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Berlin-Besuch im Sommer

Abseits der ausgetretenen Touristen-Trampelpfade zu ausgewählten Kultur-Erlebnissen

Die endlosen Abende und die langen warmen Nächte faszinieren auch Leute, die um den 47. Breitengrad leben, also unsereinen. Kaum sind die Mauersegler verschwunden in der Berliner Luft (es heisst, sie verbrächten ihr Leben im Flug), hört man ihren typischen Schrei wieder, an Schlaf ist kaum zu denkenTagsüber lockt das überreiche Angebot der deutschen Hauptstadt mit Radtouren oder Busfahrten: Statt des Sightseeing-Doppeldeckers wähle ich gern einen der ganz normalen Linienbusse, setze mich ins Obergeschoss und warte, bis einer der Plätze vorn an der Frontscheibe frei ist. Hier erklärt mirniemand ausser dem Stadtplan auf den Knien, worauf ich mein Augenmerk richten soll.DeBus Metro 200 zum Beispiel, fährt durch den Westen, für eine Sightseeing-Tour in Ostberlin ist Tram angesagt. Die M10 fährt ein Stück an der ehemaligen Mauer entlang. Oder man packt die Badehose ein und nimmt die S1 direkt zum Wannsee.

Original-Plakat, 1957  © Coca-Cola GmbH 

Die Theatersaison ist vorbei, aber langweilig wird es einem auch abends nicht, zu viele kleine und grössere Off-Bühnen,Veranstaltungen oder auch Lokale mit heimischer und fremdländischer Kost reizen.Tagsüber darf es ein Museumsbesuch sein,das Angebot ist vielfältig und sehr verlockend.

Können Sie sich noch an den VW erinnern, der läuftundläuftundläuft… 70 Jahre Werbegeschichte mit alten Bekannten – beispielsweise der Persil-Dame im blütenweissen Kleid oder den Jägermeister-Geniessern verblüffen und erheitern die Besucher zunächst. Die Ausstellung Berührt – Verführt.Werbekampagnen, die Geschichte machten im Museum für Kommunikation zeigt Kampagnen, Werbefilme, Plakate aus West- und Ostdeutschland und was dahinter steckt. Beispiel? Der Werbeberater Hubert Strauf kreierte 1954 für einen Softdrink den Slogan, der das Lebensgefühl auf den Punkt brachte: „Ich erlebte den Stress ja unmittelbar, der so um 1953, 54, 55 herum überall aufkam. So kam das ‚Mach mal Pause‘ aus meiner eigenen Situation als mein eigener Stoßseufzer, und war deshalb so resonanzfähig.“

Werbung Wer weiss heute noch, woher der Geiz-ist-geil-Spruch kommt? Es war eine erfolgreiche Werbekampagne für das Handelshaus Saturn. Der Spruch ist vulgär und laut, verstößt gegen kulturelle Konventionen und machte in der damaligen Krise (2002) das Laster Geiz zur salonfähigen Tugend.

 

Das Plakat Gesunde Kost spart Medizin war Teil einer Arbeitsschutz-Propaganda-Aktion in der DDR, 1972 © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig 

Geworben wurde auch in der DDR. Anders als im Westen spielten Marken kaum eine Rolle: Die Werbung ist Orientierungshilfe. Herrsc

ht Überfluss, wird zum Kauf geraten, herrscht Mangel, das Gegenteil. Regelmäßig wird die Warenwerbung mit Kampagnen für die Idee des Sozialismus verknüpft. Schaufenster, Werbedias und Plakate haben agitatorische Schwerpunkte wie den Wiederaufbau, den Fünfjahresplan, Parteitage oder Republik-Geburtstage.

Am 1. Juli 1993 wurde im vereinten Deutschland die fünfstellige Postleitzahl eingeführt. Die Werbefigur „Rolf“ sollte Vorbehalte ausräumen und machte „Fünf ist Trümpf“ zu einer der größten Kampagnen in Deutschland. Anzeige, 1993 © Deutsche Post AG / Ully Arndt

 

Manche flotten Kampagnen schreien fast nach ihrer Parodie. So textet Klaus Staeck den Bahn-Spruch Alle reden vom Wetter. Wir nicht zur Kritik am Rüstungskonzern Rheinmetall um:Alle reden vom Frieden. Wir nicht. Rheinmetall verlor vor Gericht, denn die Richterakzeptierten Staecks Einwand, die Herstellung von Waffen gefährde den Frieden, als Meinungsfreiheit.

Wenn es so richtig heiß ist, aber auch wenn einer von diesen Starkregen niederprätscht, ist ein Museum genau der richtige Ort – angenehmes Klima und angenehmere Klientel als in der Shopping Mall. Warum also nicht einen Nachmittag bei den Alchemisten im Kulturforum verbringen?

