„Urs Fischer – Faux Amis“ im Musée d’Art et d’Histoire (MAH) in Genf: Zeitgenössische Kunst der letzten rund 30 Jahre.
Sie ist räumlich überschaubar, die Ausstellung im MAH, sie orientiert sich am Schweizer Urs Fischer (geb. 1973) und sie zeigt die Verknüpfungen mit dem Einfluss seiner Freunde und künstlerischen Weggenossen. Warum „Falsche Freunde“? Diese trickige Frage lässt sich nur aus dem Kontext der ganzen Ausstellung und vor allem mit Hilfe semantischer Überlegungen beantworten. „Falsche Freunde“, das ergibt sich aus dem Studium der verfügbaren Dokumentation, bedeutet nicht in jeder Sprache dasselbe. Der Kurator Massimiliano Gioni ist dem Klang seines Namens nach italienischer Herkunft, lebt und arbeitet vornehmlich in New York. Der Sammler Dakis Joannou (aus seinen Beständen stammen die gezeigten Werke) scheint seine Wurzeln im Griechischen zu haben, und die von ihm 1983 gegründete DESTE-Fondation hat ihr Ausstellungszentrum in Athen. Diese gemeinnützige Stiftung, an der Ausstellung beteiligt, hat zum Zweck, ein grösseres Publikum an die zeitgenössische Kunst heranzuführen. Ebenso beteiligt ist „ART for The World“, eine mit dem Department of Public Information (UNDPI) assoziierte NGO, gegründet 1996 von Adelina von Fürstenberg, die sich bemüht, zeitgenössische Kunst und das unabhängige Filmschaffen auf die Hauptprobleme der heutigen Gesellschaft auszurichten.
Also handelt es sich bei dieser Präsentation in Genf um eine Produktion mit globalen Wurzeln, und man finde selbst heraus, wie der Begriff im Ausstellungstitel gemeint ist – ganz sicher nicht so, wie er auf Deutsch wahrgenommen wird. – Rätselhaft bleibt er so oder so. Vielleicht hat es wirklich etwas mit Wahlverwandtschaften zu tun (Goethe wird an einer Informationstafel zitiert): Die Nähe scheinbar ähnlicher Werke, die sich in Wirklichkeit grundlegend voneinander unterscheiden – Wahlverwandtschaften versus Variationen.
Wie eine Zusammenstellung der Lebensdaten und der Erscheinungsdaten der ausgestellten Werke zeigt, sind die Künstler, die wohl als repräsentativ für die zeitgenössische Kunst betrachtet werden dürfen, zwischen 6 und 28 Jahre älter als Urs Fischer. Das früheste gezeigte Werk, Dollhouse 4 von Robert Gober, entstand 1978; Urs Fischer war gerade einmal fünf Jahre alt. Animal von Fischli & Weiss, datiert von 1986, könnte der Dreizehn- bis Vierzehnjährige gekannt haben. Sein frühestes Werk, hier ausgestellt, ist Skinny Afternoon (2003); darauf folgt Untitled (Bread House), (2004-2006)
Oben: Fischli & Weiss (Copyright): Animal, 1986; unten: Urs Fischer (Copyright): Untitled (Bread House)
Die Schau vermittelt ein spannendes Bild der Kunst der letzten 30 Jahre. Sie umfasst Installationen, Plastiken, Gemälde und damit die vielfältigsten Objekte. Eingesetzt werden die verblüffendsten Materialien; Brot beispielspeise, aus welchem das begehbare Haus Fischers gebaut ist, aber auch Wachs, Aluminium, und weitere, teils biologische Materialien.
Stellt man schon in dieser Verwendung von Materialien eine reich differenzierte Fantasie fest, so sagt sich gleiches auch für die Motive, die zur Darstellung kommen. Zweimal muss man schauen, um ganz sicher zu sein, dass der in der Ecke kauernde Bettler von Maurizio Cattelan, „Gerard“ (1999) nur aus dem hüllenden Tuch und den leeren Schuhen besteht und wirklich kein Mensch darunter steckt. Fischers Horse / Bed von 2013 vermag in Träume zwischen Don Quixote und Sehnsucht nach weiten Reisen zu entführen. Überhaupt ist das spielerische Element der Objekte ausgeprägt, und es spricht sowohl für die Kompetenz des Sammlers als auch die geschickte Hand des Kurators, dass das Spielerische ernst zu nehmen ist – wie schon bei Huizinga („Homo Ludens“) – und, auch bei äusserstem Strapazieren, zum Beispiel in „Ushering in Banality“ (1988) von Jeff Koons, nie ins Lächerliche pervertiert.
Links: Strontium (2015), rechts Guerkli, (2009), beide (©) Urs Fischer
Metamorphosen und Gegensätze
Die in der zeitgenössischen Kunst explosiv neue, experimentelle Sicht auf die Dinge, auf das Leben überhaupt und vor allem auch auf den menschlichen Körper versteht man beim schauenden Streifen durch die Räume immer besser. Harmonische Beziehungen und drastische Dissonanzen treten auf; Objekte, die noch einigermassen „gegenständlich“ wirken, kontrastieren mit PopArtigem und Absurdem. Verwandlung und Experiment bleiben gross geschrieben. Noch Stunden und Tage nach dem Besuch bleiben starke Eindrücke. Vielleicht kommt gerade durch diese Schau das Phänomen Kunst, moderne Kunst jedenfalls, näher – und seltsamerweise glaubt man sogar, die Ikonografie der Renaissance- und Barockkunst von dieser Warte aus ein wenig anders zu sehen.
Ein besonders fesselndes Objekt ist „Concert / Cornichon“ (2011) von Urs Fischer: Ein Hochrad und die Pinocchio-Figur in mehreren Seitenansichten auf Quadern aus Spiegelglas, die so angeordnet sind, dass man beim Betreten der Installation schon bei leichtem Drehen des Körpers immer neue labyrinthische Spiegelräume gewahrt. Differenziert ausgetüftelt und konstruiert, mobilisiert das Objekt einen Höhepunkt an spielerischer Energie im aktiven Betrachten. Beileibe nicht die einzige Kostbarkeit dieser eindrücklichen und in ihrer Art der Konzeption wohl auch einmaligen Ausstellung.
Urs Fischer (©), Concert / Cornichon, 2011
Die Ausstellung dauert bis 17. Juli 2016.