StartseiteMagazinGesellschaftIn einem Dialog beginnt die Wahrheit zu zweit

In einem Dialog beginnt die Wahrheit zu zweit

«Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik» nennt sich das Buch, das Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler und Friedemann Schulz von Thun, Kommunikationswissenschaftler, miteinander geschrieben haben. Verlängern müsste man den Titel mit dem Zusatz: «im digitalen Zeitalter».

Nur schon der Aufbau des Buches beeindruckt. Ein Essay von Bernhard Pörksen bildet die Einleitung: «Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten». Das Nachwort stammt von Friedemann Schulz von Thun: «Navigationskunst im Dilemma».

Dazwischen wird in vier Kapiteln der behandelte Stoff ausgebreitet: «Dynamik der Polarisierung», «Möglichkeiten und Grenzen des Dialogs», «Transparenz und Skandal», «Desinformation und Manipulation».

Aber keine Angst vor gelehrten Ausführungen! Obwohl zwei Wissenschafter am Werk sind! Der Kunstgriff, das Buch lesbar zu machen, besteht darin, dass die beiden Autoren unzählige Gespräche geführt haben und die Themen in Form von Gesprächen dargeboten werden.

Bei mir hat das die sonst übliche Schnelligkeit des Lesens und Überlesens verlangsamt. Wohl oder übel musste ich mich dem Tempo, mit dem die beiden Herren ihre Gedanken fassen, anpassen. Sie stellen ihre Fragen sachlich, klar, bohren nach, lassen Unklarheiten nicht stehen. Gleichzeitig erscheint die Grundstimmung ausserordentlich umgänglich.

Ein Buch in Dialogform

Pörksen schreibt über diese Form des Fragens und Antwortens in der Einleitung: »Zum Schluss noch ein Wort zur dialogischen Form dieses Buches: Sie ist bewusst gewählt, also nicht nur äussere Gestalt, sondern auch inhaltliche Botschaft, Illustration eines Ideals, das uns umtreibt und inspiriert. Denn in einem Dialog beginnt, wie dies Friedemann Schulz von Thun formuliert, die Wahrheit zu zweit».

Anleitung zur Lektüre

Ich rate, die Lektüre mit dem Nachwort von Friedemann Schulz von Thun zu beginnen. Darin erfahren wir, wie das vorliegende Buch zustande gekommen ist. Es ist ein Versuch, herauszufinden, wie die Begegnung von Mensch zu Mensch in der heutigen von der digitalen News-Industrie getriebenen Welt überhaupt noch möglich ist.

Dann würde ich in das zweite Kapitel «Möglichkeiten und Grenzen des Dialogs» einsteigen. Hier fühlte ich mich als ehemalige Politikerin auf vertrautem Terrain. Und die Formel: «Verstehen, Verständnis, Einverständnis» hat mir besonders gefallen. Sie wird sehr facettenreich dargestellt und mit Beispielen erklärt. Aber ich finde sie ganz einfach. Zuerst muss ich verstehen, was andere sagen oder, je nach Situation, «brüllen». Dann beginnt schon die Schwierigkeit. Bringe ich Verständnis für die Sprechenden auf, wenn mir der Inhalt ihrer Botschaften unter Umständen total zuwider ist? Und wenn ich Verständnis kundtue, laufe ich dann nicht sofort Gefahr, dass dies als «Einverständnis» interpretiert wird? Es ist faszinierend, die entsprechenden Ausführungen mit eigenen Erfahrungen zu vergleichen.

Für die übrigen drei Kapitel habe ich keine Rangordnung. Im vierten Kapitel «Desinformation und Manipulation» wird das Phänomen des aktuellen amerikanischen Präsidenten eingehend analysiert und beschrieben. Auch hier wird mit Beispielen, die ausführlich besprochen werden, nicht gespart.

Besonders gefreut hat mich, dass in diesem Kapitel der Auftritt des Polizeisprechers Marcus da Gloria Martins beim Amoklauf von München am 22. Juli 2016 als positives Beispiel einer Krisenkommunikation gewürdigt wird. «Ihm ist das Kunststück gelungen, zu informieren und Warnungen auszusprechen, aber ohne jede Panikmache. Er hat – bis hin zu seiner Stimmführung, seiner Gestik und Mimik – Besonnenheit vermittelt und aus dem Geschehen das, was als gesichert gelten konnte, herausgefiltert, Spekulationen und Vermutungen klar als solche markiert und vor den Kameras der aufgeregt und hektisch nachfragenden Journalisten äusserst besonnen agiert».

Das Buch nochmals lesen

Die Einleitung von Pörksen «Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten» würde ich zuletzt lesen. Er beschreibt den «kommunikativen Klimawandel und seine Auswirkungen». Ich kann mir vorstellen, dass sich Gedanken des Buches von Pörksen «Die grosse Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung», das 2018 erschien, hier wiederfinden. Er beginnt mit der Frage: «Wo liegen die Ursachen für die grosse Gereiztheit, für die Sofort-Eskalation öffentlicher Debatten, für den Hass und die Wut, die das Kommunikationsklima der Gegenwart zu ruinieren drohen?»

Und nach Beendigung der Lektüre, es ist mir ernst damit, werde ich das Buch ein zweites Mal lesen! Die markanten Beispiele, die teilweise jahrelang zurückliegen, mit denen die Aussagen in den Gesprächen illustriert werden, wühlen auf. Die Informationen, die besonders die Einleitung vermittelt, müssen zuerst verdaut werden. Und das analoge Gespräch zwischen den zwei befreundeten Experten, welches sich immer auf den Menschen als Kommunizierenden und Empfangenden im gesellschaftlichen und politischen Kontext bezieht, wirkt zwar streckenweise recht beschaulich, ist aber in Wirklichkeit höchst anspruchsvoll.

Andere Bücher lege ich weg, wenn ich sie zu Ende gelesen habe. Oder ich verschenke sie. Den Pörksen/Schulz von Thun werde ich mir zu einer späteren Zeit nochmals vornehmen!

Bernhard Pörksen/Friedemann Schulz von Thun: «Die Kunst des Miteinander-Redens». 2020 Carl Hanser Verlag GmbH&Co. KG, München. ISBN 978-3-446-26590-5

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