Traité de Chymie, Frankreich, um 1700, S. 10/11. © The Getty Research Institute, Los Angeles

Kunstwerke von den alten Aegyptern bis zu Anselm Kiefer oder Jeff Koons mit Bezug zur Alchemie, der geheimnisvollen Wissenschaft von der Transmutation von Metallen in höherwertige Substanzen,sind versammelt. Die Herstellung des Steins der Weisen oder von Gold aus minderwertigen Stoffen trifft längst nicht das Wesen der Alchemisten, die Erfinder, Chemiker, Physiker waren. Das ist in der ebenso klugen wie sinnlich ansprechendenAusstellung Alchemie. Die Große Kunst lernbar. Ob der wohl bekannteste Alchemist Doktor Faustus ein seriöser Forscher oder ein Scharlatan gewesen sei, bleibe dahingestellt. Johann Böttger (1662-1719), der wegen seiner alchemistischen Versuche gar in den Kerker musste,gelang für Europa die Herstellung des China-Porzellans, also des weißen Golds. Der Schöpfungsmythos der Alchemie ist dem Produktionsprozess von Kunstschaffenden verwandt. „Alchemie und Kunst waren jahrhundertelang quasi verschwistert“, sagt Jörg Völlnagel, Kurator der Schau: „Alchemie wurde zu einer Technologie, um etwas herzustellen, das wie etwas anderes aussieht.“

Rembrandt van Rijn: Der Alchemist (sogenannter Faust), um 1652, Radierung auf Papier © bpk / Staatliche Museen zu Berlin Kupferstichkabinett. Foto: Jörg P. Anders

Noch etwas Zeit für eine Reise in den Westen, für eine Wanderung im weitläufigen Park des Schlosses Charlottenburg? Im Schloss sind repräsentative Räume zu besichtigen, gleich vor den Toren steht das Bröhan-Museum, wo in einer Sonderausstellung Kuss und Kunst abgehandelt werdenDas für seine Sammlung von Möbeln und Geschirr aus dem Fin de siècle und dem Jugendstil bekannte Museum setzt den Anfang der Kuss-Schau nicht bei den alten Römern, sondern bei Auguste Rodins Plastik Le Baiser von 1886, die Zeitgenossen als anstößig galt, das Ende bei einem weissen Raum mit roten Marken: Die Künstlerin Nezaret Ekici hat zum Tag des Kusses in einer Performance Wände, Möbel, Textilien stundenlang geküsst, natürlich mit nicht kussechtem Lippenstift.

Blue Noses An Epoch of Clemency 2005 C-Print. Courtesy DIEHL, Berlin

Mitten in der Ausstellung Kuss. Von Rodin bis Bob Dylan steht das rote Sofa in Lippenformvon Studio 65Rundherum sind Wände mit Kuss-Darstellungen: TodessehnsüchtigeVampirküsse von Arnold Böcklin und Zeitgenossen, ein beklemmendes Video Mutterkuss;noch unangenehmer wird es mit dem Bruderkuss von Leonid Breshnew und Erich Honecker –ausgestellt ist Dimitri Trubels Skizze des Kultbilds von der Berliner Mauer – undbeim Video mitexzessiver Küsserei zwischen Tierfreunden und Vierbeinern. In einer Vitrine steht der Lippenstift, der vor Jahrzehnten mit der Kussechtheit warb: Le Rouge Baiser.

Alle drei Ausstellungen bieten mannigfache Begleitveranstaltungen an (s. Homepage).Beispielsweise ist zur Kuss-Ausstellung am 26. September eine Lesung mit Peter von Mattundseinem Buch Sieben Küsse: Glück und Unglück in der Literatur geplant.

Teaserbild:  Besondere Geschichten verdienen das beste Netz. Um seine an Krebs erkrankte Frau zu erheitern, macht der Fotograf Bob Carey Aufnahmen von sich im rosa Tutu, die sich im Netz verbreiten. Eine Stiftung wird gegründet, unterstützt durch die Telekom-Kampagne. Anzeige, 2013 © Deutsche Telekom AG

 Berührt – Verführt.Werbekampagnen, die Geschichte machten.Museum für Kommunikation, bis 27. August
Alchemie. Die Große KunstKunstforumbis 23. Juli
Kuss. Von Rodin bis Bob DylanMuseum Bröhan, bis 3. Oktober

Weitere Museumsausstellungen in Berlin finden Sie auf dem Museumsportalhttps://www.museumsportal-berlin.de/de/. Alle Infos zum öffentlichen Verkehr, über Fahrpläne und Tickets gibt es bei der BVG https://www.bvg.de/de/Willkommen. Wer gern Velo fährt, kann vielerorts ein Fahrrad mieten.

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