Studie des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen SZB: Jeder dritte leidet an einer Hör- oder Sehbehinderung oder gar an beidem.
Seh- und Hörbehinderungen nehmen mit dem Alter stark zu. Jede zweite Person in Alters- und Pflegeheimen sieht und/oder hört auch mit der Brille oder dem Hörgerät nicht gut. Bei den betagten Menschen, die durch SPITEX-Organisationen zuhause gepflegt werden, leidet eine von drei Personen unter Sinnesbeeinträchtigungen. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie „Sehen und hören in Spitex- und Heimpflege“ des SZB.
Diese und weitere Studien des SZB zeigen auch die Folgen auf, die sich aus einer Sinnesbehinderung im Alter ergeben. Sie empfinden ihre Behinderung als grosse Einschränkung im täglichen Leben, versuchen aber dennoch, irgendwie damit zurecht zu kommen. „Das ist halt normal im Alter“, ist die oft benutzte Aussage. Dass die Sehkraft und das Gehör nach 70, 80 oder sogar 90 Jahren täglicher Höchstleistung abnehmen, erstaunt nicht. Ältere Menschen akzeptieren die zunehmenden Schwierigkeiten beim Zeitung lesen, beim Radio hören oder wenn sie in Läden die Preisschilder zu entziffern versuchen. Auch den Angehörigen entgeht nicht, dass sich die betagte Person manchmal nicht mehr zurechtfindet und immer öfter auf Hilfe angewiesen ist. Doch auch sie nehmen die Probleme als unvermeidliche Altersbeschwerden hin und wissen nicht, wie sie helfen können.
Studie zu Sinnbehinderungen von betagten Menschen
„Auf der Grundlage von 40’000 Datensätzen aus dem RAI-Assessment der Pflegeheime und SPITEX-Organisationen untersuchten wir, wie viele der Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen sowie der zuhause gepflegten Personen tatsächlich an einer Seh-, Hör- oder Hörsehbehinderung leiden“, erklärt Stefan Spring, SZB-Forschungsbeauftragter und Leiter der Studie. RAI steht für Resident Assessment Instrument und enthält Beurteilungen und Informationen für den individuellen Bedarf der Personen in Altersheim- oder SPITEX-Pflege. Speziell ausgebildete Pflegefachleute schätzen unter anderem die Seh- und Hörfähigkeit der betagten Menschen ein. „Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass die Berufe im Gesundheitswesen für diese Sinnesbeeinträchtigungen im Alter stärker sensibilisiert werden müssen. Es gibt viele Möglichkeiten, seh- und hörbehindertenfreundlich zu arbeiten, die Räume unterstützend einzurichten und Hilfsmittel einzusetzen“, ergänzt Studienleiter Spring.
Soziale Isolation aufgrund von Seh- oder Hörbeeinträchtigung
Die Auswertung der untersuchten Daten zeigt, dass vier von zehn Bewohnerinnen und Bewohner in Alterseinrichtungen nicht mehr gut sehen. Bei den Senioren und Seniorinnen, die zuhause betreut werden, leidet jede dritte Person an einer Sehbeeinträchtigung. Die Pflegenden und andere Bewohner an ihrem Gesicht zu erkennen, sich in den Räumen und mit den Gegenständen zurechtfinden, für sich selbst zu sorgen (rasieren, frisieren) und die Freizeit sinnvoll zu verbringen (lesen, Bilder betrachten) wird schwierig.
Bei fünf von zehn der Alters- oder Pflegeheimbewohner und -bewohnerinnen und jeder dritten zuhause gepflegten Person ist das Gehör beeinträchtigt. Es bereitet ihnen grosse Mühe, Gesprochenes zu verstehen und mit anderen Menschen verbal zu kommunizieren. Auch was das Personal sagt, wird nicht immer verstanden und so sind auch die korrekte Pflege und Betreuungsarbeit stark erschwert. Denn betreuen heisst vor allem auch miteinander und nicht nebeneinander zu sprechen. Nur ein Bruchteil dieser schwerhörigen Personen erhält jedoch eine Hörhilfe eingesetzt. 13 Prozent der Personen sind sehr stark hörgeschädigt oder praktisch taub.
27 Prozent beziehungsweise 11 Prozent der Personen, die in Alters- und Pflegeheimen sowie von externen Diensten zuhause gepflegt werden, sind sogar doppelt beeinträchtigt. Sie können einen Hörverlust nicht mehr durch genaues Beobachten ausgleichen. Ebenso wenig gelingt es ihnen, Personen an der Stimme zu erkennen oder akustisch zu verstehen, was sie nicht sehen können.
Die betagten Menschen erleben deshalb Unverständnis, Hilflosigkeit und Kränkung im Alltag. Und Stefan Spring stellt fest: „Für die meisten betroffenen Personen ist die Sinnesbeeinträchtigung eine neue Erfahrung im Leben. Sie waren nicht schon früher seh- oder hörbehindert und haben nun grosse Mühe mit der veränderten Situation. Sie hoffen auf Heilung und Besserung, erleben in Wirklichkeit aber, wie sie ihre Selbständigkeit und ihre Mobilität verlieren.“
Die Folgen können depressive Verstimmungen und der Rückzug aus den sozialen Bereichen des Lebens sein. Auch die Angehörigen sind oft hilflos im Umgang mit den betagten Familienangehörigen. Diese verändern sich, werden lustlos, launisch oder gar aggressiv, weil sie sich bei Gesprächen ausgeschlossen fühlen und ihren gewohnten Tätigkeiten nicht mehr nachgehen können. Leider kann es geschehen, dass Angehörige, jedoch auch Pflegefachpersonen die Folgen von Sinnesbeeinträchtigungen mit einer beginnenden Demenz verwechseln. Eine tragische Situation, denn durch die richtige Einschätzung der Sinnesbeeinträchtigung und mit geeigneten Massnahmen könnten die Personen viel Lebensqualität und Selbständigkeit zurückgewinnen.
SZB fordert und informiert über angepasste Pflege
Mit der Studie macht der SZB auf einen dringenden Handlungsbedarf aufmerksam. Er fordert, dass Senioren, die in Alters- und Pflegeheimen oder zuhause betreut werden, eine Pflege erhalten, die auf ihre Sinnesbeeinträchtigung Rücksicht nimmt und darauf angepasst ist. So erleichtern etwa Massnahmen wie eine optimale Beleuchtung der Räume, das Wiederholen von Informationen im Gespräch oder eine gut verständliche Anmeldung beim Betreten eines Zimmers den betroffenen Personen bereits das Zurechtfinden im Alltag. Daneben sind regelmässige Kontrollen von Gehör und Augen wichtig. Ausserdem sollen die betroffenen Personen und ihre Angehörigen mit einem Brillen- und Hörgeräteservice unterstützt werden. Ausführliche Anleitungen und Tipps für Angehörige und Fachpersonen für die Pflege und den Umgang mit Personen mit Hörsehbehinderung stellt auch die Website www.sensus60plus.ch – Sehen und Hören im Alter zur Verfügung.