politisch Aktiven und Interessierten ökosoziales Denken stärken.

Was steht privat an? «Ich sollte weniger Bücher lesen und rezensieren und mehr im Garten und Haus arbeiten.»

Was steht politisch an? Da ist er als Beobachter des Geschehens für die globale Entwicklung sehr pessimistisch: Die Klima- und Umweltkrise wird nicht ernsthaft angegangen. Aufrüstung statt Abrüstung, Kriegs- statt Friedenspolitik führen ins Desaster. Lokal gibt es gute Ansätze, man hilft einander unter Senioren. Kleine Produzenten schliessen sich zu Vertriebsgemeinschaften zusammen. Man trägt Sorge zur Natur in der unmittelbaren Umgebung. „Wenn ich allerdings die politische Ausrichtung unseres Verkehrs-, Energie- und Medienministers anschaue, wird es mir übel.“

Auf die Frage, wie er seine politischen Niederlagen und die kurzsichtige und selbstzerstörerische Politik auf dem Planeten ertrage, meint Hans Steiger: «Ich habe den Umgang mit politischen Niederlagen schon von jung auf eingeübt. Und einer der mir wichtigsten Autoren, Günther Anders, war mir da Wegweiser.“ Der habe als Exponent der Anti-Atom-Bewegung, Technikkritiker und Kämpfer für Humanität vielerlei Krisen durchlebt und einmal in einem Interview gesagt: «Wenn ich verzweifelt bin, was geht es mich an – tun wir so, als wären wir es nicht.» Das heisst für Hans Steiger: «Lass dich nicht von Niederlagen entmutigen. Der Einsatz für eine bessere Welt lohnt sich immer.»

Titelbild: Hans Steiger mit seiner Lebenspartnerin Susi Oser im biodiversen Garten, der auch der Selbstversorgung mit schmackhaftem Gemüse, Salaten und Gewürzen dient. (Fotos bs)

 

 

 

 

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